Montag, September 30

Das Zürcher Universitätsspital hat bekanntgegeben, wie es das beschädigte Vertrauen wieder herstellen will.

Im Mai machte das Unispital Zürich eine überraschende Ankündigung. Es werde eine internationale und unabhängige Expertengruppe eingesetzt, welche sämtliche Todesfälle untersuchen soll, die sich in der Herzchirurgie des Spitals in den Jahren 2016 bis 2020 ereigneten. Die Ankündigung war eine Reaktion auf schwere Vorwürfe, die der ehemalige Chefarzt der Herzchirurgie, Paul Vogt, drei Wochen zuvor erhoben hatte.

Nachdem er die Klinik 2021 von seinem Vorgänger Francesco Maisano übernommen hatte, habe er auf seinem Pult eine Liste mit mysteriösen Todesfällen vorgefunden. Die Verhältnisse in der Herzchirurgie des Zürcher Universitätsspitals seien zwischen 2016 und 2020 ein «Desaster» gewesen. Er sprach von nicht zugelassenen Implantaten, von «unethischem und kriminellem Verhalten» unter der Ärzteschaft.

Zu den Vorfällen gibt es bereits mehrere Untersuchungen, die das Spital weitgehend entlasten. Die Spitalführung will mit der Einsetzung der Task-Force die Sache aber nochmals umfassend untersuchen. Am Donnerstag hat sie nun die Details dazu bekanntgegeben.

Die Leitung der Task-Force, die neu als «unabhängige Untersuchungskommission» betitelt wird, übernimmt ein ehemaliger Bundesrichter: Niklaus Oberholzer, der von parlamentarischen Kommissionen des Bundes wiederholt als Experte zur Untersuchung besonderer Vorkommnisse beigezogen worden ist. Er bringe dank seiner Erfahrung beste Voraussetzungen mit.

Oberholzer betonte am Donnerstag vor den Medien seine Unabhängigkeit: Er könne versichern, dass er weder mit dem Unispital verbandelt sei noch mit einzelnen Exponenten des Spital berufliche oder private Kontakte gepflegt habe. «Ich bin in keiner Weise vorbelastet.»

Die Leitung der Untersuchungskommission bezeichnete er als herausfordernde und wichtige Aufgabe: «Ich bin überzeugt, dass eine gründliche Untersuchung der Vorkommnisse nötig ist. Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass man zur Tagesordnung übergehen könnte.»

Oberholzers erste Aufgabe ist es, die weiteren Mitglieder der Untersuchungskommission auszuwählen. Zwingende Voraussetzung: Die medizinischen und forensischen Experten müssen vom Universitätsspital komplett unabhängig sein. Zurzeit geht er von einer dreiköpfigen Kommission aus. Er sucht nach einer Person, welche den nötigen medizinischen Sachverstand mitbringe, um die Fälle der Herzchirurgie zu untersuchen sowie eine zweite Person, die mit den Aufgaben der Spitalorganisation vertraut ist. Das Team wird dann zur Untersuchung diverse ebenfalls unabhängige Experten beiziehen. Denn der Gegenstand der Untersuchung ist beträchtlich.

Das Mandat der Kommission ist deutlich weiter gefasst als jenes bisheriger Untersuchungen: Sie soll sämtliche Eingriffe in den fraglichen vier Jahren daraufhin untersuchen können, ob es zu Komplikationen oder einer erhöhten Sterblichkeit kam. Nicht nur jene paar bereits mehrfach beleuchteten Fälle, die eine Meldung nach sich zogen.

Zudem soll die Kommission auch untersuchen, ob es wirtschaftliche Verflechtungen der Herzklinik mit Organisationen ausserhalb des Spitals gab. Dies zielt auf den Vorwurf, dass Maisano bei der Wahl der Operationsmethode die persönliche Bereicherung im Auge gehabt haben könnte.

Der Schlussbericht soll voraussichtlich bis in einem Jahr vorliegen und dann öffentlich gemacht werden.

