Mit einer Zustimmung von 58,2 Prozent schaffte die Initiative für höhere AHV-Renten fast 18 Prozentpunkte mehr Ja-Stimmen, als eine praktisch gleiche Initiative 2016 erreicht hatte. Ein wichtige Rolle dürfte die starke Mobilisierung der Älteren gespielt haben.
Die Umverteilung in der AHV von Jung zu Alt und von oben nach unten wird noch stärker ausgebaut. 58,2 Prozent der Urnengänger stimmten am Sonntag der Gewerkschaftsinitiative für höhere AHV-Renten zu. Offiziell ging es um eine «13. AHV-Monatsrente». Diese ist laut dem Initiativtext einmal pro Jahr auszuzahlen. Faktisch entspricht dies einer Erhöhung der AHV-Jahresrente um 8,3 Prozent ab 2026.
Der Vorstoss war damit praktisch eine Kopie der früheren Gewerkschaftsinitiative, die eine Erhöhung aller AHV-Renten um 10 Prozent forderte, aber 2016 an der Urne mit nur 40,6 Prozent Ja-Stimmen scheiterte.
Der Vergleich der beiden Resultate zeigt eine Art Erdrutsch: Der Ja-Stimmen-Anteil ist innert acht Jahren um fast 18 Prozentpunkte gestiegen, und das deutliche Ständemehr von 2016 gegen den AHV-Ausbau mutierte zu einem klaren Ständemehr dafür. Diesen Sonntag gab es in 16 von 26 Kantonen eine Mehrheit für höhere AHV-Renten, 2016 hatte nur in fünf Kantonen die Volksmehrheit für den Ausbau des Sozialwerks gestimmt.
Der Marketing-Trick der neuen Initiative mit der Etikette «13. AHV-Rente» in Anlehnung an den 13. Monatslohn dürfte höchstens einen sehr kleinen Teil dieses Sprungs erklären. Auch die Alterung der Bevölkerung kann längst nicht alles erklären. Der Anteil der Stimmberechtigten ab Alter 50 (die vom AHV-Ausbau zulasten der Jungen per saldo grossmehrheitlich profitieren dürften) hat in den letzten acht Jahren um etwa drei Prozentpunkte zugenommen. Das mittlere Alter der Stimmberechtigten (Medianalter) stieg von etwa 50 auf 52 Jahre; selbst unter Berücksichtigung der normalerweise deutlich überdurchschnittlichen Stimmbeteiligung der Älteren erklärt dies wohl höchstens eine Zunahme des Ja-Stimmen-Anteils um vier bis fünf Prozentpunkte.
Starke Mobilisierung
Doch der Alterungseffekt könnte mit Einbezug der ungewöhnlich starken Mobilisierung am jüngsten Abstimmungssonntag noch ein Stück grösser sein. Bei der AHV-Abstimmung von 2016 nahmen nur rund 43 Prozent der Stimmberechtigten am Urnengang teil, diesen Sonntag waren es dagegen über 58 Prozent. Die zusätzliche Mobilisierung dürfte vor allem den Befürwortern des Ausbaus genützt haben.
Typischerweise nehmen bei einem Urnengang mit grosser Mobilisierungskraft vor allem solche zusätzlichen Stimmbürger teil, die einen direkten Nutzen oder Schaden von der vorgeschlagenen Reform erwarten. Agrarinitiativen mit zusätzlichen Auflagen für die Landwirtschaft zum Beispiel mobilisieren die Bauern und generell die ländliche Bevölkerung, was den Nein-Stimmen-Anteil erhöht.
Bei der AHV dürfte die relativ starke Mobilisierung vor allem Ältere erfasst haben, welche die Rentenerhöhung am schnellsten spüren werden. Die Verteilung der Kosten ist dagegen noch unklar. In der Tendenz dürfte zwar der Grossteil der Kosten bei den Jüngeren anfallen (vor allem unter Alter 50), aber das mag vielen jüngeren Stimmbürgern diffus erscheinen und noch weit weg für sie sein. Das ergibt die klassische Asymmetrie in diesem Dossier: Die Älteren sind stark für einen Rentenausbau, während die Jungen sich in der Tendenz noch relativ wenig für die Altersvorsorge und die komplizierten Umverteilungsmechanismen interessieren und deshalb eher lauwarm gegen höhere Renten sind.
Wuchtiges Ja der Romands
Der jüngste Urnengang deutet überdies im Vergleich zu 2016 auf weit kleinere Ablehnung in den ländlichen Gebieten. 2016 stimmten in den sechs ländlichen Kantonen Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, Nidwalden, Obwalden, Schwyz und Uri im Durchschnitt nur 28 Prozent der Urnengänger dem AHV-Ausbau zu, an diesem Abstimmungssonntag waren es immerhin gut 41 Prozent. Diesen Sonntag dürften viele ältere Bauern, die eher kleine Einkommen haben und vom AHV-Ausbau überdurchschnittlich profitieren, Ja gestimmt haben. Im Kanton Basel-Stadt stieg derweil die Zustimmung von 49 auf über 64 Prozent.
Ein ähnliches Bild zeigt sich innerhalb des Kantons Zürich. Im ländlichen Bezirk Andelfingen stimmten 2016 nur rund 31 Prozent dem AHV-Ausbau zu, bei der neusten Abstimmung waren es fast 47 Prozent. In der Stadt Zürich stieg die Zustimmung von knapp 46 auf fast 57 Prozent.
Das übliche Muster lieferte diesen Sonntag der Vergleich zwischen Deutschschweiz und Westschweiz. Die Romands zeigten einmal mehr deutlich grössere Lust an staatlichen Umverteilungen. In den sechs Kantonen mit französischsprachiger Mehrheit lag der Anteil der Ja-Stimmen im Mittel bei fast 75 Prozent. Auch im Tessin war die Zustimmung mit 71 Prozent weit überdurchschnittlich.
Angesichts des relativ deutlichen Volks-Ja stellte sich am Sonntag die Frage des Ständemehrs bald nicht mehr. Bei dieser Abstimmung wäre das Ständemehr eine relativ kleine Hürde gewesen. Bei proportionaler Verteilung zusätzlicher Nein-Stimmen auf die Kantone hätte eine nationale Volksmehrheit von etwas unter 52 Prozent genügt, um auch das Ständemehr zu erreichen.