Sonntag, April 27

Donald Trumps Wahl sorgt an den Börsen zum Jahresende für ein beispielloses Rally. Am Finanzmarkt-Roundtable der NZZ analysieren vier Expertinnen und Experten die Chancen und Risiken für Anleger.

Donald Trump ist wieder gewählt. Für die Wirtschaft ist das eine gute und eine schlechte Nachricht: Sie könnte schneller wachsen, dafür könnte auch die Inflation wieder aufflammen. Was erwarten Sie, Herr Schnabl?

Gunther Schnabl: Das ist noch nicht so klar. Im Parteiprogramm der Republikaner gibt es Vorhaben, die inflationäre Effekte haben, wie die Zölle und die Migrationspolitik. Aber es gibt auch viele Pläne, die deflationär wirken dürften – beispielsweise der geplante Abbau von Regulierungen. Diese haben sich in den vergangenen Jahren stark preistreibend ausgewirkt. Trump hat auch angekündigt, entschlossen Ausgaben zu kürzen. Wenn der Haushalt am Ende ausgeglichen ist, dann sinkt der Druck auf die US-Notenbank, Staatsanleihen zu kaufen, also eine inflationäre Politik zu verfolgen. Mittlerweile glaube ich mehr an eine umfassende Reformpolitik, wie sie Anfang der 1980er Jahre zu beobachten war. Trump könnte vieles wie Ronald Reagan machen.

Wie sehen Sie das, Frau Hilb?

Caroline Hilb: Ich sehe es anders. Ich glaube, Trumps Zollpolitik wird in der langen Frist inflationstreibend sein. Allerdings könnte es eine Weile dauern, bis die Inflation tatsächlich steigt. Sie muss ja zuerst im System ankommen und sich quasi «durchfressen». Bis Mitte nächsten Jahres wird sie noch nicht allzu viel höher notieren als heute.

Fabienne Hockenjos-Erni: Bei der Inflation wird auch Trumps Migrationspolitik eine wichtige Rolle spielen, weil sie dem Arbeitskräftemangel einen weiteren Schub gibt. Wenn die amerikanische Wirtschaft weiterhin so gut läuft, wirkt das inflationär. Es gibt eine zunehmende Diskrepanz zwischen den USA und anderen Ländern.

Maurice Pedergnana: Aber unter Donald Trump dürften die Energiepreise fallen. Wirtschaftspolitisch gesehen schaue ich positiv auf diese kommende Ära «Trump 2.0». Seine Radikalität wird auch Europa und Asien unter Druck setzen, endlich wegzukommen von dieser unglaublichen Regulierungswelle der vergangenen zwei Jahrzehnte.

Viele Regulierungen sind nicht einfach wegzubekommen . . .

Pedergnana: Bei der Bankenregulierung ist es ganz einfach. Man kann die Kapitalkosten erhöhen, wie das die Europäer machen, oder man kann sie senken, so wie die Amerikaner.

Schnabl: Viele Leute arbeiten in Jobs, die auf unnötige Regulierungen zurückgehen, sowohl beim Staat als auch bei den privaten Unternehmen. Wenn diese Leute nicht mehr gebraucht werden, schaffen sie ein zusätzliches Angebot am Arbeitsmarkt, was den Lohndruck senkt. Trump ist keine konsensorientierte Person, er agiert entschlossen. Und wenn man deregulieren will, dann braucht man so jemanden.

Allerdings kann ein zu abruptes und undurchdachtes Vorgehen auch nach hinten losgehen, wie man im Jahr 2022 am Beispiel der kurzen Zeit von Liz Truss als britischer Premierministerin gesehen hat.

