Drohnen sind keine Wunderwaffe, und dennoch sind sie revolutionär. Künftig wird keine Armee mehr ohne sie auskommen – doch dafür müssen nun drei wichtige Schlüsse gezogen werden.
Es ist eine jahrzehntealte Regel im Krieg: Wer Präzision will, muss dafür tief in die Tasche greifen. Bomben, Granaten und Raketen sind zwar an sich billig – doch wenn sie ihr Ziel millimetergenau erreichen sollen, müssen sie mit viel teurer Technologie ausgerüstet werden. GPS-gesteuerte Artilleriegranaten oder intelligente Lenkwaffen kosten pro Stück Zehn-, wenn nicht Hunderttausende von Franken.
Auch Kampfdrohnen gab es bisher nur für jene, die sie sich leisten können: Türkische Bayraktar TB2 oder israelische Hermes-900 kosten 20 Millionen Dollar pro Exemplar, amerikanische Reaper MQ-9 gar 30 Millionen – und da ist die Präzisionsmunition noch nicht dabei. Diese Rechnung mag aufgehen, wenn man militärisch unterentwickelte Gegner wie die Hamas oder al-Kaida bekämpft. Doch ein Feind, der über eine moderne Flugabwehr verfügt, holt die teuren Fluggeräte rasch vom Himmel. Den zu Beginn des Ukraine-Krieges noch hochgelobten Bayraktar-Drohnen haben die Russen schnell die Flügel gestutzt.
Inzwischen hat sich auf dem Schlachtfeld in der Ukraine aber eine Revolution ereignet, die den Preis der Präzision drastisch reduziert hat. Die zahllosen Kleindrohnen, die entlang der gesamten Front in der Luft schwirren, überwachen jeden Winkel des Gefechtsfelds, werfen Granaten über Schützengräben ab und stürzen sich, mit Sprengladungen bestückt, auf Kampfpanzer oder Truppentransporter. Ihre tödliche Wirkung entfalten sie zu einem Spottpreis. Es kostet wenige hundert Franken, einen handelsüblichen Quadcopter zu beschaffen und ihn mit Sprengstoff auszustatten.
Plötzlich ist Präzision im Überfluss vorhanden. Dies ist der entscheidende Punkt: Drohnen sind zur Massenware geworden. Oder, militärisch gesagt: zu Verbrauchsmaterial.
Terroranschläge mit Drohnen
Die Wichtigkeit der unbemannten Fluggeräte ist kaum zu überschätzen. Im Februar hat der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski gar eine eigene Drohnen-Streitkraft ins Leben gerufen. Sie steht auf einer Stufe mit Heer, Luftwaffe und Marine. «Die Abwehr von Bodenangriffen ist in erster Linie die Aufgabe von Drohnen», sagte Selenski damals in einer Ansprache. Es gibt heute ukrainische Bataillone, die monatlich bis zu 3000 Exemplare verbrauchen.
Natürlich sind Drohnen keine Wunderwaffe. Sie sind anfällig für technische Pannen und Störsender, können bei schlechtem Wetter nicht fliegen und haben eine sehr begrenzte Reichweite. Gleichzeitig befindet sich dieses neuartige Waffensystem noch im frühkindlichen Alter. Längst wird intensiv daran getüftelt, wie man sie noch besser, schneller und tödlicher machen kann.
Fest steht: Drohnen sind die Zukunft. Künftig wird keine Armee mehr ohne sie auskommen. Zwar werden sie auf absehbare Zeit altgediente Waffengattungen wie die Artillerie oder mechanisierte Verbände nicht ablösen. Aber allein schon der komplementäre Einsatz von Drohnen bringt massive Vorteile mit sich – ganz gleich, ob der Kampf in Schützengräben oder im überbauten Gelände stattfindet. Die Präsenz von Drohnen verändert jetzt schon die Art und Weise, wie Panzer oder Infanterie im Feld agieren.
Darüber hinaus zeugen die Geschehnisse in der Ukraine davon, dass Präzisionswaffen nun plötzlich für jedermann verfügbar sind – im Handumdrehen wird ein für zivile Zwecke hergestelltes Fluggerät zu einer militärischen Waffe. Das hat auch Terroristen und Kriminelle auf den Plan gebracht: So setzte die Hamas am 7. Oktober mit Granaten bestückte Drohnen ein, um die israelische Hightech-Anlage an der Grenze zum Gazastreifen auszuschalten. Auch Drogenkartelle in Mexiko nutzen inzwischen Drohnen für ihren Kampf gegen die Polizei. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis in Europa die ersten Anschläge mit Drohnen verübt werden.
Das bedeutet auch, dass sich nicht nur Armeen mit diesem Waffensystem beschäftigen müssen, sondern auch Polizeien und Geheimdienste. Wie schützt man Grossanlässe oder Präsidenten auf Staatsbesuch vor dieser ferngesteuerten Gefahr? Die Abwehr von Drohnen wird genauso wichtig sein wie ihr Einsatz.
Chinas Vormachtstellung
Die Erfolgsgeschichte der Drohnen auf dem Schlachtfeld in der Ukraine muss dem Westen deshalb als Warnung dienen, so schnell wie möglich die Lehren aus dieser Entwicklung zu ziehen. Doch wie wappnet man sich für diese fast schon dystopisch anmutende Zukunft? Gerade weil dieses Phänomen derart neu und revolutionär ist, bringt es grosse Herausforderungen mit sich.
