Freitag, Oktober 25

Eine bange Frage bereitet den Meinungsforschern in den USA derzeit schlaflose Nächte: Wer straft sie in diesem November Lügen? Sind es erneut die unberechenbaren Trump-Wähler? Oder werden es verschwiegene Republikaner sein, die hinterrücks für Harris stimmen?

Eigentlich müsste Donald Trump die Präsidentschaftswahl gegen Kamala Harris gewinnen. Als er 2016 und 2020 auf dem Wahlzettel stand, unterschätzten die Umfragen die Unterstützung für ihn systematisch. Nun liegt Trump national, aber auch in den entscheidenden Swing States auf Augenhöhe mit Harris oder gar in Führung. Wiederholt sich das gleiche Schauspiel wie vor acht und vier Jahren, dürfte Trump am 5. November einen deutlichen Sieg feiern.

Die entscheidende Frage ist deshalb zunächst, ob die amerikanischen Meinungsforscher aus ihren Fehlern gelernt haben. Zu ihrer Verteidigung ist zu sagen, dass sie das nationale Volksmehr 2016 ziemlich exakt voraussahen. Sie sagten einen Vorsprung für Hillary Clinton von 3 Prozentpunkten voraus. Am Ende lag die Demokratin mit 2 Prozentpunkten vor Trump. In den entscheidenden Swing States des Mittleren Westens unterschätzten die Umfragen die Unterstützung für Trump jedoch deutlich: Sie sagten in Pennsylvania, Michigan und Wisconsin einen zumindest knappen Sieg für Clinton voraus. Doch am Ende gewann Trump alle drei Gliedstaaten.

Blind für die Arbeiterschicht

Der Amerikanische Verband der Meinungsforscher (AAPOR) setzte danach ein Expertenkomitee ein, um den Fehlern auf den Grund zu gehen. In seiner Analyse nannte es drei Faktoren für die ungenauen Prognosen: Erstens habe sich eine grosse Zahl von unentschlossenen Wählern erst in der letzten Woche vor dem Wahltag mehrheitlich für Trump entschieden. Zweitens hätten die Umfrageinstitute den Wählern ohne Universitätsabschluss in ihren Erhebungen zu wenig Gewicht gegeben. Gut gebildete Bürger nehmen eher an einer Umfrage teil als Vertreter der Arbeiterschicht. Trump gelang es aber, gerade im Industriegürtel des Mittleren Westens ungewöhnlich viele weisse Arbeiter zu mobilisieren. Drittens habe sich ein Teil der Befragten nicht als Trump-Wähler zu erkennen gegeben, weil sie sich einerseits spät umentschieden hätten oder sich schämten, sich als Trump-Wähler zu bekennen.

Andrew Smith leitet das Umfrageinstitut der Universität von New Hampshire. Im Gespräch nennt er den zweiten Faktor – die mangelnde Gewichtung der Umfragen aufgrund des Bildungsniveaus – als beste Erklärung für die falschen Prognosen im Jahr 2016. Die Erkenntnis habe jedoch wenig geholfen: «2020 berücksichtigten alle das Bildungsniveau, und der Irrtum war noch grösser.»

Glaubte man den Umfragen vor vier Jahren, dann sah Joe Biden wie der sichere Sieger aus. Im Schnitt lag er kurz vor dem Wahltag mit über 8 Prozentpunkten gegenüber Trump in Führung. Doch dann wurde es für Biden ein Zittersieg. Die AAPOR beauftragte erneut ein Expertenpanel, um nach Fehlern in den Umfragen zu suchen. Die Erkenntnisse waren ernüchternd. Seit Jahrzehnten seien die Prognosen nicht mehr so ungenau gewesen, heisst es in dem Bericht. Die Umfragen überschätzten den Rückhalt für Biden landesweit und in den einzelnen Gliedstaaten um rund 4 Prozentpunkte.

Stichhaltige Gründe für die Fehleinschätzung lieferten die Experten kaum. Die vorhandenen Daten seien dafür ungenügend. Die Meinungsforscher identifizierten vor allem eine lange Liste von Faktoren, welche den Irrtum kaum oder nicht erklärten. So sei dieser etwa «nicht in erster Linie» darauf zurückzuführen gewesen, dass Trump-Wähler sich gescheut hätten, ihre Präferenz in den Umfragen offenzulegen.

Zu den Autoren des AAPOR-Berichts gehörte auch Smith. Sie hätten nur eine «starke Hypothese» gefunden, erzählt er: «Trump-Anhänger waren einfach nicht gewillt, mit den Meinungsforschern zu reden.» Dies sei durchaus nachvollziehbar. «Trump hatte während vier oder fünf Jahren stets davon gesprochen, man solle den Fake News und den gefälschten Umfragen nicht trauen.»

