Sonntag, Oktober 6

Unser Drei-Säulen-Modell hat sich auf dem Fundament der beruflichen Vorsorge herausgebildet. Und diese bietet gerade heute wesentliche Vorteile für unsere Volkswirtschaft.

In wenigen Wochen wird an der Urne über das Schicksal der BVG-Reform entschieden. Wie bei Abstimmungskämpfen üblich, stehen die Vor- und Nachteile der Vorlage im Zentrum hitziger Debatten. Dabei gerät jedoch oft das grosse Ganze aus dem Blick: Die berufliche Vorsorge hat in der Schweizer Altersvorsorge seit je einen hohen Stellenwert – und das aus gutem Grund.

Die berufliche Vorsorge als Fundament der Altersvorsorge

Was viele nicht wissen: Bis zum Zweiten Weltkrieg bestand die Altersvorsorge hierzulande überwiegend aus beruflichen Vorsorgeeinrichtungen. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren erste Berufsgruppen, wie die Berner Landjäger, in den Genuss einer Pensionskasse gekommen.

Die Entwicklung grösserer Pensionskassen wurde massgeblich durch private Berufskassen wie die Eisenbahnkassen vorangetrieben. Im Fokus der Unternehmen standen sowohl die langfristige Bindung ihrer Mitarbeiter als auch die Nutzung steuerlicher Vorteile. Nach und nach entstanden auch öffentliche Berufskassen für Beamte, Lehrer, Pfarrer und Polizisten.

Während des Generalstreiks 1918 forderten die Gewerkschaften eine staatliche Altersversicherung. Die Kantone Glarus und Appenzell-Ausserrhoden führten nach dem Ersten Weltkrieg obligatorische staatliche Alterssicherungen ein, und bald folgten weitere Kantone. 1925 wurde der Verfassungsartikel zur staatlichen Errichtung einer Alters- und Invalidenversicherung vom Volk deutlich angenommen.

Das dazugehörige Ausführungsgesetz – die sogenannte «Lex Schulthess» – scheiterte jedoch einige Jahre später an der Urne. Daher wurde die Einführung der AHV aufgeschoben und erfolgte erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Und die Berufskassen konnten sich in der Zwischenzeit weiter etablieren.

Deshalb war von Beginn an klar, dass die staatliche Altersvorsorge lediglich eine Ergänzung zur beruflichen Vorsorge und nicht deren Ersatz darstellen sollte. In dieser Funktion wurde die AHV 1948 schliesslich eingeführt.

Ein knappes Vierteljahrhundert später folgte ein weiteres Schlüsselereignis: Eine Initiative der Partei der Arbeit (PdA) forderte eine staatliche Volkspension und damit die Verstaatlichung der Pensionskassen. Diese Initiative scheiterte 1972 deutlich am Volksmehr. Gleichzeitig wurde das Drei-Säulen-Modell in der Verfassung verankert, und die AHV erfuhr einen Leistungsausbau. Das dazugehörige Gesetz trat 1985 in Kraft – und seither ist die berufliche Vorsorge obligatorisch.

Gewichtige volkswirtschaftliche Vorteile der zweiten Säule

Im internationalen Vergleich nimmt die berufliche Vorsorge in der Schweiz auch heute eine herausragende Stellung ein: Das Vorsorgevermögen entspricht 152 Prozent des hiesigen Bruttoinlandprodukts. In Deutschland sind es nur knapp 7 Prozent, in Frankreich 11 Prozent und in Schweden 98 Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung. Die Dänen weisen mit 192 Prozent die höchste Quote der OECD-Länder aus.

Warum ist eine starke zweite Säule erstrebenswert? Erstens ermöglicht der Kapitalstock der zweiten Säule Anlagerenditen, die langfristig zur Vermögensbildung beitragen. Deshalb gilt der Kapitalmarkt gemeinhin auch als der dritte Beitragszahler in der beruflichen Vorsorge.

Zweitens geht ein höherer Anteil an kapitalgedeckter Vorsorge mit einem gesteigerten Wirtschaftswachstum einher. So erhöht die kapitalgedeckte Vorsorge den Sparanteil und fördert dadurch Investitionen, die das Wirtschaftswachstum ankurbeln.

Wichtig für stabile Staatsfinanzen

Drittens stärkt eine bedeutende zweite Säule die langfristige Tragfähigkeit der Staatsfinanzen in einer alternden Gesellschaft. Im Gegensatz zur umlagefinanzierten AHV führt der demografische Wandel hier nicht zu einer zusätzlichen Belastung zukünftiger Generationen, da – bei konsequenter Ausgestaltung der beruflichen Vorsorge – keine Umverteilung von Jung zu Alt stattfindet.

Selbstverständlich schneidet die berufliche Vorsorge nicht in allen Belangen besser ab als die AHV. Zu denken ist etwa an den Teuerungsausgleich, der in der beruflichen Vorsorge nicht garantiert ist. Zudem ist die berufliche Vorsorge auf Erwerbstätige mit einem Jahreseinkommen von mindestens 22 050 Schweizerfranken beschränkt und ermöglicht keine allgemeine Existenzsicherung. Daher kann die Altersvorsorge nicht vollständig über die zweite Säule abgedeckt werden. Das Drei-Säulen-Modell ist deshalb eine kluge, ausgewogene Lösung.

Egal, ob man die aktuelle Reformvorlage befürwortet oder ablehnt: Es ist entscheidend, sich der Errungenschaft unserer beruflichen Vorsorge bewusst zu bleiben. Ihre bedeutende Stellung in der Schweiz muss auch in Zukunft gesichert werden. Eine Volkspension war vor 52 Jahren keine gute Idee – und sie ist es auch heute nicht.

Melanie Häner-Müller leitet den Bereich Sozialpolitik am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) an der Universität Luzern.

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