Hockenjos-Erni: Ja, absolut. Das ist das Gefährliche an Trump. Viele seiner Pläne sind vor allem für die USA sehr positiv. Aber es gibt auch Risiken, die in Extremfällen eintreten können – im Finanzjargon spricht man hier von «tail risks». Zu den Risiken zählen beispielsweise die hohen unrealisierten Verluste in Bankbilanzen. Auch könnten die Zinsen aufgrund der Politik von Trump plötzlich in die Höhe schiessen, wie nach dem Amtsantritt von Liz Truss in Grossbritannien. Ein Risiko sind ausserdem die enorm tiefen Renditeaufschläge bei Unternehmensanleihen, auch in den USA. Wenn Kreditrisiken auf einmal ein Thema werden, dann kann das schnell grosse Auswirkungen haben. Aber das wären Extremsituationen, sie entsprechen nicht unserem Basisszenario.

Hilb: Ich bin nicht vollends überzeugt, dass Trump die Veränderungen der vergangenen Jahre einfach so rückgängig machen kann. Regulierungen aufzuheben, ist viel aufwendiger, als zum Beispiel Steuersenkungen oder Zölle einzuführen. Viele Ausgaben im Staatshaushalt sind gebunden, das kann man nicht von heute auf morgen umdrehen. Auf die Aktienmärkte haben Trumps Pläne gegenläufige Effekte. Die Importzölle sind eher negativ für die Börsen, weil sie einen inflationären Charakter haben – und die Steuersenkungen wären sehr positiv, wie in der ersten Amtszeit von Trump zu beobachten war.

Pedergnana: Mehr Wettbewerb sorgt für tiefere Preise. Vielleicht werden manche Monopolisten darunter leiden, dass es zu mehr Wettbewerb kommen wird. Nicht alle, die heute sehr hohe Gewinnmargen haben, werden diese behalten können.

Hilb: Es gab ja in der Vergangenheit eine tiefere Inflation durch mehr Wettbewerb, weil China als neuer Anbieter am Weltmarkt aufgetreten ist. Dieser Mitbewerber wird jetzt durch diese Importzölle von Trump zurückgedrängt. Ich bin nicht sicher, ob diese Politik von Trump zu mehr Wettbewerb führt. Vielleicht in Amerika, aber selbst hier bin ich nicht restlos überzeugt.

Pedergnana: Die Weltwirtschaft hat sich von China extrem abhängig gemacht. Vor drei, vier Jahren erfolgten noch 40 Prozent der globalen Güterproduktion in China. Heute gibt es durch den Druck auf Lieferketten Veränderungen, da kommen zahlreiche asiatisch-pazifische Länder hinzu. Indien gewinnt als Produktionsstätte an Bedeutung, und ostmitteleuropäische Länder haben gegenüber China an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen. Durch die geringere Abhängigkeit von China sind wir heute besser diversifiziert bei den Produktionsstätten, dies wird mittelfristig zu tieferen Preisen führen.

Aber Onshoring macht doch alles teurer, oder nicht?

Pedergnana: Es ist eben nicht nur Onshoring. Apple geht nicht nur nach Indien, weil das Unternehmen seine Lieferketten diversifizieren möchte. Mit Indien ist ein ganz neues Land in die Produktionswelt eingetreten. In Vietnam ist im letzten Jahrzehnt die Zahl der Fabrikationsstätten massiv gewachsen.

Unter Trump könnten auch die US-Staatsschulden noch weiter steigen. Der Trend zeigt hier seit Jahren rasant nach oben. Wie lange kann das noch so weitergehen?

Schnabl: Nicht mehr lange. Die Brics-Länder wie China, Russland, aber auch Südafrika sind nicht mehr um jeden Preis bereit, Dollarreserven zu halten und die US-Staatsschulden mitzufinanzieren. In ihrem Wahlprogramm haben die Republikaner klargemacht, dass sie die führende Stellung des Dollars im Weltwährungssystem halten wollen. Wenn das gelingen soll, können sich die USA nicht immer weiter verschulden und darauf vertrauen, dass das Fed und andere Zentralbanken diese Schulden kaufen. Gold könnte dem Dollar den Leitwährungsstatus streitig machen. Also müssen die USA ihre Staatsausgaben konsolidieren. Die Republikaner haben zudem einen Anti-Inflations-Wahlkampf gemacht. Wenn sie die Midterm-Wahlen überleben wollen, dann müssen sie jetzt liefern.

