Freitag, November 29

Die Börse betrachtet Bossard als hoch zyklischen Lieferanten von Verbindungsteilen. Das Unternehmen ist aber auch ein strategischer Partner der verarbeitenden Industrie. Dafür hätten die Aktien eine höhere Bewertung verdient.

Geniale Dinge sehen oft banal aus. Ein gutes Beispiel dafür sind die Produkte des Zuger Industrieunternehmens Bossard. Die mit Schrauben gefüllten, blauen Plastikkästchen gehören schon fast zur Standardausrüstung einer Fabrik. Als Händler von Befestigungsteilen kennt in der Industrie jeder den «Schrüübli-Bossard».

Die Kehrseite dieses Rufs ist jedoch, dass man auch an der Börse den Verbindungstechniker noch immer weitgehend als Teilelieferanten behandelt. Wäre Bossard lediglich ein Händler von C-Teilen, billigen Montageteilen in riesigen Mengen, wäre sie der Billigkonkurrenz aus Asien schon längst zum Opfer gefallen.

Mehr als Schrauben

Die seit 37 Jahren kotierte Gesellschaft verkauft zwar auch heute noch ein breites Sortiment (über 200 000 Artikel) an Schrauben, Muttern, Bolzen und ähnlichen Verbindungsteilen. Doch schon seit einigen Jahren ist sie viel mehr: im besten Fall der strategische Partner eines Fertigungsunternehmens und für seinen Geschäftserfolg unerlässlich. Bossard übernimmt nicht nur die Logistik, den Einkauf und die Lagerhaltung der Komponenten, sondern kommt schon beim Design oder bei der Modernisierung von Fertigungsstrassen zum Einsatz. Das Angebot umfasst die gesamten Produktionsschritte bis zur Beratung und zur Ausbildung der Mitarbeiter.

Das Ziel ist immer, die Effizienz, die Qualität und die Rentabilität der Fertigung zu verbessern.

Das 2031 sein 200-jähriges Bestehen feiernde Unternehmen hat Erfahrung, wie man in einer stark fluktuierenden Branche erfolgreich überlebt. Konjunkturelle Dellen gehören bei der mittlerweile von der sieben Generation geführten Gesellschaft zum Geschäftsalltag.

Der Entwicklung der Verkaufsvolumen von Verbindungsteilen gibt den Takt vor, auch an der Börse. Die Kursentwicklung der Bossard-Aktien hängt am Gängelband der Konjunktur. Wenn es den Kunden von Bossard gutgeht, geht es auch dem Unternehmen gut – und umgekehrt. Steigen die Aufträge, wird mehr Material bestellt, Bossards Umsatz steigt, und dank operativem Hebel verbessern sich die Gewinnmargen überdurchschnittlich.

Am Gängelband der Konjunktur

Derzeit herrscht in der Industrie eher Flaute. Die meisten Gesellschaften gehen davon aus, dass die Auftragslage bis Mitte Jahr mau bleibt und dann allmählich anzieht. «Wir befinden uns in einem schwachen Umfeld, vor allem in Europa ist die Investitionsfreude gering», konstatiert Tobias Fahrenholz, Analyst von Stifel. Kein Wunder dümpeln die Bossard-Valoren seit Monaten um 200 Fr.

Die Bossard-Analysten achten peinlich genau auf die Stimmung unter den europäischen Einkaufsmanagern. Das ist naheliegend, denn sie sind die wichtigsten Kunden von Bossard. Im Startquartal 2024 kamen mehr als 58% der Einnahmen des Unternehmens aus Europa. «Mit mehr als 30 000 Kunden ist Bossard von der gesamten Industrie abhängig», sagt Fahrenholz.

Die Korrelation zwischen der Kursentwicklung und der Veränderung des Einkaufsmanagerindex (Purchasing Manager Index, PMI) ist stets eng. Auch künftig dürfte der PMI die kurzfristige Kursentwicklung von Bossard bestimmen und das ausschlaggebende Tradingsignal sein. Die jüngsten, leicht weniger schlechten PMI-Werte in Europa deuten auf eine Kurserholung hin. Prompt hat der Kurs in den letzten Tagen angezogen.

