Dienstag, November 26

Er schaut kritisch auf seine Heimat, sieht aber nicht schwarz. Laut Plattner sollte sich die Regierung auf die Abwehr des Wassers im Norden und der Panzer im Osten konzentrieren. An seinem 80. Geburtstag bereut er, nicht ein Viertel an Apple gekauft zu haben.

Hasso Plattner hat seinen Geburtstag vor gut einer Woche im Silicon Valley südlich von San Francisco ein wenig gefeiert. «Ein Lunch mit Freunden, nichts mit Alkohol», sagt er im Videogespräch. Zwar wohnt er eigentlich in Potsdam, doch meist hält er sich in San José auf, der Heimatstadt des Silicon Valley. Auf seine Familie musste er beim Wiegenfest verzichten. Eine Tochter sei in Südafrika, die andere in Potsdam. «Wir waren aber über Weihnachten alle zusammen in Aspen.»

Im April 1972 hat Plattner gemeinsam mit seinem damaligen Chef Dietmar Hopp und drei weiteren Mitstreitern, allesamt von IBM, die Firma SAP gegründet. Der Konzern für Unternehmens-Software ist heute mit einem Börsenwert von 175 Milliarden Euro eines der wertvollsten Unternehmen Europas, kein europäischer IT-Konzern kann annähernd mithalten. Sein einziges Geburtstagsinterview hat der Jubilar der NZZ gegeben.

Herr Plattner, der 80. Geburtstag ist auch Anlass zum Rückblick. Sie haben in Ihrer Karriere unglaublich viel erreicht. Bereuen Sie dennoch manche Entscheidungen?

Im Grossen und Ganzen ist es gut gelaufen. Bei der Gründung der SAP träumten wir davon, mal 100 Angestellte und 100 Millionen Mark Umsatz zu haben. Jetzt beschäftigt SAP knapp 110 000 Mitarbeiter, und wir machen 31 Milliarden Euro Umsatz.

Am 15. Mai geben Sie Ihr Amt als Aufsichtsratsvorsitzender ab. Fällt Ihnen der Abschied nach über fünfzig Jahren in der Firma schwer?

Eigentlich gar nicht, vielleicht denke ich in einem halben Jahr anders darüber. Ich war in den vergangenen zwanzig Jahren ja nur noch Aufsichtsratsvorsitzender und damit nicht mehr so richtig in der Firma drin. Der deutsche Aufsichtsrat kann die Politik und die Strategie der Firma nicht wesentlich beeinflussen, sondern nur Rat geben und kontrollieren. Ich wollte schon vor fünf Jahren und dann noch einmal vor zwei Jahren aufhören, aber vor allem die Arbeitnehmervertreter und Mitarbeiter haben mich gebeten, weiterzumachen. Die deutschen Journalisten meinten, ich könne nicht loslassen, dabei hätte ich gerne früher losgelassen.

SAP ist inzwischen ein deutsch-amerikanischer Konzern. Ist das mit den verschiedenen Kulturen immer gut gegangen?

Nein, ich habe leider auch Fehler gemacht. Als ich Jennifer Morgan zur Co-Vorstandsvorsitzenden zusammen mit Christian Klein gemacht habe, erwartete ich einen richtigen Schub für SAP. Sie ist auch gleich losgelaufen – aber wollte in der Technologie zurückschrauben und das anderen überlassen. Das wäre das Ende für SAP gewesen. Da mussten wir uns leider trennen.

Der Vorgänger des jetzigen Konzernchefs Klein, der Amerikaner Bill McDermott, galt hingegen als Glücksgriff und wurde von den Medien als Verkaufsgenie gefeiert.

Amerikaner haben nun mal einen anderen Bühnenauftritt als Deutsche, das galt für Bill besonders. Er hat seine Sache meistens sehr gut gemacht, wenngleich er am Ende vielleicht ein bisschen den Widerstand der Mitarbeiter gegen den amerikanischen Führungsstil gespürt hat. Als es mit unserem Sprung ins Cloud-Geschäft nicht funktionierte, hat Bill kurzerhand mehrere Cloud-Anbieter gekauft und in die SAP eingewoben. Das war und ist ein schwieriger Prozess. Doch heute machen wir über 80 Prozent unseres Produktumsatzes mit der Cloud.

Die Stimmung in Deutschland ist derzeit schlecht, viele Menschen und Unternehmen sind unzufrieden.

Ich kann das nicht bestätigen, aber das mag daran liegen, dass ich weit weg bin. Ja, die Autoindustrie steht vor grossen Herausforderungen. In diese Unsicherheit stösst China mit einem massiven Angebot an E-Autos. Auch in unserer Branche müsste Deutschland mehr hinbekommen. Gesamtwirtschaftlich sind wir grad auf Talfahrt, dann geht es wieder aufwärts. Hat das so viel mit der Regierung, mit Steuern zu tun? Ich weiss es nicht.

