Kein deutscher Medienmanager wird so angefeindet wie der Miteigentümer von «Bild» und «Welt». Zu Recht? Ein Gespräch über Freiheit, die Zukunft des Journalismus und persönliche Enttäuschungen.
Wer ist Mathias Döpfner? Die Antworten deutscher Medien auf diese Frage sind meistens negativ. Die «Zeit» bastelte im vergangenen Jahr aus privaten SMS des Chefs von Axel Springer («Bild», «Welt», «Politico», «Business Insider», Stepstone, Idealo u. a.) das Psychogramm eines vermeintlich reaktionären Strippenziehers. Das «Manager Magazin» nannte ihn einen «Scheinriesen». Und die «Süddeutsche Zeitung» attestierte Döpfner «allerschönsten Grössenwahn». Gut, dass in all diesen Medien nur echte Riesen wirken, von denen nie einer auf die Idee käme, Politik gestalten zu wollen.
Hört man sich im Umfeld des 61-Jährigen um, dann begegnet man Bewunderern und Gegnern. Ein Vertrauter spricht von einem bürgerlich-liberalen Feuerkopf und charismatischen Menschenfänger. Ein anderer, der ihn ebenfalls gut kennt, nennt Döpfner einen Manipulator. Der Springer-Chef sei kein Mensch mit bürgerlichen Prinzipien, sondern ein Hedonist mit flexiblen Ansichten.
Für die NZZ nimmt sich Döpfner zwei Stunden Zeit. Es soll um ihn, seinen Weg bei Springer und seine Pläne gehen. Döpfner hat die Wahl des Ortes; er könnte sich für ein Sterne-Restaurant entscheiden, wie der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck, oder auch für eine Dönerbude. Beides wäre interessant. Er entscheidet sich für die Springer-Kantine, einen Ort mit dem Charme einer Bahnhofshalle.
Döpfners Sprecher ist beim Gespräch dabei und sagt, er wisse nicht, warum der Chef die Kantine ausgewählt habe. Das sei spontan passiert. Andere Menschen, die Döpfner kennen, sagen, dass alles, was er vor Aussenstehenden tue und sage, exakt geplant worden sei. Falls das stimmt, dann soll der Besuch der Kantine vermutlich Bodenhaftung ausdrücken: der milliardenschwere Chef, der Sammler von Kunst und Immobilien als Mensch, der sich unter die Mitarbeiter mischt und isst, was alle essen.
Ein wilder Mann mit sauberen Schuhen
Dann ist er da: dunkelblauer Anzug, schwarzer Rollkragenpulli und klassische Brogues an den Füssen, die allerdings einmal wieder geputzt werden könnten. Ein kleines Detail, aber man denkt unweigerlich an Axel Cäsar Springer. Der 1985 verstorbene Hanseat mit dem römischen Herrschertitel im Namen war ein Sibesiech, der Frauen im Plural liebte und einen starken Hang zum Mystizismus hatte. Aber mit ungeputzten Schuhen wäre er wohl nicht aus dem Haus gegangen.
«Hallo», sagt Döpfner und streckt die Rechte aus, die etwa doppelt so gross wirkt wie eine normale Männerhand. Er habe sich für die Kantine entschieden, weil das Essen gut sei, «ganz einfach».
Was natürlich gleich auffällt, ist die Grösse. Mit seinen zwei Metern überragt Döpfner so ziemlich jeden seiner insgesamt rund 17 000 Mitarbeiter. Auch der Reporter und der Sprecher wirken neben ihm wie Angehörige eines Zwergenvolks, die auf dem Weg zum Kantinenschalter etwa doppelt so viele Schritte machen müssen.
Der Vorstandsvorsitzende entscheidet sich für Bulgursalat mit Schweinsfilet und Currysauce. Der Reporter wählt Poulardenbrust mit Salbei und Parmesan-Gnocchi. Dazu gibt es Wasser aus runden, absurd kurzen Gläsern. Döpfner wählt einen Tisch in der Mitte der Kantine. Die Begegnung, die als Vier-Augen-Gespräch gedacht war, findet unter den Augen Hunderter Springer-Mitarbeiter statt.
