Montag, Januar 27

Ein europäisches Team hat 2800 Meter in die Tiefe gebohrt, um ein Rätsel der Eiszeiten zu lösen. Das Projekt forderte die Teilnehmer auch körperlich.

Die Glace im heimischen Kühlfach wird selten älter als ein paar Wochen. Das Eis an der Sohle des Aletschgletschers kann 1000 Jahre alt werden, bevor es wieder schmilzt. Ein beachtliches Alter, aber im Vergleich zum antarktischen Eis so jung wie die Glace im Kühlfach: Die Eismassen, die sich am Südpol aus zusammengedrücktem Schnee bilden, werden viele hunderttausend Jahre alt.

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Bohrproben aus dem Eispanzer der Antarktis halten für den, der sie zu lesen weiss, eine einmalige Geschichte parat: Der dramatische Wechsel zwischen Eis- und Warmzeiten zeichnet sich darin ebenso ab wie die Schwankungen des CO2– und des Methan-Gehalts der Luft.

Jetzt können Forscher erstmals 1,2 Millionen Jahre weit in die Vergangenheit zurückblicken. Der bisherige Rekord lag bei 800 000 Jahren. Gelungen ist dieser Erfolg einem europäischen Konsortium, an dem die Schweiz und neun weitere Länder beteiligt waren. Mitte Januar beendeten sie die Bergung eines 2800 Meter langen Eisbohrkerns aus der Antarktis, der mindestens bis in eine Tiefe von 2500 Metern in zeitlicher Reihenfolge geschichtet ist.

Die Bohrung startete 3200 Meter über dem Meer

Das Bohren von Eiskernen ist anspruchsvolle Arbeit – in einer Höhe von 3200 Metern über dem Meeresspiegel. Die Mitglieder des Teams arbeiten in 8-Stunden-Schichten, jeweils zu dritt. Sie bohren in einem grossen Zelt, bei minus 25 Grad.

Anfangs kam das Team 30 Meter pro Tag voran, jenseits von 2000 Metern Tiefe dann aber nur noch 20 Meter pro Tag. 4,5 Meter lang sind die Eiskerne zunächst. Sie werden in 1 Meter lange Stücke geschnitten, dokumentiert und zwischengelagert.

Als dem Team bewusst wurde, dass die Bohrung einen neuen Altersrekord erreicht hatte, stieg eine Feier. «Wir sind nicht so gut mit Alkohol ausgestattet, aber Prosecco gab es schon», erzählt die Labortechnikerin Barbara Seth von der Universität Bern an einem Medientermin.

Für Mitarbeiterinnen wie Seth ist die Arbeit noch anstrengender als für ihre männlichen Kollegen. Vieles in dem Camp sei für grosse Menschen gebaut, sagt sie. Die meisten Forscherinnen seien aber kleiner als 1,70 Meter. So mussten etwa die einzelnen Stücke des Eiskerns fotografiert werden, der Auslöser der Kamera war für Seth aber unerreichbar hoch angebracht. Sie stieg darum auf eine Transportkiste. Man habe viele dieser Hürden mit Humor genommen, sagt sie.

Die Arbeit in der Antarktis ist mühsam, aber ein wenig Freizeit gibt es dort durchaus. Dann gehen die Mitarbeiter des Camps ihren Hobbys nach – sie lesen, fotografieren oder machen Musik. Manche betreiben auch Langlauf oder Kitesurfen, Schnee gibt es ja genug dafür.

Das Bohren von Eiskernen hat viele Tücken

Gebohrt wird immer im Sommer der Südhalbkugel, im Winter wäre es dafür viel zu kalt. Drei Sommer hintereinander hat alles funktioniert. Doch auch beim Bergen eines Eiskerns kann noch einiges schiefgehen. Zum Beispiel kann der Bohrer steckenbleiben – so geschehen bei einem Vorgängerprojekt im Sommer 1998/99.

«In einer Tiefe von 700 Metern konnten wir den Bohrer nicht mehr frei kriegen und mussten noch einmal in die Tiefe bohren», sagt Hubertus Fischer von der Universität Bern, der Schweizer Untersuchungsleiter des laufenden EU-Projekts «Beyond Epica – Oldest Ice». Inzwischen gebe es Techniken, um einen Bohrer wieder zu befreien, zum Beispiel mithilfe des Frostschutzmittels Glykol.

Pannen können auch beim Transport auftreten. Der Eisbohrkern lagert zunächst in der Antarktis. Dann wird er bei einer Temperatur von minus 50 Grad in speziellen Kühlcontainern nach Europa verschifft. Doch die Kühlung könnte ausfallen – dann schmölze das Eis, und es gingen wertvolle Informationen verloren. «Das macht uns Bauchschmerzen», sagt Fischer.

Deshalb haben die Container zwei Kühlaggregate, und sicherheitshalber reist immer ein zweiter, leerer Kühlcontainer mit. Zunächst kommt der Bohrkern in ein Lager in Bremerhaven. Im August wandern die Kerne dann zur Auswertung an die Universität Bern. Auch dort gibt es Ersatzaggregate.

