Der tödliche Vorfall wirft viele Fragen auf. Angehörige sprechen von strukturellem Rassismus, Politiker fordern eine schnelle Aufklärung. Am Freitagabend findet eine Kundgebung statt.
In der Nacht auf den Ostersonntag ist es in der Innenstadt von Oldenburg zu einem tragischen Vorfall gekommen. Ein Polizist hat fünf Mal auf einen 21-jährigen schwarzen Mann geschossen und ihn dabei tödlich verletzt. Drei Mal habe der Polizist, so teilt es die Staatsanwaltschaft Oldenburg mit, von hinten geschossen.
Was aber geschah davor? War der junge Mann mit dem Namen Lorenz A. eine Bedrohung? Waren die Schüsse gerechtfertigt? Diese Fragen sorgen in Deutschland gerade für Aufregung. Familie und Angehörige des Opfers fordern eine gründliche Aufarbeitung des Falls.
Angehörige planen Kundgebung
Am Tatort in der Innenstadt von Oldenburg legen Menschen seit Tagen Blumen und Kerzen nieder. Auf einem Schild steht: «So viel Polizeigewalt, so wenig Konsequenzen». Auch auf Social Media tun viele ihre Empörung über den Vorfall kund. «Wer vier Schüsse von hinten abgibt, will nicht stoppen – sondern töten», heisst es in Posts. Angehörige haben die «Initiative für Gerechtigkeit für Lorenz» gegründet und sprechen sich gegen strukturellen Rassismus bei der Polizei aus.
Gleichzeitig kursieren in den sozialen Netzwerken Bilder von Polizeibeamten, die angeblich an dem Vorfall beteiligt gewesen sein sollen. Sie werden als Mörder beschimpft. Die Polizeidirektion Oldenburg warnt auf X davor, solche Bilder zu verbreiten. Das ziehe strafrechtliche Konsequenzen mit sich.
Am Freitagabend soll in Oldenburg eine Kundgebung stattfinden. Der sozialdemokratische Bürgermeister Jürgen Krogmann sagte, der Wunsch nach lückenloser Aufklärung sei absolut nachvollziehbar. Dennoch appelliere er an die Teilnehmer der Kundgebung, sich nicht instrumentalisieren zu lassen. Krogmann: «Gerade in den sozialen Netzwerken erleben wir eine polarisierende Debatte zwischen den extremen politischen Rändern.» Man habe nach wie vor noch «kein exaktes Bild der Abläufe», sagte er.
Es begann vor einem Nachtklub
Aus der Polizeimeldung von Sonntag ist Folgendes über den Tathergang bekannt: Der 21-jährige Lorenz A. wollte in der Nacht in einen Klub in der Innenstadt von Oldenburg, wurde an der Tür aber abgewiesen. Laut Medienberichten, weil er «unpassende Kleidung», eine Jogginghose, trug. Daraufhin soll der Mann mit «Reizstoff», vermutlich Pfefferspray, in Richtung von zwei Sicherheitsleuten des Klubs gesprüht haben. Mehrere Personen seien dabei leicht verletzt worden.
Der Mann, den die Polizei in der Mitteilung als «Angreifer» bezeichnet, sei daraufhin geflohen. Einige Personen seien ihm gefolgt, kehrten aber um, als der junge Mann ihnen mit einem Messer drohte.
Polizisten hätten den Mann danach angehalten und auf den Vorfall angesprochen, dieser sei davongerannt. In der nächsten Strasse sei er auf einen weiteren Streifenwagen getroffen. Er sei daran vorbeigelaufen und habe mit «Reizstoff» in Richtung der Beamten gesprüht.
Dann fielen die Schüsse. Ein 27-jähriger Beamter habe fünf Mal in Richtung des 21-Jährigen geschossen. Wieso der Polizist sich entschied, zu schiessen, ist bislang unklar.
Laut dem Obduktionsbericht trafen die Schüsse den jungen Mann drei Mal von hinten, in Oberkörper, Hüfte und Kopf. Ein vierter Schuss habe den Oberschenkel gestreift. Der Mann erlag kurze Zeit später im Spital seinen Verletzungen.
Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat ein Ermittlungsverfahren gegen den 27-jährigen Beamten wegen Totschlags eingeleitet. Nach einem Waffengebrauch ist das allerdings üblich. Er sei vom Dienst freigestellt worden, hiess es von der Polizei.
Was geschah mit dem Messer?
Am Donnerstag informierte die Polizei über den gegenwärtigen Stand der Ermittlungen. Unklar scheint nach wie vor, ob der junge Mann das Messer benutzte, um die Polizei zu bedrohen. Zuvor hatten mehrere Medien, darunter die «Bild»-Zeitung, von einem «Messer-Angreifer» berichtet.
Laut der Staatsanwaltschaft habe Lorenz A. nach der Flucht vom Klub einige Personen mit einem Messer bedroht, dieses anschliessend aber eingesteckt. Die Staatsanwaltschaft schreibt, dass das Messer bei dem Mann sichergestellt worden sei. Aber: «Anhaltspunkte dafür, dass er in der Situation der Schussabgabe auch dem Polizisten mit dem Messer gedroht hätte, gibt es derzeit nicht.»
Die Staatsanwaltschaft wertet nun Video- und Audioaufnahmen aus dieser Nacht aus. Darüber hinaus werte man Daten von Mobiltelefonen und Funkgeräten der Polizisten aus. Die Bodycams der Polizisten seien zum Zeitpunkt der Tat allerdings nicht eingeschaltet gewesen. Auch einen Zeugenaufruf hat die Polizei gestartet.
Wie der «Spiegel» aus Behördenkreisen erfuhr, zeigten die Aufnahmen fest installierter Kameras in der Innenstadt, wie sich Lorenz A. auf den Polizeibeamten zubewegte, sich aber wieder abwende, bevor die Schüsse fallen. Das Messer sei auf dem Video nicht zu sehen, schreibt der «Spiegel».
Die Innenministerin von Niedersachsen, die Sozialdemokratin Daniela Behrens, sprach am Dienstag von «schwerwiegenden Fragen» und «verheerenden Vorwürfen». Diese müssten im Rahmen weiterer Ermittlungen schonungslos beantwortet und aufgeklärt werden.