Freiheit als «Lebensthema»
Was bedeutet Freiheit für ihn? Das ist die erste Frage. Den Begriff stellen viele deutsche Medienhäuser ins Schaufenster, Springer vorneweg.
Döpfner lächelt. Freiheit sei sein «Lebensthema». Über ihr Wesen seien viele Bücher geschrieben worden; er hat auch eines geschrieben. Es folgen ein Zitat von Axel Cäsar Springer («die richtig verstandene Freiheit ist die Freiheit zu etwas, nicht von etwas»), eigene Beschreibungen («derzeit bedroht wie lange nicht») und schliesslich ein Exkurs zu den Unternehmensgrundsätzen von Springer, die im Laufe der Jahrzehnte mehrmals überarbeitet wurden und offiziell «Essentials» heissen. Sie handeln vom vereinigten Europa, Israels Existenzrecht, dem transatlantischen Bündnis, der Marktwirtschaft und der Ablehnung von Extremismus. Im Grunde gehe es in allen Grundwerten des Unternehmens um «Auslegungen von Freiheit», sagt Döpfner, «die wir mit unserem journalistischen Tun stärken wollen».
Der CEO neigt zu ausführlichen Antworten, wenn ihm die Fragen gefallen. Andere Springer-Mitarbeiter brauchen weniger Worte. «Freiheit bedeutet Risiko. Schnall ich mich im Auto an oder nicht? Rauch ich mir einen Lungenkrebs an oder nicht? Impfe ich mich oder nicht. Freiheit ist selbstbestimmen, was mein Schicksal ist.» So hat es der «Bild»-Kolumnist Franz Josef Wagner einmal schön auf den Punkt gebracht.
Können die Deutschen mit Freiheit umgehen? Viele seien stark sicherheitsorientiert und autoritätshörig, sagt Döpfner: «Heinrich Mann hat das in ‹Der Untertan› brillant beschrieben.» Der Roman sei leider noch von höchster Aktualität.
Eine harsche Behauptung. Das vor hundert Jahren erschienene Werk erzählt die Geschichte eines kaisertreuen Nationalisten, der nach unten tritt und nach oben katzbuckelt. Es handelt sich um ein ausgesprochen hässliches Männlein.
Döpfner erinnert als nächstes an die Corona-Zeit. Da habe der deutsche Staat blitzschnell Freiheitsrechte abgeräumt, und viele Bürger seien für die Entmündigung noch dankbar gewesen. Undenkbar sei so etwas in anderen Ländern: «In der Schweiz begreift sich der Bürger als Souverän, dem der Staat zu dienen hat – in Deutschland ist es andersrum.» Der Satz klingt kernig, und die Kritik an der deutschen Corona-Politik ist berechtigt. Die Schweiz hat während der Pandemie allerdings auch autoritäre Züge gezeigt.
«Ohne Profit ist alles nichts»
Was treibt ihn an? «Erfolg.» Springer schaffe durch unabhängigen und kritischen Journalismus die Grundlage ideeller Werte wie Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Aber die Basis dafür sei wirtschaftlicher Erfolg. Döpfner beugt sich vor: «Ich verteidige die Journalisten im eigenen Unternehmen immer zuerst, oft auch gegen zu grosse Sparzwänge oder die Interessen und Kritik mancher Anzeigenkunden, aber leisten können wir uns diese Unabhängigkeit nur solange wir wirtschaftlich erfolgreich sind.» Profit sei nicht alles. «Aber ohne Profit ist alles nichts.»
Das stimmt natürlich. Und für Döpfner stimmt es auch ganz persönlich. Er ist durch Springer reich geworden. Wie die «Financial Times» im Januar berichtete, soll er allein in den vergangenen vier Jahren Dividendenzahlungen von mindestens 140 Millionen Euro erhalten haben. Die «Bild»-Zeitung musste derweil gerade erst ein massives Sparprogramm umsetzen.