Hilb: Die Republikaner werden es schaffen, der Bevölkerung das Gefühl zu geben, die Inflation sei gesunken. Sie werden bei den Energiepreisen ansetzen. Die gefühlte Inflation wird deshalb sinken, und zwar ziemlich schnell.

Wie macht man das?

Hilb: Die gefühlte Inflation betrifft einfach Dinge, welche die Menschen häufig kaufen – Benzin an der Tankstelle beispielsweise. Wenn hier die Preise sinken, hat das sofort einen positiven Effekt. Als Konsument denkt man, dass die Inflation gesunken ist, obwohl die Statistik das gar nicht anzeigt.

Kommen wir auf Europa zu sprechen: Deutschland und Frankreich sind wirtschaftlich nicht gut unterwegs, und in beiden Ländern sind die Regierungen gestürzt. Was sind die Gründe für die Misere, Herr Schnabl?

Schnabl: In den letzten 20 Jahren gab es in Europa eine viel zu expansive Ausgabenpolitik und viel zu weit gehende Regulierungen bis hin zur Taxonomie – man will alle Unternehmen in der EU nach Klima- und Umweltkriterien klassifizieren und danach Kredite vergeben. Das ist eine Art Planwirtschaft, die man da vorantreibt. Das war nur möglich, weil die Europäische Zentralbank die zusätzlichen Ausgaben und Regulierungen mit niedrigen Zinsen und Staatsanleihekäufen indirekt unterstützt hat. Nach der Corona-Krise kam dann die Inflation, und die EZB war gezwungen, die Zinsen anzuheben, so dass die hohen Ausgabenverpflichtungen und vielen Regulierungen nicht mehr finanzierbar sind. Europa braucht deshalb Reformen. Das bisher in der EU verbreitete Denken, dass sich alle Probleme mithilfe der expansiven Geldpolitik der EZB lösen lassen, stösst ganz klar an Grenzen. Beim Umdenken ist man aber nicht so weit wie in den USA. Deshalb wird es zu einer starken Abwertung des Euro kommen, die auch die Inflation nach oben treiben wird.

Pedergnana: Das Problem verorte ich mehr bei Deutschland als bei Frankreich. Mit dieser Mentalität à la «Wir kümmern uns um dich, hab bloss keine Angst» ist man gescheitert. Ich gehe sogar so weit, zu sagen, dass die Integration der Menschen in Ostdeutschland gescheitert ist. Man hat die Menschen integriert in das Netz der sozialen Sicherheit, aber die Werte von Eigenverantwortung, von Freiheit und Marktwirtschaft hat man ihnen nicht vermittelt. In Deutschland sind Wohlstand und Unternehmertum verpönt, und in einem solchen Umfeld kommt man nicht voran.

Wie sehen Sie das, Frau Hilb?

Hilb: Nicht so schwarz wie die beiden Herren. Europa hat seine Probleme, das sieht man am Euro. Europa hat bei manchen Themen eine falsche Richtung eingeschlagen, es wird zu wenig Eigeninitiative zugelassen. Deutschland hat aber immer noch eine starke Industrie, Deutschland ist nicht nur der VW-Konzern. Es gibt auch viele innovative Firmen, die teilweise nicht börsenkotiert sind. So sehe ich das auch bei Frankreich. Die wirtschaftliche Situation in Europa bleibt zwar kurzfristig schwierig, aber man sollte auch keine Weltuntergangsszenarien skizzieren.