Maisano und die umstrittenen Implantate

Das Unispital arbeitet nun also noch einmal jene Affäre auf, welche vor vier Jahren mitten in der Pandemie an die Öffentlichkeit gedrungen war. Im Frühling 2020 wurde schwerwiegende Kritik am damaligen Chefarzt der Herzchirurgie laut. Ein Whistleblower warf Francesco Maisano vor, dass dieser mit dem Einsatz von selbst entwickelten Implantaten das Wohl von Patienten gefährdet habe. Er habe die Implantate testen wollen, um finanziell zu profitieren. Zudem habe er wissenschaftliche Berichte geschönt, Komplikationen verschwiegen und Interessenkonflikte unterschlagen.

Maisano war damals Miteigentümer einer Firma, die das von ihm entwickelte «Cardioband» vermarktete. Die Firma sollte später von einem grossen Medizinaltechnik-Unternehmen übernommen werden. Es wird kolportiert, dass Maisano dabei mehrere Millionen Franken kassiert habe. Er selbst äusserte sich dazu nicht.

Nicht nur die Sache mit den Implantaten gab aber zu reden, über Jahre gab es auch Mängel in der Behandlungsqualität. Darauf deuten Zahlen des Bundesamts für Gesundheit hin. Diese zeigen, dass in der Herzchirurgie des Unispitals mehr Patienten gestorben sind, als aufgrund der Komplexität der Eingriffe zu erwarten gewesen wäre. Audits, die das Unispital nach dem Abgang Maisanos durchführen liess, stützen diesen Befund. Inzwischen räumt auch das Unispital öffentlich ein, dass die Sterblichkeit in jenen Jahren erhöht war.

Das Spital hatte die Anschuldigungen des Whistleblowers zunächst durch die Anwaltskanzlei Walder Wyss untersuchen lassen. Die Anwälte kamen zwar zu dem Schluss, dass Maisano tatsächlich wissenschaftliche Berichte geschönt und Interessenkonflikte unterschlagen hatte. Er habe aber nicht das Patientenwohl gefährdet. Der Bericht entlastete ihn also vom Hauptvorwurf.

Im Mai 2020 machten dann die Tamedia-Zeitungen den Fall publik. Sie stellten infrage, dass die Vorfälle gründlich genug untersucht worden seien.

Spital hat ganze Führungsriege ausgetauscht

Im Zuge der Affäre verliess der Spitalratspräsident Martin Waser das Unispital und wurde durch André Zemp ersetzt. Das Spital trennte sich «im gegenseitigen Einvernehmen» auch von Maisano auf Ende Februar 2021. Die Chefarztstelle der Klinik übernahm Paul Vogt.

Der damals 64-jährige Herzchirurg hatte bis zu seiner Pensionierung die Aufgabe, die Situation in der Herzchirurgie wieder zu stabilisieren und die Behandlungsqualität zu erhöhen, was ihm auch gelang. Im Dezember 2022 ging die Verantwortung für die Klinik dann in die Hände von Omer Dzemali über, der davor Chefarzt der Herzchirurgie im Zürcher Triemlispital war.

Im vergangenen Oktober verliess schliesslich auch der CEO Gregor Zünd das Unispital. Mit den Problemen der Herzklinik habe das aber nichts zu tun, hiess es. Zünds Position hat inzwischen Monika Jänicke inne.

Die Führungsriege wurde also komplett ausgetauscht, sowohl das Spital als auch die Behörden haben zudem die Affäre Maisano untersucht und Massnahmen zur Verbesserung eingeleitet. Gleichwohl flammt die Kritik immer wieder auf, zuletzt insbesondere auch durch die Anschuldigungen von Paul Vogt.

Zemp hatte daraufhin schon im Mai gesagt, dass das Vertrauen der Bevölkerung ins Unispital beschädigt worden sei. «Wir können deshalb die Vergangenheit nicht ruhen lassen.» Man habe zwar längst diverse Verbesserungsmassnahmen ergriffen. «Aber wir gefährden unsere Glaubwürdigkeit, wenn wir diesen Vorwürfen nicht nachgehen und aus allfälligen Fehlern lernen.» Es gehe dabei nicht nur um die Reputation, es stehe schliesslich auch der Vorwurf im Raum, dass das Wohl der Patienten gefährdet gewesen sei.

Mehr folgt.

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