Vom Geld zur Freundschaft: Im unternehmenseigenen Podcast hat Döpfner Ende 2023 von «sehr bitteren und persönlich sehr enttäuschenden Erfahrungen» berichtet. Es waren nur wenige Sätze. Er habe lernen müssen, wer echte und wer falsche Freunde seien.
Wen hat er da gemeint? «Das gilt im privaten wie im professionellen Bereich», sagt er vage. «In Krisen lernt man Menschen kennen.» Er verliert kein Wort über den früheren «Bild»-Chefredaktor Julian Reichelt, der 2021 entlassen wurde. Über das Portal Nius, mit dem Reichelt und etliche ehemalige «Bild»-Leute nun den Boulevard von rechts aufwirbeln, sagt er nur: «Das kann ich nicht beurteilen, weil ich es nicht lese.»
Politisch inkorrektes Schweinefleisch
Und Benjamin von Stuckrad-Barre, der ehemals sehr enge Freund und sehr gut dotierte «Welt»-Autor, der in seinem vor einem Jahr veröffentlichten Schlüsselroman «Noch wach?» einen Verleger, der sehr stark an Döpfner erinnert, in Grund und Boden geschrieben hat? Keine Antwort. Sind sich die beiden seit Erscheinen des Buches begegnet? «Nein.» Hat er noch einmal Kontakt gesucht? «Nein.» Letzter Versuch: Wie würde er reagieren, wenn er Stuckrad-Barre heute über den Weg laufen würde? Er würde freundlich «Guten Tag» sagen, sagt er. Und dann weitergehen? «Schauen wir mal.»
Die Teller sind schon länger leer. Wie der Bulgursalat geschmeckt habe, fragt der Reporter. Döpfner guckt konsterniert, dann erinnert er sich an das Format des Gesprächs und schafft den Sprung zum türkischen Weizenbrei. «Sehr zufrieden», sei er. Das Schweinefleisch sei als Zutat «politisch inkorrekt», passe aber prima. Die Bestellung des Reporters – Poulardenbrust mit Salbei und Parmesan-Gnocchi – ist auch ordentlich, zumindest für den Preis, zwölf Euro, und den Ort. Sässen wir im Restaurant, wäre das Hähnchen etwas zäh geraten.
Der Springer-Chef gliedert als nächstes die Geschichte des Verlags, also seine Geschichte, in «vier Phasen»:
Eine Milliarde für «Politico»
Als er 2002 an die Spitze des Vorstands gerückt war, sei es zunächst darum gegangen, den analogen, 200 Millionen Euro Verlust machenden Verlag in einer ersten Phase mit Entlassungen und Verkäufen wieder profitabel und handlungsfähig zu machen. Zwei Jahre später habe die nächste Phase begonnen, mit einer neuen Strategie: Stärkung des Kerngeschäftes, Internationalisierung und Digitalisierung. Auch kulturell habe ein Wandel stattgefunden: «Unternehmertum statt Bestandswahrung, Respekt statt Hierarchiehörigkeit.»
In Phase drei habe sich Springer dann in ein «Wachstumsunternehmen» verwandelt. Mit Hilfe der amerikanischen Beteiligungsgesellschaft KKR (die heute mit 35,6 Prozent der Anteile grösste Gesellschafterin ist; Anm. d. Red.) sei der Konzern erst von der Börse genommen und dann mit «beherzten Investitionen» zum transatlantischen Unternehmen umgebaut worden: «Business Insider», das Springer bereits fünf Jahre vor der Partnerschaft mit KKR übernommen hatte, kostete 2015 knapp 400 Millionen Dollar, «Politico» sechs Jahre später sogar rund eine Milliarde. Diese Phase habe ihm sehr viel Freude bereitet.
