Touristen werden immer anspruchsvoller. Once-in-a-Lifetime-Erlebnisse müssen es sein, am besten kombiniert mit Action, Abenteuer und Bildung. Nicht alle Reiseveranstalter können da mithalten.
Eine Frau steht auf einem Eisenbahnwaggon. Links und rechts ist nichts, nur gelber Sand und der Horizont. Der Zug transportiert Eisenerz durch die Sahara. Die Szene hat etwas Surreales. Wer das Bild betrachtet, fragt sich, was die Frau auf dem Güterzug verloren hat. Und genau das ist der Sinn dieser Übung. Sie möchte etwas Aussergewöhnliches erleben; etwas, was fast niemand erlebt.
Dazu hat sie in Mauretanien – einem westafrikanischen Land, das so gefährlich ist, dass sich praktisch kein Tourist dorthin verirrt – stundenlang auf den Eisenerzzug gewartet, der täglich von einer Mine quer durch die Wüste in eine Hafenstadt fährt. Sie sprang auf und harrte 18 Stunden lang auf dem Zug aus.
In ihrem Instagram-Post schreibt die Abenteurerin: «Endlich habe ich diese verrückte Reise gemacht! Es ist definitiv eine der extremsten Reiseerfahrungen, die ich je gemacht habe.»
Ganz so extrem muss es für die meisten Reisenden nicht sein. Aber der Trend zu Abenteuer und «Once-in-a-Lifetime-Erlebnissen» zeigt sich nicht nur bei Extremtouristen, sondern ist längst in der breiten Masse angekommen – wenn auch in einer abgeschwächten Form.
Overtourism und «Last Chance»
«Das Bedürfnis der Menschen, auf Reisen in Kultur, Sprache, Natur und Kulinarik einzutauchen, ist gewachsen. Reisende wollen zudem möglichst viel erleben», sagt Gian-Reto Trepp, Dozent für Tourismus an der Fachhochschule Graubünden. In Zeiten von Overtourism suchten die Menschen wieder Orte, die noch nicht so bekannt seien. Auch das «Last-Chance-Phänomen» sei verbreitet. Damit sind Reisen an Destinationen gemeint, die vom Klimawandel bedroht sind.
Zum einen sind das Wüsten, wie zum Beispiel die Atacama-Wüste in Chile. In solchen Gegenden könnte es irgendwann so heiss sein, dass man sie nicht mehr bereisen kann.
Zum anderen sehnen sich die Menschen nach Schnee und Eis. Reisen in die Arktis und Antarktis sind immer beliebter. Das Polareis noch sehen, bevor es geschmolzen ist; das wünschen sich viele Reisende. Um vollständig «in die Natur einzutauchen», bieten manche Tourenveranstalter sogar ein Bad im Eismeer im Trockentauchanzug an.
Reisen an den Nordpol sind teuer, an den Südpol noch teurer. Die Preisspanne variiert von 7000 bis mehr als 20 000 Franken für drei Wochen – je nach Anbieter und Komfort. Für solche Exkursionen chartern Reiseveranstalter Schiffe, die Platz für 100 bis 200 Personen bieten.
Individualreise-Anbieter im Vorteil
Firmen wie Globetrotter profitieren von diesen neuen Tourismus-Trends. Individualreise-Anbieter organisieren massgeschneiderte Reisen für einen Kunden oder kleine Gruppen und buchen die Leistungen einzeln bei Hotels, Airlines und Reiseleitern.
Der grosse Vorteil, den Individualreise-Unternehmen im Wettbewerb um Kunden haben, ist die breite Palette an Fachleuten.
André Lüthi ist Verwaltungsratspräsident der Globetrotter-Gruppe und sagt: «Wir haben für fast alles einen Spezialisten. Die Palette reicht von der Fachfrau für Ayurveda-Reisen über den Meeresbiologen auf dem Expeditionsschiff in der Antarktis bis zum Journalisten, der den Kunden die japanische Politik erklärt.»
Individualreise-Anbieter sind also oft im Premium-Segment tätig. Die Margen sind in der Regel höher als bei Reisebüros, die im Massengeschäft tätig sind. Wenn eine Individualreise aber «nur» zwischen 2000 und 5000 Franken kostet oder die Kunden lediglich einzelne Bausteine für ihre Reise buchen, sind die Margen ähnlich niedrig wie im Massengeschäft.
Individualisierungstrend auch bei Badeferien
Für traditionelle Reiseveranstalter wie Hotelplan und TUI sind die neuen Kundenbedürfnisse hingegen eine Herausforderung, weil sie auf Pauschalreisen spezialisiert sind. Sie verkaufen Hotel, Flug, Mietwagen und Transfer als standardisierte Pakete. Die Kunden buchen diese zumeist online. Für den ultimativen Wüsten-Trip sind diese Anbieter die falsche Adresse.
Dazu kommt: Im Pauschalreise-Geschäft sind die Preise stark unter Druck. Das hat in der Schweiz dazu geführt, dass die deutsche Dertour-Gruppe im Jahr 2015 zunächst Kuoni gekauft hat und nun auch die Migros-Tochter Hotelplan übernimmt, wie im Februar bekannt wurde.
Je grösser das Unternehmen ist, desto mehr Kontingente kann es bei den Airlines und Hotels einkaufen und desto günstiger kann es diese anbieten. Das unternehmerische Risiko ist bei Pauschalreisen hoch: Wenn nicht alle eingekauften Flugzeugsitze und Hotelzimmer weiterverkauft werden, bleiben die Veranstalter auf den Kosten sitzen. Zudem sind die Margen tief.
Um sich breiter abzustützen, haben verschiedene traditionelle Reiseveranstalter Tochterfirmen für Individualreisen gegründet oder aufgekauft. Aber auch ohne einen solchen Schritt birgt der Individualisierungstrend für das Pauschalreise-Geschäft Chancen.
Denn die Kunden stellen auch ihre Badeferien vermehrt individuell zusammen. Zwei Wochen im All-Inclusive-Hotel am Strand reichen vielen nicht mehr, sondern sie wollen zum Beispiel mehrere Inseln besuchen und noch einen Bootsausflug machen. Der Reiseanbieter TUI schreibt auf Anfrage, dass die Nachfrage nach Ausflügen und Aktivitäten steige. Um dem Kundenbedürfnis gerecht zu werden, betreiben die meisten grossen Reiseunternehmen Online-Shops, auf denen ihre Kunden solche Ausflüge buchen können.
Pauschalreisen nach Nordeuropa
Wenn es um klimatische Extreme geht, muss es nicht für alle gleich eine Reise an den Nord- oder den Südpol sein – allein schon aus Kostengründen. Vielen Touristen reicht auch eine Winterreise nach Nordeuropa, und die kann gut als Pauschalreise angeboten werden.
Der Reiseveranstalter Kontiki ist auf Nordeuropa spezialisiert und bestätigt den Trend: Die Beliebtheit der nordischen Destinationen bei Schweizer Reisenden sei in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, sowohl im Winter als auch im Sommer. Finnisch-Lappland und Island gehören zu den bevorzugten Destinationen der Schweizer.
Weil die Winter in Mitteleuropa immer milder werden, suchen die Schweizer im hohen Norden grosse Schneemengen und Minustemperaturen im zweistelligen Bereich. Im Sommer ist die Abkühlung im Norden gefragt, weil es in Mitteleuropa immer heisser wird. Auch für dieses Phänomen gibt es einen Namen: Coolcation.