Montag, Oktober 7


Modische Koch-Serie

Der eigentliche Hauptdarsteller der ersten Staffeln von «The Bear» war Carmys weisses, perfekt geschnittenes T-Shirt. In der dritten, die eben in den USA gestartet ist, dreht sich alles um die Bandanas von Souschefin Sydney.

Das Ganze begann mit dem T-Shirt. Als die amerikanische Dramaserie «The Bear» im Juli 2022 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, zog Carmen «Carmy» Berzattos Oberteil die Zuschauerinnen und Zuschauer in den Bann. In sozialen Netzwerken wie Tiktok und Reddit wurde gesucht, in Zeitungen viel spekuliert: Woher hatte der junge Koch, der die Welt des Fine Dining in New York verlassen hat, um nach dem Selbstmord seines Bruders dessen heruntergekommenen Sandwichladen zu übernehmen, sein perfekt geschnittenes weisses T-Shirt?

Noch Ende desselben Monats verkündete das «New York Magazine» triumphierend: «Wir haben das weisse T-Shirt aus ‹The Bear› gefunden!», und löste damit eine der grossen modischen Rätsel des Jahres. Es war auch die kollektive Ermittlungsarbeit, die einen grossen Teil des Serienvergnügens ausgemacht hat.

Nun ist in den USA die dritte Staffel der Serie mit der grossherzigen, aber dysfunktionalen Küchencrew gestartet. Modisch steht diesmal nicht mehr ein 100-Dollar-Shirt von Carmy im Mittelpunkt, sondern die Bandanas seiner ehrgeizigen jungen Souschefin Sydney, gespielt von Ayo Edebiri.

«Das Bandana ist das einzige ‹The Bear›-Merch, das ich haben möchte»

In der Küche trägt sie diese konsequent im Piratenstil um den Kopf gebunden; zum Dreieck gefaltet, das obere Eck fällt locker über den Kopf nach hinten. Wilder Batik wechselt sich dabei mit klassischem Paisleymuster ab, einmal zieren orange-grüne Fische Seidenfoulards, dann wieder eine abstrakte Sonne ein Tuch aus Baumwolle.

Wie bei Carmys T-Shirt vom deutschen Unternehmen Merz b. Schwanen waren es zahlreiche Instagram- und X-Accounts wie @ayoedebiristyle, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, jedes einzelne Bandana von Sydney ausfindig zu machen. Einige sind vintage und nur auf Resale-Plattformen wie Ebay verfügbar, andere aus kleinen Boutiquen in Chicago, wo die Serie spielt. Mehrere Modelle sind vom japanischen Label Kapital.

Während die Kritiken zur neuen Staffel der Serie eher durchmischt ausfallen, sind sich auch die amerikanischen Portale einig: «Wenn es Carmys Locken und weisse T-Shirts waren, die die ersten beiden Staffeln von ‹The Bear› dominierten», schreibt etwa «Variety», «dann sind es in der dritten Staffel die vielen Bandanas von Sydney.» «Bustle» titelt: «Sydneys Bandanas sind der Star der dritten Staffel.» Für Danielle Cohen vom Lifestylemagazin «The Cut» ist das Bandana sogar «das einzige ‹The Bear›-Merch, das ich haben möchte». Und das, obwohl die Serie vor wenigen Tagen eine limitierte Kapsel-Kollektion mit der Modemarke J. Crew präsentiert hat.

Im Dauerstress und Designer-Look

Dabei geht es in der preisgekrönten Serie um alles andere als um Mode. Sie bekam vor allem begeisterte Kritiken aus der Gastrobranche, weil «The Bear» zeigt, wie hart und intensiv der Alltag in der Küche wirklich ist. Wie jede professionelle Köchin oder wer jemals in einer Restaurantküche gearbeitet hat, weiss, muss die Kleidung einer Servicekraft in erster Linie funktional sein; weisses Hemd, schwarze Hose und bequeme Schuhe. Auch die Looks von «The Bear» scheinen auf den ersten Blick praktisch und subtil, geben nicht das Narrativ vor. Aber sie unterstützen es.