Deutschland und auch Europa sind Döpfner schon lange zu klein geworden. Menschen, die ihn kennen und kritisch sehen, spotten über seine Bewunderung für amerikanische Milliardäre wie Mark Zuckerberg, Elon Musk oder Jeff Bezos. Diese hätten ihre Imperien aus eigener Kraft aufgebaut, während er sein Reich und seinen Reichtum einer Witwe verdanke, die er seit Jahrzehnten umgarne. Zuckerberg, Musk und Bezos hätten ihre «Axel Springer Awards» vor allem erhalten, damit Döpfner den Kontakt zu ihnen habe knüpfen können.
Vielleicht stimmt letzteres. Aber wäre es verwerflich? Döpfner umgibt sich gerne mit einigen der erfolgreichsten Unternehmern der Welt. Es gibt schlechtere Gesellschaft.
Aktuell befinde sich Springer im Übergang zu Phase vier, in der sich alles um künstliche Intelligenz drehen werde, fährt er fort. Es gehe darum, ein KI-unterstütztes Unternehmen zu formen, das nicht obsolet, sondern besser werde. Natürlich könne man KI als Bedrohung sehen; das sei sie auch. Aber er sehe vor allem den Nutzen.
Early Adopter Döpfner
Döpfner spricht mit grossem Enthusiasmus über KI. Für alle möglichen produktionstechnischen Arbeitsschritte brauche es in Redaktionen bald keine Menschen mehr, sagt er – als sei das eine gute Sache. Journalisten könnten sich künftig auf das konzentrieren, was den Beruf intellektuell ausmache, etwa investigative Recherchen, Reportagen und echte Neuigkeiten. «KI bietet uns die Chance für eine Wiedergeburt der Zeitung.»
Modern will jeder Verlag sein. Aber bei Springer klingen solche Ansagen immer besonders wuchtig.
Allerdings ist Döpfner tatsächlich jemand, der neue Technologien früher ernst nimmt als andere. Die Digitalisierung seiner Zeitungen trieb er bereits voran, als das Internet von Chefredaktoren deutscher Leitmedien noch als «Reich der Elektroquallen» verhöhnt wurde. Das Potenzial von Rubrikenportalen wie der Stellenbörse Stepstone erkannte er als einer der Ersten – und vergoldet es seither.
Niederlagen erlebte Döpfner auf anderen Feldern. 2005 scheiterte er beim Versuch, bei ProSiebenSat.1 einzusteigen. 2007 scheiterte sein bereits erfolgter Einstieg ins Briefgeschäft, und Springer musste beim Post-Konkurrenten Pin mehr als 600 Millionen Euro abschreiben. 2015 scheiterte der Versuch, die «Financial Times» und damit ein Blatt von Weltrang zu erwerben. Andere Manager wären wegen solcher Fehlschläge rausgeflogen. Aber Friede Springer, die Witwe des Gründers, hielt ihre schützende Hand über den CEO, wieder und wieder.
Das Handy als einziges Arbeitsinstrument
Fürs Dessert geht es ins hauseigene Café neben der Kantine. Der CEO bestellt New York Cheesecake mit Blaubeersauce, der Reporter Dattelkonfekt mit Schokolade und Meersalz.
Es geht nun um Döpfner, den Autor. «Andere spielen Golf, ich schreibe», sagt er. Mal komme er monatelang zu nichts, dann liefere er drei Texte kurz hintereinander. Das Meiste schreibe er unterwegs, «ausschliesslich hiermit»: Er wedelt mit einem Handy, das starke Gebrauchsspuren zeigt. Das sei sein einziges Arbeitsinstrument – kein Desktop, kein Laptop, kein Tablet. Auf dem Bildschirm sieht man das Schwarz-Weiss-Bild eines Kindes. «Mein Jüngster», sagt er auf Nachfrage. Döpfner hat vier Söhne.
