Erstmals in Trumps zweiter Amtszeit kam es am Samstag in ganz Amerika zu grossen Protesten gegen seine Machtkonzentration und den Staatsabbau. Viele reisten in Bussen nach Washington, um in der Hauptstadt ein Zeichen zu setzen.
Der Widerstand gegen Donald Trump scheint in den USA langsam in Schwung zu kommen. In allen Gliedstaaten kam es am Samstag zu über 1400 Protesten mit Hunderttausenden von Teilnehmern. In Manhattan war der Demonstrationszug fast 20 Häuserblocks lang. Auch in anderen Grossstädten wie Boston oder Chicago gingen Tausende, vielleicht auch Zehntausende auf die Strassen. In der Grenzstadt Detroit demonstrierten Amerikaner und Kanadier auf beiden Seiten des Detroit-Flusses gegen Trumps Zollpolitik.
Auch in der Hauptstadt strömten Tausende in die Innenstadt. Gegen Mittag war die weitläufige Rasenfläche rund um den 169 Meter hohen Obelisken zu Ehren von George Washington mit Menschen gefüllt. Nicht wenige nahmen dafür eine weite Anreise in Kauf. Nancy etwa reiste im Bus mit einer Gruppe aus New Jersey an. Ihren Familiennamen will sie nicht verraten. In ihrer Hand trägt sie ein Schild mit der Aufschrift «Kämpft gegen den Zerfall der Wahrheit». Sie hätte auch bei sich Zuhause an eine Kundgebung gehen können, erzählt sie. «Aber für Trump ist die Grösse von Menschenmengen wichtig.» Deshalb sei sie nach Washington gekommen, um in der Hauptstadt ein Zeichen zu setzen.
Ein moralischer Nackenschlag
«Die Regierung zerstört alles, für was Amerika steht», meint Nancy. Trump ruiniere die Beziehungen mit den Verbündeten der USA. Gleichzeitig sei sie entsetzt über den Tech-Milliardär Elon Musk. «Dass es einem nicht gewählten Milliardär erlaubt ist, den Staat wahllos und willkürlich abzubauen, ist schockierend.» Sie selbst sei kurz vor der Pensionierung und fürchte um ihre Rente.
Ein paar Schritte weiter steht ein Mann mit Baseballmütze, Sonnenbrille und einem blauen T-Shirt mit der Aufschrift «Frei von Königen seit 1776». Ein Interview will er allerdings nicht geben. Offenbar aus Angst: «Diese Jungs in der Regierung respektieren keine Grundrechte.» Jetzt müsse Europa das Bollwerk für die Freiheit in der Welt werden. «Vermasselt das nicht!»
Sandy Maynard ist aus Boston nach Washington geflogen. Auch sie fürchtet um ihre Rente und die amerikanische Demokratie. Trump hat zwar versprochen, die Altersversicherung nicht anzutasten. Aber Maynard traut ihm nicht. «Er hat in seiner ersten Amtszeit 30 000 Mal gelogen.» Selbst die moderaten Republikaner hätten Angst vor ihrem Präsidenten. «Wie Putin will Trump, dass die Oligarchen alles übernehmen und sich bereichern.»
In diesem Moment bricht es aus Maynards Freundin Mary heraus: «Wir Amerikaner unterstützen nicht, was dieser Bastard dem Rest der Welt antut.» Sie sei sehr wütend und schockiert über die verhängten Zölle. In einem einzigen Tag seien ihre gesamten Überzeugungen durch einen «Idioten» zerstört worden, der keinerlei wirtschaftlichen Verstand habe. Es sei ein moralischer Nackenschlag: «Unser ganzes Leben wurde uns gesagt, dass wir das Volk sind, das für andere einsteht. Und jetzt fallen wir allen in den Rücken.»
Auch Steve Horton ist alarmiert. «Nichts ausser solche Proteste können Trump aufhalten», glaubt der Veteran. Er reiste aus der Kleinstadt Albany im Gliedstaat New York an. Um drei Uhr morgen sei er aufgestanden und dann sieben Stunden in einem Bus hierher gefahren. «Unser Supreme Court hat Donald Trump freie Hand gegeben, alles zu tun, was er will», erklärt Horton. Er meint damit das Urteil im vergangenen Sommer, das dem Präsidenten eine weitgehende Immunität für Verbrechen im Amt einräumt. Deshalb seien die Demonstrationen nun so wichtig: «Wir wollen eine Demokratie sein und wir kämpfen dafür.»
