Bereits 2023 hatte die amerikanische Zulassungsbehörde FDA das Präparat zugelassen, nun folgt die EMA. Das Medikament ist umstritten. Wir beantworten die wichtigsten Fragen dazu.
Am Freitag (14. November 2024) hat die europäische Zulassungsbehörde EMA verkündet, dass sie das Alzheimer-Medikament mit dem Wirkstoff Lecanemab mit gewissen Einschränkungen zulässt. Das Medikament der Pharma-Unternehmen Eisai und Biogen soll dazu dienen, das Fortschreiten der Krankheit in einem frühen Stadium zu verlangsamen.
Noch im Juli hatte die EMA dem Präparat die Zulassung verweigert. Hingegen hatte bereits Anfang Januar 2023 die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA grünes Licht für das Mittel gegeben. In Grossbritannien können Patienten das Medikament seit Oktober nur auf eigene Rechnung erhalten, nicht jedoch via Krankenversicherung. Denn die Behörden stuften den Nutzen als zu gering ein, als dass die hohen Kosten gerechtfertigt seien, hiess es. Das Mittel selber schlägt mit mehr als 26 000 Dollar pro Jahr zu Buche, die Behandlungen und medizinischen Kontrollen verschlingen dieselbe Summe.
In den letzten zwei Jahren haben mehrere neue Medikamente gegen eine Alzheimerdemenz für Aufregung gesorgt. Für Patienten und Angehörige war es eine Achterbahn der Gefühle. Zulassungsgesuche wurden erteilt, zurückgezogen oder verweigert. Wo stehen wir nun?
Was sind das für Substanzen?
Die Produkte tragen die etwas sperrigen Namen Aducanumab (entwickelt von den Firmen Biogen und Neurimmune), Gantenerumab (Roche), Lecanemab (Eisai und Biogen) und Donanemab (Eli Lilly). Alle enthalten als Wirkstoff Antikörper. Diese wurden im Labor erzeugt und haben alle dasselbe Ziel: Sie sollen an Bestandteile von giftigen Proteinklumpen im Gehirn binden und diese auflösen.
Die Hoffnung ist, durch die Auflösung das Fortschreiten der Erkrankung mindestens zu verlangsamen – im Idealfall sogar zu stoppen. Man weiss nämlich, dass sich im Gehirn von Alzheimerpatienten Tausende von solchen Proteinklumpen bilden und an die Nervenzellen anlagern. Daraufhin gehen die Nervenzellen zugrunde. Irgendwann gibt es zu viele Löcher im Gehirn, so dass dieses nicht mehr richtig arbeiten kann. Das macht sich dann in Vergesslichkeit, Persönlichkeitsveränderungen und geistigem Verfall bemerkbar.
Was bewirken die Substanzen im Gehirn?
Beide Produkte von Biogen und seinen Partnern sowie das von Eli Lilly reduzieren nachweislich die Menge an giftigen Proteinklumpen im Gehirn. Beim Mittel von Roche war dies in den klinischen Studien hingegen kaum der Fall. Noch ist unklar, ob das an dem Antikörper selber liegt. Oder daran, dass nicht genügend davon ins Gehirn gelangte. Das Roche-Produkt wird nämlich lediglich unter die Haut injiziert, die Substanz von Biogen hingegen als Infusion direkt in die Blutbahn verabreicht. Alle Mittel wirken nur gegen Alzheimer, nicht gegen andere Demenzformen.
Profitieren die Alzheimerpatienten?
Das kann man noch nicht sagen. Das erste von Biogen präsentierte Mittel namens Aducanumab hat in klinischen Studien nicht überzeugt. Nur bei den mit einer sehr hohen Dosis behandelten Patienten war im Beobachtungszeitraum von weniger als zwei Jahren eine gewisse Verlangsamung der Demenz zu beobachten.
Der von Eisai und Biogen entwickelte Antikörper namens Lecanemab soll gemäss den im Oktober 2022 präsentierten Daten der klinischen Studie den geistigen Verfall um 27 Prozent verlangsamen. Allerdings gilt dies bis jetzt nur für den Beobachtungszeitraum von 18 Monaten. Unbekannt ist, wie lange der Effekt anhält.