Thematisch komme fast alles infrage, fährt er fort. Pop-Konzerte, Opernpremieren, politische Leitartikel, Interviews mit Unternehmern: «Ich glaube, dass es für jeden Journalisten bei uns im Haus auch ein Zeichen der Wertschätzung ist, wenn der Chef es ab und zu selber versucht.» Allerdings kommen Döpfners Artikel im eigenen Haus nicht bei allen gut an.
Als er sich im Sommer 2022 von einem, wie er schreibt, «unterirdischen» Gastbeitrag über die «Transgender-Ideologie» in der «Welt» distanziert, ist die Aufregung gross. Sein Text, der als Rundschreiben an die Mitarbeiter geht und dann ebenfalls in der «Welt» erscheint, ist für die einen ein wichtiger Appell für Toleranz, für die anderen eine verlegerische Bankrotterklärung. Der langjährige Parlamentschef der «Bild», Ralf Schuler, verlässt den Verlag in der Folge.
Bürgerlicher Verlag oder Regenbogen-NGO?
Wenn sich Springer «die Agenda der LGBTQ-Bewegung» zu eigen mache, dann ohne ihn, erklärt Schuler in einem Abschiedsbrief. Der Text löst einigen Wirbel aus. Dass der Autor seinen Arbeitgeber als eine Art Regenbogen-NGO darstellt, ist keine Lappalie. Schuler, ein knorriger Ostdeutscher, ist in konservativen Kreisen wohlgelitten und bestens vernetzt.
Nach allem, was man hört, hat die Berichterstattung der «New York Times» über den Fall Reichelt Döpfner seinerzeit unruhig gemacht. In dem Artikel ging es nicht nur um einen übergriffigen Chefredaktor, sondern um die Unternehmenskultur als solche. Und für die ist er als CEO hauptverantwortlich. Döpfner will Springer zum «führenden digitalen Medienunternehmen der demokratischen Welt» machen; das verkündet er seit Jahren. Das Image, einen aus der Zeit gefallenen Männerbund anzuführen, ist dabei eher hinderlich.
Döpfners Abrechnung mit dem Gastbeitrag in der «Welt» bleibt nicht die einzige Aktion. 2022 absolvieren der Springer-Vorstand und auch die Angehörigen der «FK 1», der oberen Führungsebene des Hauses, einen Workshop. Einer, der teilnehmen musste, hat die Unterlagen aufbewahrt; es ist eine bunte Box voller Broschüren und Karteikarten. Der Dreiklang «Diversity, Equity and Inclusion», kurz DEI, wird darin als Grundlage des wirtschaftlichen Erfolgs dargestellt. Männer werden motiviert, ihre Privilegien kritisch zu reflektieren, «vor allem heterosexuelle weisse Männer».
Dass die stramm linke DEI-Ideologie bei Springer Einzug hält, ist bemerkenswert. Und das nicht in irgendeiner frei drehenden Tochterfirma, sondern auf der Vorstandsetage.
Ein unberechenbarer Autor
Die freundliche Interpretation lautet: Springer ist pluralistisch. Die unfreundliche: Springer ist orientierungslos. Wenn es auf dem betriebswirtschaftlich immer unbedeutenderen Heimatmarkt opportun erscheine, gebe man sich «anti-woke», sagt der Teilnehmer des Workshops, und wenn es auf dem amerikanischen Markt rumore, inszeniere man sich als das Gegenteil. Und wenn einer frage, wie das zusammenpasse, heisse es: Freiheit!
Der CEO ist auch als Autor unberechenbar. Kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine erscheint in der «Bild» ein Kommentar, in dem Döpfner fordert, die Nato-Mitglieder müssten «jetzt handeln» und ihre Truppen und Waffen dorthin bewegen, «wo unsere Werte und unsere Zukunft noch verteidigt werden». Nicht nur in den Redaktionen von Springer sind viele konsterniert. Der CEO sei von allen guten Geistern verlassen, kommentiert die NZZ damals .
