Sonntag, Januar 5

Exorbitant hohe Steuern, eine ausgesprochen linke Politik, wenig Interesse am Geldverdienen, und die Leute leben ausgesprochen gerne dort: Die Bundesstadt ist in mehrerer Hinsicht ein Sonderfall.

Man weiss nicht, ob man Melanie Mettler beglückwünschen oder bemitleiden soll. Die grünliberale Politikerin wird 2025 die neue Finanzdirektorin der Stadt Bern und soll als «bürgerliche» Einzelmaske in der rot-grünen Stadtregierung so etwas wie die Opposition vertreten. Ihre Gegenspieler sind zahlreich. Zum einen ist da das Berner Stadtparlament, das zusehends linksradikale Positionen vertritt und mit immer kurioseren Ideen auffällt. Etwa jener, Strassennamen zu gendern und aus dem Fischerweg den Fischer*innenweg zu machen. Oder ein bedingungsloses Grundeinkommen zu testen, den öffentlichen Raum komplett werbefrei zu machen oder ein «sicherer Hafen» für Flüchtlinge aus aller Welt zu sein. Kurz: Die Berner Politiker sind für Forderungen zu haben, die man in einem Juso-Seminar, aber nicht von einem Stadtparlament erwarten würde.

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Geld ausgeben, das man nicht hat

Zum andern wurde mit der Grünen Ursina Anderegg eine Frau neu in die Stadtregierung gewählt, die findet, dass Geld dazu da sei, es auszugeben. Selbst dann, wenn man es nicht hat. Anderegg, bis anhin stellvertretende Leiterin der Fachstelle für Chancengleichheit der Universität Bern, gilt selbst in der rot-grünen Berner Bubble als sehr, sehr weit links stehend. Sie wird künftig die Direktion für Bildung, Soziales und Sport führen, die mit Abstand grösste Direktion.

Die Grüne fiel nach ihrer Wahl in der Zeitung «Der Bund» mit der bemerkenswerten Aussage auf, dass sie die Aufregung über die steigende Verschuldung Berns – die Stadt hat rund 1,4 Milliarden Franken verzinsliche Schulden – nicht verstehe. Dass die Reserven in ein paar Jahren weggeschmolzen sein könnten, schreckt sie auch nicht: Wenn man mehr Geld brauche, könne man ja noch immer die Steuern erhöhen, in erster Linie die Unternehmenssteuern. Notabene nimmt der Kanton Bern bei den Gewinnsteuern schon jetzt die unrühmliche Spitzenposition ein. Auch für Private ist Bern fiskalisch ein sehr ungemütliches Pflaster, wobei die Hauptschuld dafür allerdings nicht bei der Stadt selber liegt, sondern beim ambitionslosen bürgerlichen Kanton und bei dessen exorbitant hohen Steuern.

Das Geldausgeben und Schuldenmachen dürfte also weitergehen, dies umso mehr, als die Stadtberner Wahlen im November dem rot-grünen Lager weitere Sitzgewinne gebracht haben und die bürgerliche Seite mit ihrem Anspruch auf einen zweiten Sitz in der Stadtregierung kläglich unterging. Doch woher kommt das Geld für all die Wohltaten? Wer ist bereit, das rot-grüne Programm zu finanzieren?

Jeder Achte zahlt keine Steuern

Kurz ein Blick in die Steuerstatistik: Die Stadt Bern hat im Jahr 2023 insgesamt 580 Millionen Franken Gemeindesteuern eingenommen, der Gesamtbetrag ist in den letzten Jahren stetig gestiegen (2019 waren es noch 500 Millionen Franken). Zwei Drittel davon stammen von Privaten. Die Unternehmen leisten einen Viertel an die gesamten Steuereinnahmen. Ein Prozent der juristischen Personen (rund 120 an der Zahl) sind börsenkotierte Unternehmen, sie liefern mehr als einen Drittel der Gewinnsteuern ab.