Woran könnte es sonst liegen?

In Deutschland haben wir die Selbstzweifel entwickelt bis zum Selbstzerstörerischen. Das ist eine besondere deutsche Eigenschaft. In Amerika ist das völlig anders, und das schwächt uns im internationalen Wettbewerb. Man sollte also nicht alles auf den armen Bundeskanzler schieben, der halt nicht so viel Strahlkraft hat. Merkel wird im Rückblick auch von allen Seiten angegriffen. Ihr «wir schaffen das» hat sich anders entwickelt. Leben Sie in Berlin?

Ja.

Dann wissen Sie, wie es dort aussieht. Ich bin Berliner, aber ich fahre nicht mehr nach Berlin, ich bleibe in meinem Potsdam. Dass ganze Stadtteile scheinbar übernommen wurden von Arabern, dass dort deren Ethik und Verständnis für Gesetze gelebt wird, ist nicht gut. Hinter vorgehaltener Hand sagt jeder, dass da etwas schiefgegangen ist.

Was ist schiefgegangen?

Die Integration ist schiefgegangen, die Erziehung, die Schulpolitik. Aber keiner geht hin und sagt: Ja, das ist schiefgegangen, jetzt müssen wir es ändern. Weil das auch wieder unpopulär ist. Und dann kommt die AfD, und einige Mitglieder sagen offenbar in einem geheimen Treffen, man müsse Millionen Ausländer wieder zurückführen.

Besorgt Sie der Aufstieg der AfD?

Ja, er macht mir grosse Sorge. Nehmen wir mal an, in Amerika kippt die Demokratie. Dann hat die westliche Welt ein grosses Problem. Auf einmal müssten wir es selbst richten. Und das mit einem Drittel von Menschen in Deutschland, die ähnlich denken wie Trump, und die ganz schnell vielleicht 50 Prozent sein könnten.

Derzeit wird ein Verbot der AfD diskutiert.

Das würde sie nur noch stärker machen, denn es gibt eine starke Gruppe in der Bevölkerung, die dem Gedankengut der AfD sehr nahesteht. Das Gefühl, dass wir als Deutsche den anderen überlegen sind, dass es uns am besten geht, wenn man uns nur allein lässt, ist stark vertreten in Deutschland. Der Sprung von 33 zu über 50 Prozent Wähleranteil kann leicht kommen in einer Krise. Dann helfen auch 75 Jahre Demokratie nicht viel, wie man in den USA sieht. Wie können die Amerikaner in so grosser Zahl diesem Rattenfänger Trump hinterherlaufen?

Sie haben einst gesagt, Sie hätten viele Male die SPD gewählt. Wie sind Sie heute mit der SPD und der von ihr geführten Ampelregierung zufrieden?

Ich könnte jetzt boshaft sagen: Ist die SPD noch im Parlament? Es ist ein Trauerspiel. Aber es ist nicht die Schuld der Wähler. Es ist die Schuld der Leitenden und der Art, wie sie sich über Kompromisse durchs Tagesgeschäft retten wollen, ohne eine klare Linie zu zeigen. Aber wenn Bundeskanzler Scholz mich jetzt fragen würde, was er denn machen solle, wüsste ich auch keinen Rat. Die Dreierkombination der «Ampel» ist nicht auf natürliche Art stabil.

Wo liegt der grösste Handlungsbedarf?

Wir sollten uns auf die Abwehr des Wassers im Norden und der Panzer im Osten konzentrieren. Zu den grossen Ereignissen der deutschen Nachkriegsgeschichte gehören die Deichbrüche und die Überschwemmungen in Hamburg. Und das wird wiederkommen, eher früher denn später, wenn wir die ernste Umwelt- und Klimabedrohung nicht angehen.

Und die Panzer?

Ich bin mein Leben lang Pazifist gewesen. Aber jetzt muss Deutschland aufrüsten. Es muss sich verteidigungsbereit zeigen und die anderen Nato-Länder genauso. Der russische Präsident Putin hat etwas Besonderes mit uns vor, wenn er sein Ukraine-Problem gelöst hat. Und Trump, der mögliche neue Präsident in den USA, will raus aus der Nato, will Europa nicht mehr unterstützen. Ich tröste mich damit, dass Europa, also EU plus die europäischen Nato-Staaten, über 500 Millionen Menschen hat. Da werden wir uns doch gegen dieses vergleichsweise kleine Russland zur Wehr setzen können.

Wie wichtig ist und wird China für SAP?

