Das Kieler Ermittler-Duo taucht in die Szene der Sexsüchtigen ein. Kommissar Borowski sieht es natürlich völlig gelassen.
«Sag mir, wie weit, wie weit, wie weit, wie weit willst du gehen?» – der Refrain von Mias Song «Mein hungriges Herz» hallt durch die Wohnung. Zwei Frauen, eine im halbdurchsichtigen Morgenmantel, die Lippen rot, die Augen schwarz umrandet, drehen sich im Kreis. Kurze Zeit später liegt eine der Frauen blutüberströmt in ihrem Bett, Spermaspuren von sechs Männern in sich, an sich, um sich herum. Ein Schuss ins Genick tötete sie.
Weitere Spuren von Gewalteinwirkungen finden die herbeigeholten Kieler Kommissare jedoch nicht. Nicht einmal der Nachbar, der sonst jeden Besucher der vermeintlichen Prostituierten nebenan ordentlich in sein Heftchen einträgt, kann hier weiterhelfen. Für diesen Abend hat er nichts in seinen Aufzeichnungen stehen.
Outdoor-Swingerklub auf dem Parkplatz
Was nur ist mit Andrea (Anna König), der spröden Steuerfachfrau, die als «White Flower» Gangbang-Partys veranstaltete, geschehen? Und was wird aus Nele (Laura Balzer), der jungen und mit sich sowie mit der Welt überforderten Freundin der Getöteten, die sich volllaufen lässt, um den Sex mit drei Halbstarken von der Bushaltestelle zu überstehen? Nur langsam findet sie Vertrauen zum Kommissar und nutzt dessen Vertrauen mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, gnadenlos aus. Es entsteht hier etwas, das weder für Nele noch für den Kommissar etwas Gutes bedeutet.
Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) gibt sich allerdings gelassen und scheint wie eh und je mit sich im Reinen. Im neuen Fall taucht er in die Szene der Liebes- und Sexsüchtigen ein und steht auch hier vermeintlich über den Dingen. So ganz geheuer sind ihm die Ermittlungen dennoch nicht. Zu dem Outdoor-Swingerklub irgendwo auf einem schäbigen Parkplatz schickt er lieber seine Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik), immerhin weiss diese auch, was ein Penisring ist. Ihren Lover aus vergangenen Zeiten nimmt die Ermittlerin gleich mit. Ein zumindest für den Lover irritierendes Date. Doch auch Mila ist einfach nur eine, die nach Lust und Liebe sucht. Das tut jede und jeder in «Borowski und das hungrige Herz». Alle auf ihre eigene Weise.
Verführerisches Brathähnchen
Da ist Andrea – das Opfer –, die ihre Einsamkeit mit der Bestätigung vieler Männer zu überwinden versucht hatte. Da ist ihr Freund, der Zahnarzt, der alles versucht hat, um sie aus der Abhängigkeit zu befreien. Da ist Nele, die sich einen Tacker in den Oberarm rammt oder sich mit einer geladenen Waffe selbst befriedigt. Hauptsache, sie spürt sich irgendwie. Da ist auch die alternde Nachbarsfrau Barbara (Lina Wendel), auch sie will sich spüren. Nicht bei einem Callboy, sondern mit ihrem Mann, für den sie sich in ein schickes Kleid wirft und das Brathähnchen auf den Esstisch stellt. Der Gatte aber goutiert das alles nicht. Dafür schlemmt Borowski ganz lustvoll: Gulasch direkt aus dem Bräter bei seinem Kollegen Roland Schladitz (Thomas Kügel).
In dieser Folge bekommen die einen nicht genug von Sex, die anderen haben gar keinen. Um Voyeurismus aber geht es nicht. Das mehrheitlich weibliche Team um die isländische Regisseurin Maria Solrun zeigt hier ein behutsam gezeichnetes Drama um die Suche nach sich selbst, die oft im Schmerz endet. Solrun tut das mit pochenden Klängen – ob mit Pop-Musik oder durch eine Orgel. Sie tut das auch mit dem sehr durchdachten Einsatz von Farben: Rot für die Lust, Blau für den Tod dieser Lust, Grün für all das Giftige im Leben. Am Ende stehen Borowski und Sahin da und denken darüber nach, ob das nun Mord, Selbstmord oder ein Unfall war bei Andrea in der Mietskaserne. «Wie geht’s der Schulter?», fragt Sahin. «Was macht die Nase?», meint Borowski. Es ist sein drittletzter Fall.
«Tatort» aus Kiel: «Borowski und das hungrige Herz», am 12. Januar, 20.05/20.15 Uhr, SRF/ARD.