Freitag, September 27

Auch in Dänemark wird über eine Rentenreform gestritten – doch anders als in der Schweiz.

Die Schweizer Altersvorsorge steckt in einer Sackgasse, vielen anderen europäischen Ländern geht es gleich. Die Menschen werden immer älter, die Geburtenrate sinkt. Es droht eine Finanzierungslücke. In der Schweiz bedürfen die AHV und die Pensionskassen der Reformen, doch das Volk ist sich nicht einig. Am Sonntag haben die Schweizerinnen und Schweizer eine Vorlage zur beruflichen Vorsorge versenkt, die eine Senkung des Umwandlungssatzes vorgesehen hätte. Tiefere Renten? Nein, danke! Ein Fiasko für die Bürgerlichen, ein Grund zur Freude für die Linke.

Doch wie lange wird diese Freude anhalten? Klar ist, dass die Altersvorsorge baldmöglichst neu konzipiert werden muss. Ein Land, das die Schweiz sich zum Vorbild nehmen könnte, ist Dänemark. Das dänische System wird von Expertinnen und Experten als eines der besten Europas gelobt. Gute Leistungen, nachhaltig und vertrauenswürdig – zu diesem Schluss kommt etwa die jährlich durchgeführte Studie des Unternehmensberaters Mercer.

Doch ist im Norden wirklich alles besser? Drei Einblicke in die Debatte, die derzeit in Dänemark geführt wird.

Das Rentenalter

Dänemark hat das gleiche Problem wie fast alle westlichen Länder: Die Bevölkerung wird immer älter. Die durchschnittliche Lebenserwartung von 65-jährigen Frauen beträgt 20,9 Jahre (Schweiz: 22,5 Jahre), von Männern 18,2 Jahre (Schweiz: 19,8 Jahre) – eine lange Zeit, um von der Altersvorsorge zu leben.

Doch anders als die Schweiz hat Dänemark einen Plan: Solange die Lebenserwartung der Bevölkerung steigt, wird das Pensionsalter alle fünf Jahre um ein Jahr erhöht. Jede beschlossene Erhöhung tritt erst nach 15 Jahren ein. Derzeit liegt das Rentenalter bei 67 Jahren, 2030 wird es auf 68 und 2035 auf 69 Jahre erhöht. Ob das Konzept danach fortgeführt wird, steht derzeit zur Debatte. Entscheiden wird das Parlament. Stimmt es nächstes Jahr einer erneuten Erhöhung zu, bedeutet es, dass die Däninnen und Dänen ab 2040 mit 70 in die Rente gehen.

Die Sozialdemokraten um Ministerpräsidentin Mette Frederiksen haben angekündigt, 2025 nochmals für eine Erhöhung zu stimmen – jedoch zum letzten Mal. «Das Rentenalter der Dänen wird in einer Weise angehoben, die weder fair noch realistisch ist», sagte Frederiksen in einem Interview mit der dänischen Zeitung «Berlingske» im August.

Das dänische Modell existiert seit 2006. Doch bereits vor vier Jahren ruderte die Regierung – damals waren die Sozialdemokraten allein an der Macht – zurück und führte die sogenannte Arne-Pension ein. Diese sieht vor, dass sich Personen, die im Alter von 61 Jahren mehr als 42 Jahre gearbeitet haben, frühpensionieren lassen können. Der Name geht zurück auf den Bierbrauer Arne Juhl. Er hatte 2020 mit 60 Jahren Zweifel daran bekundet, bis 67 – das damalige Pensionsalter in Dänemark – arbeiten zu können.

Es macht gewiss einen Unterschied, ob man mit 70 vor dem Computer sitzt oder auf dem Bau (oder in der Brauerei) krampft. Die Frage, die Dänemark derzeit beschäftigt, ist aber, wo die Erhöhung des allgemeinen Rentenalters enden soll. Frederiksen sagt zu «Berlingske»: «In unseren Augen kann man nicht immer wieder sagen, dass die Menschen ein Jahr länger arbeiten müssen.»

Die Regierungschefin will die Erhöhungen nicht komplett stoppen, sondern «irgendwie nachsichtiger und gerechter» gestalten. Wie das geschehen soll, weiss Frederiksen allerdings selbst noch nicht. Doch die Zeit drängt: In zwei Jahren wählt Dänemark ein neues Parlament, und Frederiksen möchte die Revision davor durchbringen.

Die Wirtschaft

Seit dem Interview im August wird in Dänemark heftig über die Renten diskutiert. Man könnte meinen, dass Frederiksens Ankündigung mehrheitlich für erfreute Reaktionen sorgen würde. Wer will schon länger als bis 70 arbeiten? Neben den Sozialdemokraten haben jedoch nur die Sozialistische Volkspartei, die rot-grüne Einheitsliste und die rechtspopulistische Dänische Volkspartei signalisiert, dass sie die Idee befürworten könnten.