Hockenjos-Erni: In der Euro-Krise standen ganz andere Länder im Fokus. Spanien, Italien oder Portugal haben seitdem eine ganz andere Entwicklung gemacht, wohingegen Deutschland und Frankreich Probleme haben. Wenn Frankreich plötzlich den gleichen Kreditaufschlag hat wie Griechenland, dann sieht man, wie sich die Lage verändert hat. In Deutschland und Frankreich braucht es einen Befreiungsschlag. Vielleicht sollte Herr Musk mal nach Brüssel gehen, das wäre möglicherweise eine Variante (lacht).

Als Anleger sollte man sich von Europa also eher fernhalten?

Pedergnana: Nein, überhaupt nicht. In Europa gibt es zahlreiche Champions wie SAP oder Schneider Electric. Die sind weltweit Nummer eins in ihren Bereichen, und sie machen nur einen Teil ihres Umsatzes in Europa. In diese Champions kann man beinahe blind investieren, sie haben in den nächsten zehn Jahren nochmals eine ganz hervorragende Story vor sich, weil man in dieser zunehmend komplexen Weltwirtschaft auf sie angewiesen ist.

Hilb: Ich würde Europa derzeit untergewichten, aber nicht komplett rausgehen.

Hockenjos-Erni: Ich kann mich da nur anschliessen. In Europa hat es nach wie vor viele interessante Unternehmen. Angesichts der schwierigen Lage ist das Timing für Anlagen in Europa etwas fragwürdig, auch wenn die Chancen da sind. Die Frage ist, wann der Aufholeffekt kommt. Momentan glaube ich noch weiter an die Outperformance der USA, in Europa gibt es noch zu viel Gegenwind.

Blicken wir auf die Schweiz: Das Land hat eine starke Währung, die Inflation sinkt wieder, und es wird bereits wieder über eine Rückkehr der Negativzinsen diskutiert. Wird die Schweizerische Nationalbank wieder zu diesem extremen Mittel greifen müssen?

Hockenjos-Erni: Die Schweiz kann sich den Einschätzungen zu Europa nicht völlig entziehen, auch wenn der Ausblick positiver ist. Aber in der Geldpolitik haben wir sicher ein Problem. Der einzige Grund, mit dem man erklären kann, wieso die SNB im März schon zum ersten Mal die Zinsen gesenkt hat, ist, dass man bereits damals über eine sehr niedrige Inflation diskutiert hat. Die SNB wird enorme Mühe haben, den Franken zu verteidigen. Das dürfte nicht ohne Devisenkäufe gehen. Ich hoffe, sie bremst bei einem Leitzins von null Prozent. Allerdings kann man bei der derzeitigen wirtschaftlichen Lage von Europa erneute Negativzinsen nicht ausschliessen.

Was erwarten Sie, Frau Hilb?

Hilb: Die SNB wird die Leitzinsen zwar noch weiter senken. Für Negativzinsen müsste es aber wieder eine Schuldenkrise und ein deflationäres Umfeld geben. Der starke Franken alleine ist für die SNB kein Grund, die Negativzinsen einzuführen, das kann sie viel besser und direkter über die Deviseninterventionen steuern. Ich habe den Eindruck, dass die SNB auch nicht wieder zurückmöchte zu diesem Ausnahmezustand der Negativzinsen. Darum halte ich die Null-Prozent-Linie für ziemlich stark.

Schweizer Aktien sind in diesem Jahr deutlich schlechter gelaufen als Titel aus den USA oder der Welt-Aktienindex MSCI World. Was sind die Gründe dafür?

Pedergnana: Die schlechte Performance der Nestlé-Aktie ist dafür ein wichtiger Grund. Ein Problem ist aber auch, dass erfolgreiche Schweizer Jungunternehmen oft in den USA an die Börse gehen. Beispiele hierfür sind die Sprach-lern-App Duolingo, der Sportausrüster On oder Mettler Toledo, ein Anbieter von Waagen und Messinstrumenten. Die Schweiz ist ein Standort mit grosser Innovationskraft, aber ausgenutzt wird dies an anderen Orten, vor allem in den USA. Dort werden solche jungen Unternehmen einfach besser gefördert. Die Situation in der Schweiz ist etwas besser als vor 10 oder 15 Jahren. Die besten Forscher verlieren wir aber nach wie vor an die USA.

