Mittwoch, Oktober 2

Chinas Überalterung drückt auf die Rentenkasse und belastet die Wirtschaft. Jetzt erhöht Peking das Pensionsalter – ein heikler Schritt.

Jahrelang hat Peking gezögert, den nötigen Schritt zu tun – aus Angst vor Widerstand in der Bevölkerung. Nun kommt die Reform doch: Ab Januar 2025 erhöht China das Rentenalter schrittweise. Im Zeitraum von 15 Jahren sollen Männer mit 63 und Frauen mit 55 oder 58 in Pension gehen. Der Gesetzesentwurf dazu sei am Freitag verabschiedet worden, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua.

Erste Anpassung seit 1955

Das Pensionsalter ist in China seit den fünfziger Jahren keinen Zentimeter gewankt, dabei hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung seither verdoppelt und liegt heute bei knapp 80 Jahren. Trotzdem treten Chinesinnen wie damals mit 50 bis 55 Jahren in den Ruhestand, Männer mit 55 bis 60 Jahren. Das niedrige Pensionsalter gilt für Personen, die harte körperliche Arbeit verrichten, zum Beispiel auf dem Bau.

Das Rentensystem in China deckt über eine Milliarde Menschen ab. Sie dürfen eine Rente beziehen, wenn sie für mindestens 15 Jahre Sozialbeiträge geleistet haben. Die Rentenbeiträge in China sind tief und decken die Lebenshaltungskosten nur zum Teil, zudem gibt es massive Unterschiede zwischen Stadt und Land. Ein Rentner in Peking kann mit umgerechnet über 450 Dollar monatlich rechnen plus Vergünstigungen, wie Gratiseintritte in Parks. Am anderen Ende der Skala steht der Wanderarbeiter, der kaum Sozialversicherungsbeiträge geleistet hat, er erhält das Minimum von umgerechnet 25 Dollar pro Monat.

Trotzdem kostet die Rentenversicherung den Staat viel, sie macht laut Experten mehr als 5 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus. Bis 2035 droht der Bankrott, das hat die staatlich finanzierte Akademie der Wissenschaften in Peking berechnet. 300 Millionen Chinesen werden im nächsten Jahrzehnt in Rente gehen. China kämpft mit einer rapiden Überalterung und wenig Geburten. Der abnehmende Anteil der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter setzt die Wirtschaft unter Druck. Die Gesetzesreform zur Erhöhung des Rentenalters ist also dringend nötig. Warum kommt sie erst so spät?

Die Reform ist ein Kompromiss

Die Erhöhung des Rentenalters ist auch in China eine sehr heikle Angelegenheit. Die Regierung hat seit zehn Jahren auf den «richtigen» Moment gewartet, um die Reform durchzusetzen, immer wieder neue Vorschläge gemacht, Vernehmlassungen durchgeführt. Bei kleinsten Veränderungen protestierten die Leute. So zum Beispiel letztes Jahr: Als die Behörden in den Städten Wuhan und Dalian Kürzungen bei den Beiträgen der öffentlichen Krankenkasse ankündigten, gingen die Rentner zu Hunderten auf die Strasse.

Die jetzige Reform ist ein Kompromiss und berücksichtigt individuelle Lebenspläne. Vom ursprünglichen Plan einer Erhöhung auf 65 Jahre ist die Regierung abgerückt. Die graduelle Erhöhung des Rentenalters macht die Neuerung zudem leichter verdaulich. Alle zwei bis vier Monate wird das Pensionsalter um einen Monat nach hinten geschoben. Jene, die kurz vor ihrer Pensionierung stehen, werden nur wenige Monate später als geplant in den Ruhestand treten. Wer harte körperliche Arbeit verrichtet, darf auf Antrag weiterhin früher in Rente gehen.

Eine freiwillige Frühpensionierung bis drei Jahre vor dem ordentlichen Rentenalter wird unter der Rentenreform erstmals möglich. Man darf auch länger arbeiten, wenn der Arbeitgeber einverstanden ist, um seine Pensionskasse aufzustocken.

«Mit 35 finde ich sowieso keine Stelle mehr»

Trotzdem ist der Zeitpunkt der Erhöhung des Rentenalters heikel, insbesondere bei Jungen dürfte er für Unmut sorgen. Bei ihnen kommt die Reform vollumfänglich zum Tragen. Unter den 16- bis 24-Jährigen ist die Arbeitslosigkeit hoch, im Juli stieg sie wieder auf 17 Prozent, nachdem sie im letzten Jahr bei über 20 Prozent gestanden hatte. Wenn die Älteren später in den Ruhestand treten, können weniger Jüngere nachrücken. Der Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt steigt. Das sorgt für Frust.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Jungen deswegen auf die Strasse gehen. Unter ihnen hat sich eine Art Fatalismus breitgemacht, sie schlucken die Neuerung zähneknirschend. Betroffen sind sie erst in ferner Zukunft. Jetzt beschäftigen sie andere Sorgen, zum Beispiel Jobsicherheit und schlechte Arbeitsbedingungen. «Ab 35 finde ich sowieso keine Stelle mehr», monieren einige in Chinas sozialen Netzwerken. Arbeitgeber in China diskriminieren oft Personen in dem Alter, in dem sie familiäre Verpflichtungen haben, insbesondere Frauen.

Andere machen geltend, dass das Arbeitsrecht denn auch richtig durchgesetzt werden muss, wenn das Rentenalter erhöht wird. In China sind Überstunden und Wochenendarbeit üblich, insbesondere im Privatsektor, wo der Konkurrenzkampf immens ist. Wer nicht mehr leistet als der Durchschnitt, wird ersetzt. «Der Achtstundentag soll endlich zur Norm werden», fordert ein Leser eines Artikels zur Rentenreform auf der chinesischen Informationsplattform Toutiao.

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