Freitag, Dezember 27

Adipositas gilt heute zu Recht als eine chronische Krankheit. Das anerkennt auch der Deutsche Bundestag. Trotzdem gibt es in Deutschland im Gegensatz zur Schweiz die neuen, hochwirksamen Medikamente zum Abnehmen nur für Selbstzahler.

Wer in der Schweiz wegen krankhaften Übergewichts behandelt wird, kann auf Kosten der Krankenkasse ein Medikament zum Abnehmen bekommen. Derzeit ist das – unter bestimmten Voraussetzungen – zum Beispiel Saxenda, das den Wirkstoff Liraglutid enthält. Das Mittel dämpft den Hunger.

Für solche Personen könnte die Krankenkasse bald auch die Behandlung mit dem noch wirksameren Medikament Wegovy übernehmen, das den Wirkstoff Semaglutid enthält. Derzeit laufen die Preisverhandlungen zwischen dem Bund und dem Hersteller.

In Deutschland dagegen ist es unmöglich, dass Krankenkassen schwer Übergewichtigen solch eine Behandlung bezahlen. Die neuen Medikamente gehören in die Kategorie «Lifestyle-Arzneimittel» und dürfen laut dem Sozialgesetzbuch von den gesetzlichen Krankenkassen ebenso wenig erstattet werden wie zum Beispiel Haarwuchsmittel.

Dabei sind die Zeiten vorbei, in denen Fettleibigkeit als Lifestyle-Problem angesehen wurde, das man allein mit Willensstärke lösen kann. Adipositas ist eine chronische Erkrankung, so sagen es Fachleute schon seit Jahren. Sie kann laut der Deutschen Adipositas-Gesellschaft auch genetische und psychische Ursachen haben oder aufgrund hormoneller Erkrankungen entstehen. Die Gründe sind vielfältig. Und nur wenige schaffen es aus eigener Kraft, stark und dauerhaft abzunehmen.

Auch der Deutsche Bundestag hat Adipositas im Jahr 2020 als Krankheit anerkannt – und beschlossen, dass sich die Behandlung der Betroffenen verbessern soll. Das ist dringend nötig, denn die Zahlen sind enorm hoch: In Deutschland sind rund 19 Prozent der Bevölkerung adipös, in der Schweiz sind es 12 Prozent. Sie haben ein besonders hohes Risiko für weitere Erkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Leiden sowie einen vorzeitigen Tod.

Moderne Abnehmmedikamente können ein Baustein in der Behandlung der Betroffenen sein. Doch man verwehrt den Patienten in Deutschland die Kostenübernahme ganz prinzipiell.

Bevor die neuen Medikamente auf den Markt kamen, war die Geschichte der Abnehmmittel tatsächlich nicht ruhmreich. Sie hatten viele Nebenwirkungen, und die Menschen verloren meist nur wenig Gewicht. Das hat sich geändert, seit es die sogenannten GLP-1-Rezeptoragonisten wie Semaglutid gibt.

Sie imitieren die Wirkung eines Darmhormons, das dem Gehirn Sättigungssignale sendet. Im Laufe eines Jahres können schwer Übergewichtige damit rund 15 Prozent ihres Körpergewichts abnehmen. Als noch wirkungsvoller hat sich der Wirkstoff Tirzepatid erwiesen, der zwei Hormone imitiert.

Ein Wundermittel sind die Medikamente wohlgemerkt nicht. Die Patienten müssen sie nach den bisherigen Erkenntnissen lebenslang einnehmen – und zusätzlich ihren Lebensstil ändern, also Sport treiben und die Ernährung umstellen. Aber sie füllen eine Lücke – nämlich die zwischen der reinen Lebensstiländerung und chirurgischen Eingriffen wie etwa der Magenverkleinerung.

Das soll nicht heissen, dass die Gesellschaft über die Krankenkassenbeiträge jedem Übergewichtigen Medikamente zum Abnehmen finanzieren soll. Doch es sollte möglich sein, dass diese Medikamente prinzipiell ein Teil des Behandlungsspektrums werden. Dass sie nach dem Abwägen des Für und Wider im individuellen Fall eine von mehreren Behandlungsoptionen der chronischen Krankheit Adipositas sein können. Die Kriterien für den Einsatz als Kassenleistung müssen wohlüberlegt sein. Aber Abnehmmedikamente kategorisch auszuschliessen, ist nicht gerechtfertigt.

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