So bekommt Sydney etwa im Finale der zweiten Staffel von Carmy eine Kochjacke. Nicht irgendeine: Sie ist vom US-Label Thom Browne und kostet – das hat die Internetgemeinde herausgefunden – mit dem Preis von 600 Dollar um einiges mehr als handelsübliche Kochjacken. Da Sydney Carmy in der zweiten Staffel bei der Umgestaltung des Sandwich-Shops in ein Lokal der Spitzenklasse massgeblich unterstützt hat, scheint sie also nur das Beste zu verdienen. Zumindest was Kleidung anbelangt.

Auch wenn die Jacke das im Browne-Kosmos immer wiederkehrende Grosgrain-Band in Blau, Weiss und Rot an den Ärmeln trägt – das Zeug zum Hype hat sie nicht. Wie also bringt man persönlichen Stil in einem einheitlichen Outfit zum Ausdruck? Ohr- und Halsschmuck, Uhren oder Ringe sind Köchinnen und Köchen aus Hygienegründen in der Küche nicht erlaubt. In der Show, die hierzulande am 14. August 2024 auf Disney+ startet, stellt Sydney unter Beweis, dass auch ein bodenständiges Stück wie ein Bandana zum eigentlichen Helden einer Serie werden kann.

Ein aufgeladenes Stück Stoff

Der Look hat seine praktische Berechtigung: Das Bandana hält Schweiss und Haare aus Gesicht und Topf, während die Souschefin ihre Michelin-verdächtigen Mahlzeiten zubereitet. Nicht ohne Grund ist es bei Köchinnen und Köchen ein viel getragenes Stück Stoff. «Meine anfängliche Inspiration für Sydneys Bandanas kam von Recherchen über andere Köchinnen und davon, was sie in der Küche trugen», wird Cristina Spiridakis, eine der beiden Stylistinnen der Serie, vom Online-Magazin «Pop Sugar» zitiert. Ausserdem würden viele schwarze Frauen so ihr Haar schützen, was auch eine Rolle bei der Wahl des Accessoires gespielt habe.

Ausschliesslich zum praktischen Nutzen wird das Bandana aber nicht eingesetzt. Bereits in einem Interview mit dem Online-Magazin «Vulture» im Jahr 2022 sagte Courtney Wheeler, die zweite Stylistin der Serie: «Die Entscheidung, sich für diesen Tag ein Bandana auszusuchen, gibt Sydney ein gutes Gefühl, weil sie sich ständig der Welt ausgeliefert fühlt.» Es stehe für das, was sie darin kontrollieren könne.

Zwar trägt es Sydney auch schon ab und an in der ersten Staffel – in der dritten aber, die sich vor allem um Carmys Unfähigkeit, einen funktionalen, gesunden Arbeitsplatz in seinem neuen Gourmetrestaurant «The Bear» zu schaffen, dreht, sei es eine Form des Ausdrucks, wird Wheeler nun von verschiedenen Online-Magazinen zitiert: «Für Sydney ist es eine Möglichkeit, ihren eigenen Standpunkt in die Umgebung zu bringen, in der ihre Meinung vielleicht nicht ohne weiteres akzeptiert wird.»

Das passt. Als kämpferisches Accessoire dient das bedruckte Stofftuch schon lange; Ende des 19. Jahrhunderts der Arbeiterbewegung, später als Erkennungszeichen unter Gangs, unter schwulen Männern als Code für verschiedene sexuelle Präferenzen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es zu einem Symbol des Feminismus, für unabhängige und berufstätige Frauen: Während die Männer im Krieg waren, haben Frauen in den Fabriken Munition hergestellt. Die Haare haben sie sich mit einem Bandana zusammengebunden. Weltbekannt ist das «We can do it»-Poster mit Rosie the Riveter.

Dieser Hintergrund und die Tatsache, dass Sydney in der letzten Episode der dritten Staffel (Achtung, Spoiler!) von einem Freund ein vielversprechendes Jobangebot als Chef du Cuisine bekommt, verdeutlichen, dass ihre Bandanas definitiv nicht als leeres Mode-Statement gelesen werden dürfen. Es ist ein Stück Selbstermächtigung. Sydneys Talent wird gesehen, sie schafft es auch ohne Carmy. Ob sie das «The Bear»-Team aber auch verlässt, zeigt sich in der vierten Staffel.

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