Horton protestiert aber vor allem auch gegen die Kürzungen im Departement für das Veteranenwesen. Die Regierung plant rund 83 000 Stellen zu kürzen. Horton fürchtet, dass damit auch die Leistungen und medizinischen Behandlungen für Veteranen abgebaut werden. «Sie wollen, dass wir für unser Land kämpfen, aber wenn wir nach Hause kommen, streichen sie uns die Hilfen.»
Angst um Bildung und Wissenschaft
Ein Veteran ist auch Ned Kelly. Früher war er in Deutschland stationiert. Der 35-Jährige arbeitet indes immer noch als Angestellter eines Auftragnehmers für den Staat. Deshalb soll sein richtiger Name geheim bleiben. Auch Kelly sieht die Gewaltenteilung in den USA in Gefahr. Er fürchtet «ein Abgleiten in den Faschismus und eine Oligarchie».
Seine Frau Ashley hat hingegen ganz konkrete Sorgen. Die Lehrerin unterrichtet an einer öffentlichen Schule, deren Kinder mehrheitlich aus armen Familien stammen. Solche Schulen sind auf Bundesgelder des Bildungsministeriums angewiesen. Doch Trump hat es sich zum Ziel gesetzt, dieses Ministerium abzuschaffen. Seine Regierung hat bereits die Hälfte der Mitarbeiter dieser Behörde entlassen. Ashley fürchtet, dass auch die Hilfsgelder für ihre Schule gekürzt werden könnten. «Ich habe grosse Angst um meine Schüler.»
Die 28-jährige Addison kriegt die Sparmassnahmen der Regierung bereits hautnah zu spüren. Sie arbeite in einer Klinik für die Behandlung von krebskranken Menschen. «Viele meiner Patienten sind in Not, weil Forschungsprojekte gestrichen wurden, die ihre letzte Überlebenschance waren.» Weil alle anderen Therapien nicht halfen, hätten diese Patienten an klinischen Studien teilgenommen. Für deren Weiterführung fehle nun aber die staatliche Finanzierung.
«Ich bin hierher gekommen, um für Bildung und Wissenschaft zu kämpfen», erzählt Addison und stemmt ein selbstgemaltes Bild in die Höhe. Darauf steckt Trump seinen Kopf aus einer Toilette. Auf seiner roten Mütze steht geschrieben: «Make America Poor Again» (Macht Amerika wieder arm) – eine kritische Abwandlung seines Wahlslogans «Make America Great Again».
Palästina und die Grenzen der Redefreiheit
Die Demonstration am Washington-Monument richtete sich vor allem gegen Trumps und Musks Angriff auf die Demokratie, den Rechtsstaat und die Bürokratie. In der Nähe des Capitols protestierten am Samstag aber auch Hunderte für ein freies Palästina sowie gegen die Verhaftung und Ausschaffung ausländischer Studenten, die sich im vergangenen Jahr an den propalästinensischen Demonstrationen beteiligt hatten. Für Julia Caruk gehören diese beiden Bewegungen – gegen Trump und für Palästina – indes zusammen. Am Samstag trug sie ein Schild mit sich, auf dem stand: «Juden für ein freies Palästina.» Auf der Rückseite schrieb Caruk den Satz: «Demokratie erfordert Redefreiheit.»
Caruk ist selbst Jüdin. Ihre Urgrosseltern flüchteten vor dem Holocaust in die USA. Nun aber kritisiert sie die Trump-Regierung und deren Kampf gegen Antisemitismus an den Universitäten. Washington verlangt von den Hochschulen unter anderem eine Definition von Antisemitismus, welche aus propalästinensischer Sicht eine legitime Kritik an Israel verhindern könnte. Für Caruk ist dies problematisch: «Wenn dadurch die Meinungsfreiheit an den Universitäten unterdrückt wird, werden die Juden am Ende dafür beschuldigt. Es wird auf uns zurück fallen», meint Caruk.
Trump gehe aber nicht nur gegen Universitäten, sondern etwa auch gegen unliebsame Anwaltskanzleien vor. Einige haben sich aus Angst um ihre Existenz auf einen Deal mit dem Präsidenten geeinigt. Schrittweise könne so die Freiheit verlorengehen, glaubt Caruk. «Weil die Leute Angst haben, zu reden.»
Möglicherweise haben auch viele in Washington am Samstag nicht an der Demonstration teilgenommen, die gerne gekommen wären. Sarah Yerkes arbeitet für eine Denkfabrik und meint: «Viele meiner Freunde, die für den Staat arbeiten, kamen heute nicht, weil sie Angst haben, gefeuert zu werden, sollten sie vor eine Kamera laufen.» Deshalb spüre sie auch eine Verantwortung, für alle hier zu sein, die dies nicht könnten.