Mittwoch, Januar 15

Der Boxverband IBA ist im Sport ein Paria und vom Internationalen Olympischen Komitee ausgeschlossen. In Paris sorgen die IBA und ihr russischer Präsident trotzdem für Wirbel.

Auf den ersten Blick scheint das Verdikt klar: Da verprügelt ein biologischer Mann im Boxring eine biologische Frau – und das an den Olympischen Spielen. Das behauptet zumindest der Internationale Boxverband (IBA) nach dem Kampf der Algerierin Imane Khelif gegen die Italienerin Angela Carini. Diese gibt das Duell nach 46 Sekunden auf und sagt hinterher, sie sei so geschlagen worden wie noch nie in ihrem Leben.

Die IBA teilte mit, die 25-jährige Khelif sei im letzten Jahr wegen eines nicht bestandenen Geschlechtstests vor dem Finalkampf von den Weltmeisterschaften ausgeschlossen worden. Ihr Start an den Olympischen Spielen sei ein Skandal und gefährde die Gesundheit der Gegnerinnen. Der Aufschrei in den sozialen Netzwerken ist riesig; auch die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist echauffiert und äussert sich entsprechend.

So eindeutig ist dieser Fall allerdings nicht, auch wenn Khelif eher männliche Züge hat. Für die Behauptung, bei der Algerierin handle es sich um eine intersexuelle Athletin, die männliche XY-Chromosomen besitze und wegen des erhöhten Testosteronwerts im Blut einen Wettbewerbsvorteil habe, liefert die IBA keinen eindeutigen Beweis. Der Boxverband schreibt lediglich, es sei an den Weltmeisterschaften kein DNA-Test vorgenommen worden, sondern ein anderes, anerkanntes Verfahren. «Das Resultat führte zum Ausschluss. Es war eindeutig und bleibt vertraulich», schreibt die IBA.

Das Internationale Olympische Komitee (IOK) teilte hingegen mit, die Causa Khelif habe nichts mit Transsexualität zu tun. Es lässt sie in Paris antreten. Was ist da los?

Manipulationen in Rio de Janeiro, Geld von Gazprom

Die IBA ist seit 2019 im internationalen Sport ein Paria. Damals wurde der Verband vom IOK ausgeschlossen, gehörte fortan nicht mehr zur olympischen Familie. Das Internationale Sportschiedsgericht (TAS) in Lausanne bestätigte dieses Verdikt 2023. Zum Ausschluss war es gekommen, nachdem an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016 der Verdacht manipulierter Ringrichter-Urteile aufgekommen war. Ausserdem taxierten die IOK-Funktionäre die Finanzierung des Boxverbands als zu wenig transparent und dessen Führung als zu wenig seriös.

Es geht im Fall Khelif also um weit mehr als eine möglicherweise intersexuelle Athletin. Die IBA wird vom russischen Funktionär Umar Kremlew präsidiert, der als Vertrauter des Machthabers Wladimir Putin gilt. Der Verband wird seit 2021 teilweise vom russischen Konzern Gazprom alimentiert, der mehrheitlich dem russischen Staat gehört. Kremlew wurde bei der Bekanntgabe dieser Zusammenarbeit mit den Worten zitiert: «Die fruchtbare Partnerschaft wird den Weg für gemeinsame Siege ebnen.» Nach Russlands Einmarsch in die Ukraine liess Kremlew russische und weissrussische Athletinnen und Athleten weiterhin kämpfen, schloss hingegen ukrainische Sportler aus.

Für 2028 in Los Angeles bringt sich ein anderer Boxverband ins Spiel

Seit dem TAS-Urteil von 2023 und dem definitiven Ausschluss durch das IOK, hat die IBA keine Zukunft an den Olympischen Spielen. Die Boxturniere 2021 in Tokio und nun in Paris organisierte eine Arbeitsgruppe des IOK; für die Spiele in vier Jahren in Los Angeles hat sich mit World Boxing ein anderer Verband ins Gespräch gebracht. Dessen Präsident Boris van der Vorst wollte 2020 die Führung der IBA übernehmen, Kremlew schloss seine Kandidatur aber unter fadenscheinigen Gründen aus.

Kremlew nutzt seinen Verband und Athletinnen wie Khelif nun, um Stimmung gegen das IOK zu machen. In Paris sind nach zähen Debatten lediglich 15 russische Athletinnen und Athleten am Start, die unter neutraler Flagge starten müssen. Jüngst gab es ausserdem Vorwürfe, wonach an diesen Spielen Sportler aus Russland mitmachen, welche den Angriffskrieg gegen die Ukraine in den sozialen Netzwerken verherrlicht hätten.

Mit der Geschlechterdebatte will die IBA das IOK desavouieren und von den Vorwürfen gegen russische Athleten ablenken. Wäre es dem Verband ernst mit dem Gesundheitsschutz von Boxerinnen, würde er einen eindeutigen Beweis für die Intersexualität dieser Athletinnen liefern.

Mittlerweile hat auch die unterlegene Italienerin Carini ihr Unverständnis über die Geschlechterdebatte um Khelif geäussert. «Wenn sie nach Meinung des IOK kämpfen darf, respektiere ich diese Entscheidung», sagte sie der «Gazzetta dello Sport».

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