China ist sehr wichtig. Die Art und Weise, wie die USA mit China umgehen, wäre nicht meine. Man muss es aushalten, dass es einen starken Wettbewerber gibt. Wenn der Wettbewerber dann mal Fehler macht, weil er etwa zu tief in andere Firmen hineinschaut, muss man Massnahmen dagegen ergreifen. Dazu gehört aber nicht, sich auf einen Wirtschaftskrieg einzulassen. Der führt am Ende nur zur Stärkung Chinas, weil das Land die Dinge selbst macht, das gilt zum Beispiel für die KI und die Chipherstellung.

In Berlin wird immer wieder über die Aussperrung von chinesischen IT-Anbietern wie Huawei diskutiert. Was sagen Sie dazu?

Ich habe Huawei besucht und mit dem Gründer und Chairman einen Tag verbracht – eine hervorragende Firma. So ein Unternehmen haben wir weit und breit nicht in Deutschland. Es ist schade, dass wir Huawei so behandeln. Ob sie in ihrer Technologie eine Hintertür haben, weiss ich nicht. Insider haben mir gesagt, sie hätten eine Hintertür. Die Hersteller deutscher Telefonanlagen hatten in den 1960er und 1970er Jahren ebenfalls eine Hintertür, auf Geheiss der Amerikaner. Wer ist hier der Böse? Unternehmerisch wird der Verzicht auf Huawei zu einem kommerziellen Nachteil führen, da die Technologie modern und kostengünstig ist.

Wie werden Sie mit SAP verbunden bleiben? Allein als Grossaktionär oder noch in beratender Funktion?

Die Mitarbeiter möchten Letzteres. Ich habe in Auftrag gegeben, mir zu sagen, welche Konstitution wir dafür haben müssen. Ich bin mir nicht so sicher. Ich kann technologisch immer weniger beitragen. Vor zehn, fünfzehn Jahren habe ich unsere Entwicklungs- und Integrationsplattform Hana gebaut. Da war ich noch mittendrin in der Entwicklung. Das ist Vergangenheit, und noch mal was Neues mache ich nicht.

Haben Sie noch Kontakt zu den anderen SAP-Mitgründern?

Zu Hans-Werner Hector nicht mehr, er ist in den 1990er Jahren ausgeschieden. Klaus Tschira ist leider schon verstorben, aber zu den anderen schon noch. Dietmar Hopp hat mir einen sehr schönen Brief geschrieben zum Geburtstag. Er musste darin aber auch anmerken, dass wir nicht immer einer Meinung gewesen seien. Für Hopp war ich der Berliner mit einer frechen Schnauze. Er ist Nordbadener, die sind halt ruhig und gediegen. Wir haben immer im Wettbewerb miteinander gestanden. Ob es im Schnellprogrammieren war, im Verkaufen von Software, wo er mich glatt geschlagen hat, oder im Tennis. Trotzdem hat er ein paar Zeilen später geschrieben, dass ich der bestdenkbare Freund gewesen sei in dieser langjährigen Beziehung. Es war eine tolle Zeit. Wir haben viel erreicht. Nun wollen wir nicht darüber nachdenken, was noch hätte sein können.

Was denn?

Ich wollte mal einen Viertel von Apple kaufen. Ich hatte schon angefangen, Verhandlungen zu führen. Dann hat mein Finanzberater gesagt: Um Gottes willen, macht das nicht. Dann hat Bill Gates ein Prozent von Apple gekauft. Da habe ich zunächst noch einmal gesagt: Jetzt muss ich doch auch dabei sein. Wo wären wir damit heute? Aber das hört sich komisch an von jemandem, der etwas in der Nähe von 20 Milliarden an Vermögen hat. Eigentlich spielt es keine Rolle, wie viele Milliarden man hat. Es hat nur Einfluss auf das Ego.

Sie haben einmal den Microsoft-Gründer Bill Gates als Freund bezeichnet. Sind solche Freundschaften unter Topmanagern eine Ausnahme?

Ach, wir haben einfach von allen Geschäftsbeziehungen zu grossen Partnern die intensivste Beziehung zu Microsoft gehabt. Vor zwanzig Jahren wollten wir mal die Firmen fusionieren. Aus Rechtsgründen sind wir davon abgekommen. Es wäre heute für die Aktionäre der SAP ein Wahnsinnsgeschäft gewesen. Sie hätten viermal so viel Geld, wenn sie die Aktien behalten hätten. Es hätte also alles noch besser laufen können. Aber es ist sehr, sehr gut gelaufen.

Sie können dem Frankfurter Wirtschaftskorrespondenten Michael Rasch auf den Plattformen X, Linkedin und Xing folgen. Den Berliner Wirtschaftskorrespondenten René Höltschi finden Sie auf X und Linkedin.

Exit mobile version