Nach Ansicht von The Market ist der PMI indes ein zu einfaches Merkmal für die Beurteilung eines längerfristigen Engagements in Bossard-Aktien. Er mag ein Indikator sein, ob der Einstiegspreis hoch oder (wie wohl jetzt) eher günstig ist. Zyklische Werte sollte man kaufen, wenn die Konjunktur schwach ist. Das hat auch das Management getan: Vor Monatsfrist haben Geschäftsleitungsmitglieder für insgesamt fast 1 Mio. Fr. Bossard-Titel erworben.

Die ernüchternden Zahlen zum ersten Quartal belegen, dass Bossard temporär in einer Flaute steckt. Gegenüber dem Vorjahr ging der Umsatz um 15,5% auf 257,4 Mio. Fr. zurück. Mit einem Rekordquartal 2023 als Vergleichsbasis sowie dem starken Franken war ein Rückgang erwartet worden, doch nicht in diesem Ausmass. Die Analysten mussten ihre Schätzungen nach unten anpassen, der Kurs büsste in den Tagen danach rund 10% ein.

Im Gegensatz zu anderen Industriegesellschaften lief es Bossard auch in Nord- und Südamerika (Umsatz –22,9%) schlecht. Das dürfte nicht zuletzt mit den beiden Hauptkunden Tesla und John Deere zusammenhängen, denen es zu Jahresbeginn nicht rund lief. Laut Analyst Fahrenholz bestreitet der Elektrofahrzeughersteller rund 5% und der Landmaschinenbauer knapp 8% des Umsatzes von Bossard.

Zuerst investieren, dann wachsen

Ausser der temporär schwachen Nachfrage kommt hinzu, dass sich das Unternehmen in einer besonders regen Investitionsphase befindet. Auch die mit 65 Mio. Fr. budgetierten Ausgaben für die Einführung eines einheitlichen Betriebssystems (ERP) müssen zuerst verdient werden.

Doch es zeigt die Denkweise des Managements – seit 2019 steht mit Daniel Bossard wieder ein Familienmitglied an der operativen Spitze –, dass sich die strategische Planung («Strategie 200») über einen sehr langen Zeitraum (zehn Jahre) erstreckt. Via Stimmrechtsaktien kontrolliert die Familie 56% der Stimmen mit 28% des Kapitals. Das Management kann sich also eine langfristige Optik leisten, ein Luxus, über den eine zyklische Gesellschaft in der Regel nicht verfügt.

Ein beschleunigtes organisches und anorganisches Wachstum, das nicht auf Kosten der Rentabilität geht, lautet die Vorgabe, der sich die gesamte Belegschaft verschrieben hat. Derzeit werden noch die jüngsten Akquisitionen verdaut; rund die Hälfte des Wachstums bestreitet Bossard mit kleineren Zukäufen. Vorübergehend geht das zulasten der Marge. Die Analysten gehen davon aus, dass der 2022 erzielte Betriebsgewinn noch einige Jahre nicht egalisiert werden kann.

Diese unternehmerische Weitsicht bringen viele Investoren, vor allem institutionelle, nicht mit. Den für 2024 prognostizierten Gewinn haben die Analysten seit Anfang 2022 um mehr als 38% reduziert, die Gewinnschätzung für 2025 liegt derzeit sogar um mehr als 43% unter dem Schätzniveau von Sommer 2022.

Deshalb sind die Bossard-Aktien zurzeit etwas aus ihrer Gunst gefallen. Von den bei Bloomberg erfassten Analysten empfehlen nur drei sie zum Kauf. Vier führen eine lauwarme «Halten»-Empfehlung. Schon im November 2021 hat UBS die Bossard-Valoren auf «Verkaufen» gesetzt. Im Rückblick war das ideal, markierten sie doch genau dann ein Allzeithoch von 358 Fr.

Selbst auf dem gedrückten Niveau können sich die UBS-Analysten nicht für Bossard erwärmen. Sie bezweifeln, dass das Unternehmen seine Mittelfristziele erreicht. Das Management stellt ein organisches Umsatzwachstum von über 5% sowie eine Ebit-Marge von 12 bis 15% in Aussicht. Für die kommenden Jahre sehen die UBS-Analysten die Ebit-Marge eher bei 10 bis 11%. Ihre Gewinnschätzungen liegen rund 10 bis 15% unter dem Marktkonsens. Selbst auf Basis der Konsensschätzungen liege die Bewertung noch rund 14% ¨über dem Durchschnittsniveau der vergangenen fünfzehn Jahre, heisst es in ihrer Studie. Mehr als 180 Fr. seien die Aktien nicht wert, lautet das Verdikt.