Da ist zunächst einmal die Tatsache, dass die technologische Entwicklung der Drohnen so rasant voranschreitet wie bei keinem anderen Waffensystem. Jene Drohnen, die vor einem Jahr in der Ukraine im Einsatz waren, könnten heute gar nicht mehr fliegen, weil immer neue und bessere Störsender entwickelt werden. Folglich werden Antennen und Frequenzen der Drohnen angepasst oder deren Software optimiert. In diesem Wettlauf von Waffen und Gegenwaffen gibt es noch kein absehbares Ende.
So muss auch das militärische Beschaffungswesen überdacht werden. Bei Artilleriegranaten oder Panzermunition ist es kein Problem, mehrere hunderttausend Stück auf Vorrat anzuschaffen und darauf zu vertrauen, dass diese auch noch in zehn Jahren verschossen werden können. Im Drohnenkrieg funktioniert das nicht. Wer technologisch nicht auf dem Stand der Dinge ist – sowohl im Angriff wie auch in der Abwehr –, zieht den Kürzeren.
Ein weiteres Problem ist die chinesische Vormachtstellung bei der Produktion von unbemannten Fluggeräten und ihren Komponenten. Der Grossteil der Drohnen, die Russen und Ukrainer an der Front einsetzen, stammt aus China. Kein anderes Land kann so zuverlässig und billig Mikroelektronik produzieren. Bereits jetzt fürchten die Ukrainer, dass Peking ihnen irgendwann den Nachschub abstellt. Sollte dereinst der Konflikt um Taiwan eskalieren, kann sich der Westen ohnehin nicht mehr auf funktionierende Handelsbeziehungen mit China verlassen. Wer wird dann die Drohnen und ihre Bestandteile liefern?
Der Westen könnte die Revolution verschlafen
Drohnen in der Ukraine sind vor allem deshalb so effektiv, weil sie im Überfluss verfügbar und anpassungsfähig sind. Wie lässt sich künftig sicherstellen, dass das so bleibt? Die fortschreitende Modernisierung wird die Produktion der fliegenden Roboter unweigerlich verteuern. Der träge Rüstungssektor hat es bisher nicht geschafft, mit dem sich rasant entwickelnden Markt der Verbraucherelektronik mitzuhalten. Militärische Kleindrohnen wie die amerikanische Switchblade sind zwar zweifellos wirksam, kosten aber mehr als 50 000 Dollar pro Stück. Derweil hat sich in der Ukraine ein produktives Zusammenspiel zwischen Armee, Privatwirtschaft und Tech-Szene entwickelt, das die Preise tief hält.
Nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie das neue Waffensystem bestmöglich in die Strukturen der westlichen Armeen integriert werden kann. Dank den Kameras der Drohnen ist es möglich, das Schlachtfeld in einem nie da gewesenen Ausmass zu überwachen. Es gilt also, diese neu gewonnene Informationsfülle für die Führung und Steuerung des Einsatzes («command and control») nutzbar zu machen. In der Ukraine wird in dieser Hinsicht bislang improvisiert: Drohneneinheiten kommunizieren via Whatsapp und Google-Videokonferenzen.
Aus diesen Überlegungen lassen sich drei Schlüsse ableiten, wie sich der Westen auf den Drohnenkrieg der Zukunft vorbereiten sollte:
- Es gilt erstens, die technologische Entwicklung und Modernisierung von Drohnen, aber auch von Abwehrsystemen, eng zu verfolgen und mitzugestalten. Eine Möglichkeit ist es, Kompetenzzentren zu schaffen, die einen Austausch zwischen Armee, Privatwirtschaft, Startups und Forschung ermöglichen. Dies könnte sowohl auf Nato-Stufe wie auch in den Ländern selbst geschehen. In jedem Fall sollten dabei die Ukrainer mit eingebunden werden – denn auch die Russen werden ihre Erfahrungen mit ihren Partnern teilen.
- Zweitens sollten Armeen Drohnen bereits jetzt in die Abläufe der verschiedenen Waffengattungen sowie in ihre Kommandostrukturen integrieren und mit der Ausbildung von Drohnenpiloten beginnen. Dazu gehört, die Digitalisierung der Streitkräfte voranzutreiben.
- Drittens zwingt die chinesische Vormachtstellung bei der Produktion von Drohnen und Mikroelektronik den Westen zur Diversifizierung der Lieferketten und zur Reduktion von Abhängigkeiten. Taiwan ist eine Alternative – die sich im Falle eines chinesischen Angriffs aber schnell in Luft auflösen könnte.
Bereits ist Bewegung zu erkennen. So haben die USA im vergangenen Jahr das Replicator-Programm ins Leben gerufen, um Tausende von unbemannten Systemen für einen allfälligen Konflikt mit China zu produzieren. Das Schweizer Verteidigungsdepartement hat 2023 nicht nur eine eigene Innovationsagentur geschaffen, sondern auch das Kompetenzzentrum «Drohnen und Robotik».
Dennoch bleibt der Eindruck, dass der Westen und insbesondere Europa die Thematik allzu zaghaft angeht. Im Konfliktfall wird sich dieser Fehler auf verheerende Weise rächen. Um es mit einem angepassten Gorbatschow-Ausspruch zu formulieren: Wer die Drohnenrevolution verschläft, den bestraft das Leben.