Hockenjos-Erni: Da ist viel Wahres dran. In der Schweiz kann man aber nach wie vor sehr spannende Opportunitäten wahrnehmen. Das Gute an der Schweiz ist, dass man defensive Qualität mit qualitativem Wachstum verbinden kann. Es gibt hier sehr, sehr viele Unternehmen mit hoher Qualität.

Herr Schnabl, wie blicken Sie als deutscher Ökonom auf die Schweizer Wirtschaft?

Schnabl: Der Blick auf die Schweiz ist für mich als Ordnungspolitiker mit viel Neid verbunden. Die Schweiz hält im Vergleich mit Deutschland Leistungsbereitschaft und Eigeninitiative hoch, hat eine sehr viel solidere Finanzpolitik, eine geringere Verschuldung und weniger Subventionen. In den vergangenen 20 Jahren wurde die deutsche Industrie mit niedrigen Zinsen, mit der Abwertung des Euro und mit immer mehr Subventionen träge gemacht.

Der wichtigste Markt für Anleger sind die USA. Die dortigen Börsen sind in den vergangenen Jahren sehr gut gelaufen. Einen grossen Anteil daran haben die Technologieaktien. Was bedeutet das für Anleger, gerade wenn man in Indizes investiert?

Hilb: Das ist die Gretchenfrage. Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Auf der einen Seite sind die Bewertungen dieser Technologieunternehmen wahnsinnig hoch – und ich denke, mit Blick auf die fundamentalen Daten mahnt dies zur Vorsicht. Auf der anderen Seite ist der Einfluss dieser Technologien auf die Wirtschaft sehr gross. Der Überflieger im Bereich der künstlichen Intelligenz, Nvidia, kam praktisch aus dem Nichts. Als Chat-GPT lanciert wurde, stieg diese Aktie sehr stark. Das zeigt die Schwierigkeit bei der Analyse dieser Tech-Werte. Man kann das klassisch anschauen, aber am Ende kann ein Katalysator diese Werte in ungeahnte Höhen katapultieren. Wenn man ehrlich ist, kann man eine solche Entwicklung nicht antizipieren. Man sollte also in diesen Tech-Werten investiert bleiben, aber nicht nur auf diese Titel fokussieren. Vielmehr könnte man darauf achten, was es braucht, um diese KI in der Realwirtschaft möglich zu machen. Dafür braucht es zum Beispiel Kühlungs- und Lüftungssysteme sowie entsprechende Gebäude. Hier finden sich Chancen für Anleger.

Wie sehen Sie die Dominanz der amerikanischen Technologieaktien in Leitindizes wie dem MSCI World, Frau Hockenjos-Erni?

Hockenjos-Erni: Die Dominanz der «Magnificent Seven» in den Indizes ist aus Sicht des Risikomanagements gefährlich. Der MSCI World ist nicht mehr diversifiziert, der US-Leitindex S&P 500 auch nicht. Die starke Konzentration auf einzelne Titel oder auf eine einzelne Region spricht für stärkere Selektion, für aktives Management von Anlageportfolios. In diesem Jahr war es für aktive Manager enorm schwierig, den US-Markt zu schlagen. Als aktiver Investor ist man selten in den grössten Titeln übergewichtet. Das könnte sich im nächsten Jahr ändern und interessante Opportunitäten eröffnen.

Pedergnana: Von der Jahrtausendwende bis heute hat man in Franken gemessen mit dem Swiss-Market-Index praktisch gleich viel Rendite erzielt wie mit dem S&P 500. Die Rendite der US-Aktien ist in Dollar zwar hoch, aber der Dollar hat sich gegenüber dem Franken immer wieder abgewertet. Wenn man die Risiken von Schwankungen einbezieht, fährt man als Anleger mit dem SMI besser als mit dem S&P 500. Hinzu kommen die tiefen Bewertungen europäischer Unternehmen. In Zeiten sinkender Zinsen – und die dürften in Europa vor uns liegen – sind die kleinen und mittelgrossen Aktien oft die Outperformer. Und diese sind heute noch sehr günstig zu haben.