«Übergangsjahr»

Obwohl auch Stifel-Analyst Fahrenholz für dieses und das nächste Jahr ähnlich bescheidene Marge prognostiziert, geht er davon aus, dass Bossard die Ziele erreichen kann. «Eine Ebit-Marge von 13% ist mittelfristig realistisch.» Dieses Jahr sei aber ein «Übergangsjahr», auch das laufende Quartal werde noch schwach ausfallen. Für das gesamte 2024 geht er von einem Volumenrückgang von 2% aus. Auch die anderen Analysten erwarten 2024 einen geringeren Umsatz und Betriebsgewinn.

Weil die Gewinnschätzungen so deutlich reduziert worden sind, ist die Bewertung der Aktien wieder gestiegen. Derzeit verkehren sie mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von gut 19. Der Fünfjahredurchschnitt liegt bei 17,6.

Auch wenn kurzfristige Impulse fehlen, Bossard sollte nicht abgeschrieben werden. Sie ist dafür bekannt, kontinuierlich Wert für die Aktionäre zu erwirtschaften. Das unterstreicht die hohe Rendite auf dem eingesetzten Kapital (ROCE), die immer deutlich über den Kapitalkosten (WACC) lag. Tendenziell hat sich der Vorsprung in den vergangenen Jahren zwar verringert, vor allem wenn nicht der vom Unternehmen angegebene WACC (4,1%) angewendet wird. UBS-Analyst Sebastian Vogel nimmt in seinen Berechnungen einen WACC von rund 8% an (5% interner Zinsfuss, 1,3% Risikoprämie, 1,8% Betafaktor). Trotzdem sollte es Bossard auch in Zukunft gelingen, Mehrwert für die Aktionäre zu kreieren.

Diese Wertsteigerung ist einem wenig kapitalintensiven Geschäft zu verdanken. Im Gegensatz zu SFS, die eigene Produkte herstellt, kauft Bossard sie ein. Ganz so schlank wie einst wird sie indes kaum bleiben. Während früher 35 bis 40% des Umsatzes im Betriebskapital gebunden waren, mussten zuletzt 43% dafür aufgewendet werden. Bossard muss tendenziell höhere Lager halten, um die Lieferfähigkeit jederzeit zu gewährleisten. Nur so schluckt der Kunde auch etwas höhere Preise für die Teile. «Wenn die bestehende Produktion einigermassen läuft, wechseln wenige die Teilelieferanten aus», schildert Stifel-Analyst Fahrenholz die Situation. Für die Aktien führt er eine «Halten»-Empfehlung mit einem Kursziel von 210 Fr.

Vom Lieferanten zum strategischen Partner

Der wahre Wert von Bossard liegt indes in den Dienstleistungen, die sie erbringt. In einer Fabrik entfällt nur ein Bruchteil der Gesamtkosten auf die Teile. Schwerer wiegen die Ausgaben für Entwicklung, Logistik, Prüfung, Lagerung und Vertrieb. Solchen verborgenen Prozesskosten hat Bossard den Kampf angesagt. Mit 81 Standorten in 31 Ländern werden global agierende Kunden vor Ort bedient.

Damit die Rechnung aufgeht, braucht es aber ein Umdenken bei den Kunden. In der verarbeitenden Industrie – oft handelt es sich um von langjährigen Besitzern geführte Gesellschaften – stehen meist nur die direkten Kosten im Vordergrund. Je professioneller und konsolidierter die Industrie indes wird, desto besser sollte Bossards Konzept zum Tragen kommen. Die schrittweise Deglobalisierung und die sich fortsetzende Automatisierung der Fertigung spielen Bossard in die Hand.

Auf diesen unvergleichlichen Trümpfen sollte ein Engagement in Bossard-Aktien fussen; künftig wird das Unternehmen der bevorzugte Fertigungspartner der verarbeitenden Industrie sein, über den nebenbei auch noch Teile bezogen werden. Schon seit Jahren kann es das, viele seiner Kunden hingegen sind noch nicht so weit. Mit «smarten» Lösungen wird erst ein Bruchteil der Einnahmen erzielt. Doch die Entwicklung ist unumkehrbar, Geduld sollte belohnt werden.

In den ersten knapp 200 Jahren hat Bossard bewiesen, dass sie die Ziele erreicht. Es gibt wenig Anzeichen dafür, dass das nun nicht mehr der Fall sein sollte.

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