Klimaforscher erhoffen sich vom neuen Eisbohrkern die Lösung eines Rätsels, mit dem sie sich schon lange beschäftigen: Vor 1,5 Millionen Jahren wurden die Eiszeiten noch alle 40 000 Jahre durch eine Warmzeit unterbrochen. Dann aber gab es einen Wechsel, Eiszeiten und Warmzeiten wiederholten sich danach nur noch alle 100 000 Jahre.

Was diesen Wechsel verursacht haben könnte, ist unklar. Waren es die Treibhausgase? Waren es Meeresströmungen? In Fachkreisen kursieren mehrere Ideen. Um herauszufinden, welche davon stimmt, braucht es zusätzliche Daten für die Rekonstruktion der Klimageschichte. Und der neue Eisbohrkern soll sie liefern.

An diesem Schatz der Klimaforschung wollen viele europäische Forscher teilhaben. Ein genauer Wissenschaftsplan verteilt die Messungen über mehrere Gruppen: «Es gibt so viele Proben, die können wir alleine in Bern gar nicht alle messen», sagt Fischer. Die Treibhausgasmessungen werden in einem Labor in Bern gemacht, ein Teil – auch der Qualitätskontrolle wegen – an der Universität Grenoble.

An Edelgasen lässt sich die Temperatur des Meeres ablesen

Neben den Treibhausgasen CO2 und Methan interessieren sich die Berner Wissenschafter auch für Edelgase wie Krypton, Xenon und Argon. Denn anhand dieser Gase können sie enthüllen, wie warm die Weltmeere in der Vergangenheit waren.

Von Gasen auf die Vergangenheit zu schliessen, ist möglich, weil ein Teil der Edelgase auf der Erde immer in Wasser gelöst ist – und weil der genaue Anteil von der Wassertemperatur abhängt: Je kälter das Wasser, desto mehr von den Gasen befindet sich im Meer. Entsprechend weniger Krypton, Xenon und Argon ist dann in der Luft vorzufinden und gelangt in die Luftbläschen, die im Eis der Antarktis eingeschlossen sind.

Bei einer Temperatur von minus 258 Grad Celsius holen die Forscher das Gas aus den Bläschen im Eis und messen die Mengenverhältnisse der Edelgase mit einem Massenspektrometer. So können die Wissenschafter die Durchschnittstemperatur der Weltmeere errechnen. Dieser Befund soll zur Lösung des Rätsels um die Veränderung des Eiszeit-Übergangs beitragen.

Der einfachste Erklärungsversuch für das Eiszeit-Rätsel geht so: Vor 1,5 Millionen Jahren war der Gehalt der Treibhausgase CO2 und Methan in der Luft höher als heute, darum war es damals wärmer. Die Eismassen auf der Nordhalbkugel waren dünner und weniger robust. Entsprechend brauchte es weniger Energie, um aus einer Eiszeit wieder herauszukommen. Darum wurden die Eiszeiten alle 40 000 Jahre durch eine Warmzeit unterbrochen. Mit sinkendem Gehalt der Treibhausgase fiel die Temperatur, die Eismassen wurden grösser – und die Eiszeiten gingen nur noch alle 100 000 Jahre in eine Warmzeit über. Vor ungefähr 800 000 Jahren war dieser Übergangsprozess abgeschlossen.

Die Lösung des Eiszeit-Rätsels ist allerdings komplex, da sich viele Dinge gleichzeitig geändert haben können, zum Beispiel auch die Meereszirkulation und das Meereis. Die Wissenschafter sind dennoch zuversichtlich, mithilfe der Fülle von Indizien, die nur der neue Eiskern liefern kann, die Antwort zu finden.

Flugzeuge, Schiffe und Kettenfahrzeuge waren unterwegs

Mit der immensen Bedeutung für die Klimaforschung liess sich auch das grosse Budget des Projekts begründen. «Beyond Epica – Oldest Ice» kostet 30 Millionen Euro. Der Grossteil kommt vom EU-Forschungsprogramm Horizon 2020. Der Schweizerische Nationalfonds leistete einen Beitrag von 3 Millionen Franken. Die hohen Kosten haben viel mit der aufwendigen Logistik zu tun: Flugzeuge, Schiffe und Kettenfahrzeuge sind im Einsatz, um Personal und Material zum Einsatzort Little Dome C in der Antarktis und wieder zurück zu bringen.

Barbara Seth tritt ihren Rückflug aus der Antarktis voraussichtlich am 5. Februar an. Sie hat schon dreimal bei einer Bohrung in Grönland mitgeholfen, aber es war das erste Mal in der Antarktis. Ein grossartiges Erlebnis, sagt sie, es sei fast immer schönes Wetter gewesen. «Ich war drei Monate hier, es gab nur zehn Tage ohne blauen Himmel.» Sosehr sie die Zeit in der Antarktis auch genossen hat, nach einem sehnt sie sich nun doch – «nach grünen Bäumen».

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