Freitag, November 15

Die europäische Zulassungsbehörde EMA hat erstmals ein Antikörperpräparat zugelassen. Das ist ein wichtiger Schritt – auch wenn das Mittel umstritten ist.

Heilsbringer? Beginn einer neuen Ära? Oder doch viel Geld für wenig Wirkung? Über kaum ein Medikament wurde in den letzten Monaten unter Ärzten und Patienten so heiss diskutiert wie über ein neues Präparat gegen Alzheimer. Es trägt den etwas sperrigen Namen Leqembi. Exemplarisch für diese Uneinigkeit sind die Entscheide der Experten bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA. Im Juli sprachen sie sich gegen eine Zulassung aus. Am Freitag gaben sie jetzt doch grünes Licht.

Die Kehrtwende ist richtig. Das Präparat kann tatsächlich eine neue Ära der Alzheimer-Therapie einläuten.

Das Mittel verlangsamt das Fortschreiten der Defizite

Denn Leqembi ist das erste Mittel überhaupt, das eine Verlangsamung der stetig voranschreitenden Alzheimer-Erkrankung bewirkt. Auch einige andere Medikamente mit ähnlichen Antikörpern können das, sie dürften ebenfalls bald in Europa zugelassen werden.

Schon eine verlangsamte Demenz ist viel wert. Das kann für Patienten wie Angehörige bedeuten, dass die Betroffenen länger weitgehend selbständig leben können. Dass sie später in ein Pflegeheim müssen. Dass sie wichtige Familienereignisse wie eine goldene Hochzeit oder das erste Enkelkind noch bewusst miterleben dürfen.

Aber Leqembi ist kein Wundermittel. Es heilt Alzheimer nicht. Das Fortschreiten der Demenz wird nur sehr moderat gebremst. Und noch weiss man nicht, wie lange der Effekt anhält. Und es ist vor allem zu Beginn der Demenz wirksam, wenn die Symptome noch nicht allzu gravierend sind.

Eine Heilung kann derzeit kein Medikament leisten. Noch kann niemand erklären, wie eine Demenz entsteht. Klar ist nur, dass viele Faktoren das Gehirn schädigen. Einer davon sind Proteinklumpen, die sich an Nervenzellen kleben und diese vergiften. Der Wirkstoff von Leqembi, ein Antikörper namens Lecanemab, bindet an solche Klumpen. Daraufhin werden diese entsorgt. Das verlangsamt das Zellsterben. Doch bereits vorhandene Löcher werden nicht repariert. Zudem ist unklar, inwieweit auch andere schädliche Prozesse durch den Antikörper gestoppt werden.

Natürlich stimmt es, dass angesichts des Dramas, das Alzheimer für Patienten und Angehörige bedeutet, die bisher erzielten Wirkungen enttäuschend ausschauen. Vor allem wenn man in Betracht zieht, dass erstens allein das Präparat pro Jahr mit 26 000 Dollar zu Buche schlägt. Nochmals ungefähr dieselbe Summe muss für medizinische Betreuung und begleitende Kontrolluntersuchungen ausgegeben werden. Zweitens ist Leqembi keineswegs harmlos, in einigen Fällen hat es eine gefährliche Hirnblutung ausgelöst.

Vorreiter für weitere Medikamentenforschung

Die Zulassung in der EU für Leqembi ist trotz allen Defiziten ein wichtiger Schritt. Nur wenn das Präparat an vielen Patientinnen und Patienten im klinischen Alltag eingesetzt wird, können Ärztinnen und Ärzte besser erkennen, wer es bekommen soll – und wer nicht. Nur so entsteht Klarheit darüber, wie lange der Effekt anhält und welche Dosierung bei welcher Patientengruppe am wirksamsten ist.

Das Ja der EMA bedeutet auch, dass Europa in der Therapieforschung bei Demenz mit anderen Ländern mithalten kann. Denn Leqembi ist in den USA, China oder Japan seit einigen Monaten zugelassen. Auch in Grossbritannien ist es seit Oktober erhältlich, allerdings nur auf eigene Rechnung.

Leqembi könnte die Tür zu weiteren neuartigen Demenztherapien öffnen. Auch die ersten Aids-Medikamente waren Vorreiter. Als sie Ende der 1980er Jahre auf den Markt kamen, hatten sie zunächst keine langanhaltende Wirkung. Die Diagnose Aids blieb somit ein Todesurteil. Knapp zehn Jahre später kam dann der wirkliche Durchbruch in der Therapie. Aids ist heute eine Krankheit, mit der man mit Medikamenten gut leben kann.

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