Schnabl: Ich gehe von unterschiedlichen Zinsszenarien für die USA und Europa aus. Lange Zeit waren die Zinsen sehr niedrig, das dürfte den passiven Anlagestrategien geholfen haben. Das billige Geld hat die Kurse aller Aktien nach oben gespült. Falls die Zinsen aber höher bleiben sollten, dürften aktive Strategien wieder wichtiger werden. Dann muss man sich genau überlegen, welche Unternehmen sich besser an die Bedingungen mit den verteuerten Krediten anpassen werden.

Die Lage der Wirtschaft in China ist ebenfalls schwierig, man denke an die Immobilienkrise. Unterschätzen die Finanzmärkte solche Risiken?

Hilb: Der Finanzmarkt war in vielen Bereichen für ausländische Investoren nicht zugänglich, deshalb war die Immobilienkrise in China am Markt ein eher isoliertes Ereignis. Die Krise macht China aber sehr zu schaffen. Für viele Chinesen ist die Immobilie der mit Abstand grösste Vermögenswert und dient auch als Altersvorsorge. Entsprechend belastet die starke Preiskorrektur den Konsum und den Mittelstand insgesamt. Die Krise hat auch gezeigt, dass sich die chinesische Wirtschaftspolitik verändern muss.

Hockenjos-Erni: Das grosse Problem ist, dass zwei Drittel der Vermögen der chinesischen Privatpersonen in Immobilien investiert sind. Daher kommt die Konsumschwäche. Deshalb haben auch die bisherigen Stimuli nicht wirklich gewirkt. Solange das so bleibt, schwächelt das Wirtschaftswachstum. Und das merken dann Unternehmen wie Richemont oder LVMH, weil ihnen ein wichtiger Konsument fehlt.

Gold hat jüngst starke Kursgewinne verzeichnet. Gehört das Edelmetall ins Portfolio von Anlegern?

Pedergnana: Der Anstieg des Goldpreises hängt vor allem damit zusammen, dass Zentralbanken von autokratisch geführten Staaten ihre Dollarreserven abgebaut haben, um die Goldreserven aufzustocken. Es kann durchaus sein, dass es beim Goldpreis noch etwas aufwärtsgehen wird. Zu beachten ist allerdings, dass es in Indien, einem der Länder mit einer sehr grossen Goldnachfrage, einen Wandel gibt. Dort etabliert sich zunehmend eine Kultur des Aktiensparens und nicht mehr der Goldhaltung. Das führt dazu, dass ich lieber indische Aktien im Portfolio halte als Gold.

Die gleiche Frage stellt sich auch bei Bitcoin: Nach der Wahl Trumps ist der Kurs auf über 100 000 Dollar gestiegen. Gehört Bitcoin ins Anlageportfolio, oder ist das alles nur Spekulation?

Schnabl: Sowohl der starke Anstieg des Goldpreises als auch derjenige der Preise für Kryptowährungen spiegeln einen Vertrauensverlust gegenüber den führenden Weltreservewährungen wider. Das ist in erster Linie der Dollar, aber auch der Euro. Die Investoren suchen zunehmend nach Alternativen. Sowohl Gold als auch Bitcoin haben eine Wertaufbewahrungsfunktion. Jeder, der sich auf Kosten von Euro und Dollar zugunsten von Gold und Bitcoin positioniert hat, hat immense Bewertungsgewinne erreicht – und das, obwohl weder Gold noch Bitcoin einen Zins abwerfen. Ob es so weitergeht, wird stark davon abhängen, was jetzt in den USA bezüglich der Reformen passiert.