Zwei Jahre später, beim Verzehr des Käsekuchens, erinnert sich Döpfner an diese Kritik. «Wir können es noch mal lesen», schlägt er vor. Alle am Tisch zücken die Handys. Döpfners Forderung, nicht nur Waffen an die Ukraine zu liefern, sondern auch Truppen von Nato-Ländern in Bewegung zu setzen, wäre in der Realität eine unverantwortliche Eskalation gewesen, sagt der Reporter. Der CEO widerspricht vehement: «Eskalationsangst im Umgang mit Diktaturen ist grundfalsch. Sie eskalieren wann sie wollen.»
«Die Halbherzigkeit des Westens» gegenüber Putin
Er habe sich auf eine Doktrin seines alten, kürzlich verstorbenen Freundes Henry Kissinger bezogen, fährt er fort. Es gehe darum, Truppen an die Grenze zu bewegen und dann zu verhandeln. Das stehe aber nicht im Text, erwidert der Reporter. Da stehe, die Truppen sollten dorthin, wo der Verteidigungskampf stattfinde. Das sei die Ukraine, nicht deren Grenze.
Es geht noch eine Weile hin und her, dann sagt Döpfner: «Die Halbherzigkeit des Westens wird dazu führen, dass Putin diesen Krieg gewinnt. Und dann – so steht es im Text – wird es weitergehen. China wird Taiwan annektieren. Die Demokratie ist dann ein Auslaufmodell.»
Die Teller sind leer. New York Cheesecake müsse «eine gewisse Knatschigkeit» haben, sagt Döpfner. Er dürfe aber nicht klebrig und nicht zu süss sein. «Ganz vorbildlich» sei das Ganze in diesem Fall zubereitet worden. Auch das Konfekt des Reporters ist gelungen. Die Konsistenz ist nicht zu weich, die Schokolade angenehm herb. Backen können sie bei Springer.
Im Rahmen der hauseigenen Werte gebe es für Journalisten im Unternehmen maximale Freiheit, sagt Döpfner zum Schluss des Gesprächs. «Gerade auch, wenn es das Gegenteil dessen ist, was ich für richtig halte.» Aber diese Freiheit gelte auch für ihn. Ja sagen zu müssen, sei Unfreiheit. Meinungsstreit sei Freiheit.
Es sind gute Sätze. Aber ist der CEO, Gesellschafter und Journalist ein guter Verleger?
Mathias Döpfner ist ein einnehmender, sympathischer Erzähler. Er kann wortgewaltig über den Journalismus von morgen sprechen. Aber er hat in zweiundzwanzig Jahren an der Spitze von Springer nie etwas Eigenes aufgebaut. Das unterscheidet ihn vom Verlagsgründer und von den amerikanischen Milliardären, die er bewundert. Er ist letztlich ein Manager, kein Unternehmer. Was er übernommen hat, hat er sehr entschlossen modernisiert, aber nach Ansicht etlicher Weggefährten auch beliebig werden lassen. Er hat in Deutschland vieles verkauft und anderes in Amerika teuer übernommen. Und er hat bei alledem auf eine eindrucksvolle Weise persönlich profitiert.
Ob Springer auf lange Sicht auch von Döpfner profitieren und die heutige Sammlung recht disparater Medien eines Tages ein Unternehmen von Rang, gar von Weltrang bilden wird, wie er hofft, das muss sich noch zeigen.
Über das Restaurant
Die Kantine von Axel Springer befindet sich im Erdgeschoss des Verlagsneubaus in der Zimmerstrasse 30 in Berlin-Kreuzberg. Sie wird von der Catering-Tochtergesellschaft Pace geführt. Das Angebot hat bei den Mitarbeitern einen guten Ruf, zu Recht.
Axel Springer Kantine, Zimmerstrasse 50, 10117 Berlin
Kontakt: Pace Paparazzi Catering & Event GmbH, Axel-Springer-Strasse 65, 10888 Berlin, info@pace.berlin. Montags bis freitags von 11.30 bis 15 Uhr.