Im Juli 2024 teilte die Pharmafirma Eli Lilly mit, dass unter Donanemab der kognitive Abbau um 35 Prozent langsamer verlaufe als ohne Mittel. Zudem werde das Risiko, die nächste Krankheitsstufe zu erreichen, um 39 Prozent gesenkt. In der Studie wurden die Patienten ein Jahr lang beobachtet.
Es ist allerdings derzeit nicht klar, ob dieses verlangsamte Fortschreiten der Demenz im Alltag der Betroffenen spürbare Auswirkungen hat. Denn ein genauer Blick auf die Details der Studie zeigt, dass in Bereichen wie Gedächtnis, Orientierungsvermögen oder auch Bewältigung von Haushalt und Körperpflege die Therapierten jeweils nur geringfügig besser abschnitten als die Personen in der Placebo-Gruppe.
Können die Mittel Alzheimer heilen?
Nein. Keiner der Antikörper konnte die Abnahme der geistigen Fähigkeiten stoppen. Und schon gar nicht konnten verlorengegangene Fähigkeiten wiedererlangt werden. Aber bereits eine deutliche Verlangsamung des geistigen Abbaus wäre für Betroffene und Angehörige eine grosse Hilfe. Denn dann wäre der Alltag einfacher und schöner, und das für eine längere Zeit. Weniger schnell dement werden kann bedeuten, noch die goldene Hochzeit oder das erste Enkelkind bewusst feiern zu können.
Wer soll die Substanzen bekommen?
Patienten zu Beginn einer Alzheimer-Erkrankung, und zwar je früher, desto besser, wie Experten betonen. Denn je weniger giftige Proteinklumpen sich bereits gebildet haben, desto geringer sind die bereits entstandenen Schäden im Gehirn. In den Studien wurden daher vorwiegend Patienten mit einer milden Alzheimer-Erkrankung behandelt.
Haben die Mittel Nebenwirkungen?
Ja. Bei bis zu einem Fünftel der Behandelten kam es in den klinischen Studien zu kleinen Blutungen und auch Schwellungen im Gehirn. Die allermeisten dieser Ereignisse wurden aber von den behandelten Patientinnen und Patienten gar nicht bemerkt und verschwanden auch wieder. Doch da es in seltenen Fällen zu ernsthaften Problemen kam, müssen die Therapierten regelmässig überwacht werden. Dazu gehören auch regelmässige Kernspin-Aufnahmen des Gehirns.
Derzeit werden jeweils einige Todesfälle nach der Einnahme von Lecanemab sowie Donanemab untersucht. Noch ist unklar, ob tatsächlich das Mittel die Hirnblutungen verursacht hat. Möglicherweise kam es zu tödlichen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten.
Wo sind die Substanzen erhältlich?
Lecanemab und Donanemab sind in der USA erhältlich. Mit dem erstgenannten Antikörper werden derzeit gut 3000 Alzheimerpatienten behandelt. Auch in einigen asiatischen Ländern wie China oder Japan ist Lecanemab seit einigen Monaten zugelassen.
Nach dem positiven Entscheid in der EU bezüglich Lecanemab dürfte das Mittel bald auch für Patientinnen und Patienten verfügbar sein. Zudem will die EMA demnächst auch über die Zulassung des Antikörpers Donanemab entschieden werden. Auch in der Schweiz warten Ärzte und Patienten darauf. Für beide Medikamente haben die Hersteller letztes Jahr eine Zulassung beantragt. Es ist offen, wann die Swissmedic darüber entscheiden wird.
Das am schnellsten verfügbare Medikament Aducanumab ist bis anhin zum Verlierer geworden. 2021 besass es zwar kurzfristig eine Zulassung in den USA. Diese wurde aber nach weniger als einem Jahr widerrufen, weil das Mittel ausserhalb der Studie keinen klaren Nutzen zeigte. Die EMA verweigerte von vorneherein eine Zulassung. Im Frühjahr 2022 zog daraufhin die Herstellerfirma das Gesuch in der Schweiz zurück und stoppte auch die Vermarktung in den USA.