Florenz richtet den Grand Départ der Tour de France aus. Grosse Begeisterung löst das nicht aus – ganz anders als andere Ausland-Starts in den vergangenen Jahren.

Florenz erträgt den Start der Tour de France eher, als dass die Bevölkerung in Begeisterungsstürme ausbricht. Im Stadtbild sind nur wenig Schmuckelemente in Gelb, der traditionellen Farbe der Tour, zu entdecken. Für das Renaissance-Juwel in der Toskana scheint der Grand Départ des grössten Radrennens der Welt nur ein Tourismus-Event neben anderen zu sein.

Wenigstens Mark Cavendish war begeistert. «Was für ein Spektakel», rief der Sprintveteran den Fans bei der Teampräsentation auf Italienisch zu. Natürlich wurde der 39-Jährige von den Anwesenden gefeiert, aus Achtung vor seiner Karriere und aus Respekt vor seinem Versuch, Eddy Merckx hinter sich zu lassen. Momentan teilen sich die beiden die Bestmarke für die meisten Etappensiege an der Tour mit je 34 Erfolgen. Im Rücken von Cavendish erhob sich prächtig die berühmte Kuppel des Doms von Florenz, konstruiert vom Florentiner Architekten Filippo Brunelleschi.

Ihm wird passenderweise die Erfindung des Krans zugeschrieben – ohne den die Übertragung von Etappenfinals der Tour heutzutage undenkbar erscheint. Der Platz vor der Bühne auf dem Piazzale Michelangelo mit tollem Blick auf die Stadt war bei der Teampräsentation allerdings nur halb gefüllt. Kein Vergleich mit den ekstatischen Massen im Kopenhagener Tivoli beim Grand Départ vor zwei Jahren.

Und wären die dänischen Fans nicht auch dieses Mal mit wehenden Fahnen und laut dröhnenden Stimmen zum Tour-Start erschienen, hätte es sich um eine sehr gedämpfte Eröffnungsveranstaltung gehandelt. Zahlreich präsent waren auch die slowenischen Fans. Die Komposition des Zuschauerlagers spiegelte perfekt die Favoritensituation bei dieser Tour wider, Jonas Vingegaard gegen Tadej Pogacar.

In der Menge fanden sich nur wenige Anwesende mit den klassischen Tour-Utensilien wie gelben, grünen und gepunkteten Trikots. Das mag daran liegen, dass viele lokale Fans auf ihren Velos erschienen und stolz die Trikots ihrer Sportvereine trugen. Die Toskana ist eine Kernregion des Radsports. Hier fährt man selbst im Alter von 80 Jahren noch Rad und winkt und trinkt nicht nur auf den Klappstühlen neben dem Camper.

Am Giro erblühen die Etappenstädte in Rosa – an der Tour hapert es

Weil auch die üblichen Mützen und Klatschpappen der Sponsoren fehlten, muss man von Lieferengpässen bei den Devotionalien oder Problemen bei der Verteilung ausgehen. Der Giro d’Italia mobilisiert gewöhnlich sehr gut die lokalen Vereine und Verbände, so dass die Etappenstädte regelrecht in Rosa erblühen. Jetzt bei der Tour hapert es.

Das fügt sich ein in das Bild, dass die Stadt dem Grand Départ eher mit Gleichgültigkeit begegnet. Florenz hat die Pest überlebt und auch das Intrigengespinst der Medici-Dynastie. Die Stadt war Bühne der Reformpredigten von Savonarola. Seit Jahrzehnten erträgt man mit Gleichmut die Massen der Touristen – vor allem deshalb, weil die eigenen Schatullen dadurch gut gefüllt werden.

Die Stadt rechnet mit Mehreinnahmen von 30 Millionen Euro durch Tour-Reisende und einem gesteigerten Werbewert von 65 Millionen Euro aufgrund der weltweiten Fernsehübertragungen. «Die Tour ist eine unschätzbare Vitrine. Dank ihr redet man nicht nur vom Velo, sondern vermittelt auch Kunst, Kultur und unsere Küche», sagt Francesco Bechi, Präsident der Vereinigung der Hoteliers der Stadt.

Die grössten Effekte sieht er allerdings nicht in Florenz selbst. «Ende Juni ist bei uns immer Hochsaison. Durch die Tour sind aber auch die Unterkünfte in einem Radius von 50 Kilometern Entfernung sehr gut nachgefragt», sagte er. Viele Tour-Touristen dürften deshalb ausserhalb wohnen. Und die Geschäftsinhaber in der Innenstadt müssen nicht extra auf die Tour setzen, um Kundschaft anzulocken. Hier scheint eine Etappenstadt einmal grösser als die Tour selbst. Auch das ist eine Erfahrung.

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