Dies führte womöglich dazu, dass die Umfrage-Institute gerade die treusten Trump-Anhänger nicht erreichten. Viele Meinungsforscher fragen die Wähler nun danach, für wen sie 2020 gestimmt hätten. Danach gewichten sie ihre Umfragedaten so, dass der Anteil der Trump-Unterstützer in ihrer Erhebung jenem bei der Wahl vor vier Jahren entspricht. Die Methode nennt sich «weighting on recalled vote». Ihr Nutzen ist jedoch umstritten.

Unabhängig davon glaubt Smith indes, dass sich das viel diskutierte Phänomen der «heimlichen» Trump-Wähler abgeschwächt hat. In eigenen Erhebungen in New Hampshire fragte er die Trump-Anhänger etwa 2020 danach, ob sie mit folgender Aussage einverstanden seien: «Ich stelle kein Trump-Schild in meinen Vorgarten, weil ich Angst habe, dass mein Haus von Vandalen beschädigt wird.» Eine Mehrheit von 52 Prozent der Befragten war damit «sehr einverstanden». In diesem Jahr stellte Smith in einer Umfrage nochmals dieselbe Frage. Nun teilten nur noch 31 Prozent diese Meinung. «Trump-Anhänger haben heute weniger Angst davor, sich selbst als solche zu erkennen zu geben», meint Smith.

Demokraten werben um entfremdete Republikaner

Gleichzeitig hoffen die Demokraten, dass es unter den Republikanern heute viele Wähler gibt, die insgeheim für Harris stimmen werden. Die Zielgruppe der Vizepräsidentin sind dabei vor allem Konservative, für die Trump mit seinem «Putschversuch» und dem Sturm auf das Capitol eine rote Linie überschritten hat. Um ihre Stimmen zu gewinnen, bestreitet Harris derzeit gemeinsame Wahlkampfauftritte mit Liz Cheney. Die frühere Kongressabgeordnete gehörte früher zur Fraktionsführung der Republikaner, wandelte sich dann aber zu einer der schärfsten Kritikerinnen Trumps.

Bei einem kürzlichen Auftritt mit Harris meinte die Tochter des früheren Vizepräsidenten Dick Cheney: «Es geht nicht um eine Wahl zwischen zwei Parteien. Es geht um das Richtige oder das Falsche.» Viele Konservative sagten ihr, dass sie nicht für Trump stimmen würden, aber sie könnten dies nicht öffentlich machen. Sie sollten sich nicht sorgen, erklärte Cheney ihrem Publikum: «Ihr könnt bei der Wahl eurem Gewissen folgen und es niemandem erzählen.» Millionen von Republikanern würden sich am 5. November so verhalten.

Ob sich diese Hoffnungen der Demokraten erfüllen, ist derzeit jedoch schwer absehbar. Smith zeigt sich vorsichtig: «Es könnte diese stillen Harris-Wähler womöglich geben», meint er. Allerdings handelt es sich bei ihnen vermutlich vor allem um Republikaner mit einer höheren Schulbildung, die den Meinungsforschern eigentlich nicht entgehen sollten. Trump scheint mit seiner polarisierenden Rhetorik derweil erneut zu versuchen, seine Basis in den unteren Bildungsschichten auszuweiten – nicht nur unter weissen Arbeitern, sondern auch unter Latinos und Afroamerikanern.

Smith gibt derweil zu bedenken, dass sich die Meinungsforschung ohnehin in einem grossen Wandel befindet. Wurden die Daten bis vor wenigen Jahren vor allem per Telefon gesammelt, verlagert sich dies zunehmend in den günstigeren Online-Bereich. Dabei werde derzeit mit den unterschiedlichsten Methoden hantiert, meint Smith. «Noch gibt es keinen Konsens über die beste Anwendung dieser neuen Methoden.»

«Eine Umfrage ist kein exaktes Messinstrument, es ist eine psychologische Herausforderung», erklärt Smith. «Selbst wenn ich die Reihenfolge meiner Fragen ändere, kann dies zu ganz anderen Resultaten führen.» Hinzu kommt, dass die Wahlresultate in den USA derzeit so knapp ausfallen wie fast nie in der Geschichte des Landes zuvor. Die Wahrscheinlichkeit ist deshalb gross, dass die Prognosen auch dieses Jahr falschliegen. Entweder werden uns die Trump- oder die Harris-Wähler überraschen.

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