Und wenn das auf Dauer nicht gelingt?

Schnabl: Dann stellt sich die Frage, ob Gold und Bitcoin auch eine Währung sein können. Bei einem instabilen Dollar und einem instabilen Euro wollen Investoren auch Transaktionen machen. Mit Gold ist das nicht so einfach, weil es nicht gut teilbar ist – möglicherweise kann man das aber mit Gold-Anlageprodukten lösen. Bitcoin hat durchaus die Fähigkeit, eine Währung zu sein, mit der man auch bezahlen kann. Wenn es den USA nicht gelingt, ihre Währung zu stabilisieren, dann dürfte gerade Bitcoin eine grosse Zukunft haben.

Andererseits steht ja nichts hinter dem Bitcoin . . .

Schnabl: Hinter dem Bitcoin steht ein glaubwürdiges Knappheitsversprechen, das sehr nützlich ist. Angenommen, bei den Papierwährungen gibt es hohe Inflationsraten. Dann kann man in Bitcoin Ersparnisse speichern, aufbewahren und gleichzeitig schnell Zahlungen tätigen. Ich schreibe beispielsweise Blog-Beiträge für eine Institution in den USA. Von dem kleinen Honorar ging bei einer Überweisung nach Deutschland durch das Bankensystem ein Grossteil verloren. Jetzt erhalte ich das Honorar in Bitcoin, und die Kosten für eine Überweisung sind nur 2 Cent. Das Zahlungssystem ist also schon da, jeder kann es schnell auf seinem Smartphone installieren.

Frau Hockenjos-Erni, wie gross ist die Bitcoin-Allokation in den Kundenportfolios der Basellandschaftlichen Kantonalbank?

Hockenjos-Erni: Wir haben derzeit keine Allokation. Kryptowährungen werden aber nicht mehr verschwinden. Die Vermögensverwaltungsbranche muss herausfinden, wie man den fundamentalen Wert einer Kryptowährung bestimmt und dies in einem Portfolio abbildet – das ist sehr komplex. Für mich sind Kryptowährungen Risikoanlagen mit hohem Schwankungsrisiko – und noch keine eigene Anlageklasse. Das kann sich aber ändern.

Caroline Hilb Paraskevopoulos

Caroline Hilb ist seit über 18 Jahren im Bankensektor tätig und seit Januar 2024 Bereichsleiterin Investment & Vorsorge Center bei Raiffeisen Schweiz. In dieser Funktion ist sie verantwortlich für die Vermögensverwaltung sowie die Vorsorge- und Vermögensberatung. Zuvor war sie als Leiterin Anlagestrategie & Analyse und stellvertretende Leiterin Investment Center bei der St. Galler Kantonalbank tätig.

Fabienne Hockenjos-Erni

Fabienne Hockenjos-Erni ist seit 2016 im Investment Center der Basellandschaftlichen Kantonalbank (BLKB) tätig und leitete ab 2017 das Investment Research der Bank. Als Chief Investment Officer und Leiterin des Sustainable Asset Management verantwortet sie seit August 2020 die nachhaltige Vermögensverwaltung.

Maurice Pedergnana

Maurice Pedergnana ist Chefökonom der Zugerberg Finanz und Professor an der Hochschule Luzern im Bereich Wirtschaft. Er studierte und promovierte in Wirtschaftswissenschaften an der Universität St. Gallen und war danach in diversen Funktionen tätig als Unternehmensberater und Ökonom.

Gunther Schnabl

Gunther Schnabl ist Direktor des Flossbach von Storch Research Institute und Professor für Wirtschaftspolitik und internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Leipzig. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geld- und Währungspolitik sowie Japans Volkswirtschaft. Sein jüngstes Buch «Deutschlands fette Jahre sind vorbei» befasst sich mit den wirtschaftspolitischen Fehlern in Deutschland und erarbeitet daraus eine Reformstrategie.

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