Bei den Privaten versteuern ungefähr 13 Prozent – also jeder achte Stadtberner – null Einkommen. 16 Prozent der Steuerpflichtigen haben ein steuerbares Einkommen bis zu 20 000 Franken. Die zahlenmässig grösste Gruppe der Steuerzahler – gut 40 Prozent – rangiert zwischen 20 000 und 60 000 Franken. Knapp 20 Prozent weisen ein steuerbares Einkommen zwischen 60 000 und 100 000 Franken auf, und 10 Prozent liegen über der Schwelle von 100 000 Franken. Die grösste Altersgruppe, die keine oder kaum Steuern zahlt, sind Personen zwischen 20 und 40 Jahren.

Die 40 Prozent Steuerpflichtigen mit Einkommen zwischen 20 000 und 60 000 Franken tragen einen Anteil von knapp 30 Prozent an der gesamten Steuerleistung. Der grosse Rest wird von den Mittelverdienern bis 100 000 Franken und vor allem von der Gruppe mit Einkommen über 100 000 Franken bezahlt: Erstere steuern 28 Prozent bei, Letztere 41 Prozent.

Damit ergibt sich folgendes Bild: 30 Prozent der Stadtberner zahlen keine oder so gut wie keine Steuern. 40 Prozent zahlen knapp 30 Prozent. Die restlichen 30 Prozent der Einwohner zahlen 70 Prozent der Einkommenssteuern. Bern steht damit nicht schlechter da als andere Städte: Die Mehrheit der Bevölkerung zahlt Steuern, die Steuerlast ist einigermassen verteilt und keine exklusive Angelegenheit der Leute mit hohem Lohn. Gleichzeitig ist klar: Wenn es den besten Steuerzahlern mit den sozialistischen Umverteilungen und dem fröhlichen Geldverteilen zu bunt wird und sie wegziehen, hat die Stadt ein Problem.

Es fehlt das Unternehmer-Gen

Die Berner scheinen die Steuern allerdings nicht als drängendes Problem wahrzunehmen. Bei der letztmals 2023 durchgeführten Bevölkerungsbefragung meinte zwar jeder Achte, dass er die Belastung als zu hoch empfinde. Gleichzeitig sagten satte 97 Prozent der Befragten, dass sie sehr gerne oder eher gerne in Bern wohnten. Der typische Stadtberner lässt sich sein gutes Lebensgefühl also nicht durch die Steuern trüben.

Das Wohlbefinden mag auch damit zusammenhängen, dass viele Probleme, mit denen andere grosse Schweizer Städte konfrontiert sind, in der Bundesstadt weniger ausgeprägt sind. Die Ausländerquote ist deutlich tiefer als etwa in Basel, Genf oder Zürich, die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ist geringer, Grenzgänger gibt es nicht. Die Stellen in der Verwaltung im Bund, im Kanton und in der Stadt wachsen stetig, auch die SBB, die Post und das Gesundheitswesen sind zuverlässige Arbeitgeber. Angesichts des sicheren und wenig kompetitiven Arbeitsumfelds kann man sich mehr erlauben als anderswo.

Für den langjährigen Lokaljournalisten Jürg Steiner, Mitgründer des Online-Magazins «Hauptstadt», ist Bern ein wirtschaftspolitischer Sonderfall, der auf die Zeit des Ancien Régime zurückgeht. Die Berner Patrizier hätten mit dem Unternehmertum gefremdelt und sogar ein Gesetz erlassen, das es den herrschenden Familien untersagt habe, sich an kaufmännischen oder industriellen Firmen zu beteiligen. Das wirke bis heute in der Berner Gesellschaft nach, so Steiner, es fehle das unternehmerische Gen.

Einen Wandel hat auch die einflussreiche und wohlhabende Burgergemeinde Berns durchgemacht, die Nachfolgeorganisation der Patrizier, der ein Drittel des städtischen Bodens gehört. Obschon sie nach wie vor eine bürgerlich-konservative Ausstrahlung hat, tendiert sie inzwischen zu progressiven Positionen und gibt das Geld gerne für rot-grüne Anliegen aus. Laut der «Hauptstadt» sind die meisten der politisch aktiven Burger in linken Parteien tätig, vor allem in der SP. Salopp gesagt: In Bern ist sogar der Geldadel rot-grün.

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