Von den Bürgerlichen hingegen hagelte es Kritik. Die Rentenvereinbarung gilt als ökonomisches Fundament des dänischen Wohlfahrtsstaates. Damit stellt die Politik sicher, dass der Wirtschaft genügend Arbeitskräfte zur Verfügung stehen – ein Problem, mit dem Dänemark stark zu kämpfen hat. Die Ministerpräsidentin sei dabei, die wichtigste Vereinbarung der dänischen Wirtschaft zu untergraben, hiess es aus dem rechten Lager.

Ein weiterer Grund für die kritischen Stimmen sind die Kosten: Das Finanzministerium hat berechnet, wie stark es die Staatskasse belasten würde, das Pensionsalter bei 70 einzufrieren. Das Resultat: 85 Milliarden dänische Kronen (11 Milliarden Franken) pro Jahr. Mit diesem Geld liesse sich natürlich auch anderes anstellen – etwa Lehrer einstellen. Oder man könnte es einsparen und die Steuern senken.

Die bürgerliche Denkfabrik Cepos warnt davor, dass der dänischen Wirtschaft italienische Verhältnisse drohten, sollte der Vorschlag durchkommen. Jörgen Sloth arbeitet als Ökonom bei Cepos. Im Gespräch mit der NZZ sagt er: «Die öffentlichen Defizite und die Staatsverschuldung würden dramatisch ansteigen.» Dies habe Steuererhöhungen zur Folge, was sich wiederum negativ auf das Wachstum auswirken würde.

Das dänische Rentensystem funktioniere dank den hohen Arbeitsmarktrenten so gut. Diese ergänzt die staatliche Rente und wird zu zwei Dritteln vom Arbeitgeber und zu einem Drittel vom Arbeitnehmer finanziert. «Wenn gesunde Menschen es vorziehen, vorzeitig in Rente zu gehen, wären diese Arbeitsmarktrenten eine hervorragende Quelle für die Finanzierung ihres eigenen Vorruhestands, anstatt sich diese von anderen Steuerzahlern finanzieren zu lassen», sagt Sloth.

Die Arbeitsbedingungen

Was an der dänischen Debatte erstaunt: Wenn es um die Reform der Altersvorsorge geht, wird das Rentenalter vielleicht gar nicht der ausschlaggebende Punkt sein. Selbst für einen Teil der linken Parteien ist etwas anderes wichtiger: die Arbeitsbedingungen. Ein Sprecher der Sozialistischen Volkspartei sagt gegenüber «Berlingske»: «Wenn wir Bedingungen schaffen können, unter denen Menschen tatsächlich länger arbeiten können, dann sind wir offen für Erhöhungen.»

Die Däninnen und Dänen zeichnen von sich gerne das Bild eines arbeitsamen Volkes. Zu diesem Image passt, dass die Arne-Pension bisher ein Flop war. Der Brauereiarbeiter Arne Juhl konnte sich zwar frühzeitig zur Ruhe setzen, doch wenige taten es ihm gleich: Die Zahl der Frühpensionäre blieb weit unter den Erwartungen zurück. Mit dem gesparten Geld wollen die Parteien, die sich für Arne starkgemacht haben, das System verbessern. Ein Vorschlag: die Arne-Renten erhöhen.

Doch was, wenn die Menschen einfach länger arbeiten wollen? Die sozialdemokratische Arbeitsministerin Ane Halsboe-Jörgensen sagte zur Sendeanstalt DR: «Für mich ist es nicht das Ziel, dass möglichst viele Menschen vorzeitig in Rente gehen, sondern dass jene, die das längste Arbeitsleben und die härtesten Jobs hatten, ein Recht darauf haben.»

Der Ökonom Jörgen Sloth ist überzeugt, dass das heutige System funktioniert. «Der derzeitige Mechanismus sorgt für solide öffentliche Finanzen, und bisher haben die Erhöhungen des Renteneintrittsalters wie beabsichtigt funktioniert. Die meisten Menschen arbeiten einfach weiter.» Wenn jüngere Generationen das System ändern wollten, stehe ihnen das natürlich frei.

Sloth hat auch einen Vorschlag, wie: «Der Fokus muss stärker auf das Sparen gelegt werden.» Dies werde möglich, wenn die staatlichen Renten und damit die Steuern gesenkt würden. «Dann können die Menschen in den Ruhestand gehen, wann sie möchten, und sind nicht auf die Politik angewiesen.» Sofern sie denn genügend Geld auf der Seite haben.

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