Vieles deutet darauf hin, dass der libysche Kriegsherr Haftar Kämpfer in Südafrika ausbilden liess. Die Affäre wird zum internationalen Skandal. Ein Besuch in einer aufgeschreckten Kleinstadt am Rande des Krüger-Nationalparks.
Die wütenden Rufe sind bis auf die Strasse vor dem Magistratsgericht der südafrikanischen Kleinstadt White River zu hören. «Libyen! Libyen!», skandieren einige der 95 libyschen Männer, die dort inhaftiert sind. Ihre Wut richtet sich gegen die Anordnung des Richters, ihre Untersuchungshaft bis zum 26. August zu verlängern. Sie werden des Söldnertums verdächtigt. Eine Abschiebung hat das Gericht untersagt. Zuerst seien weitere Ermittlungen nötig.
Die Anwesenheit der Männer in Nachbarschaft des Krüger-Nationalparks ist zum internationalen Politikum geworden. Monatelang sollen sich die Männer in einem privaten Militärausbildungslager auf einer Farm aufgehalten haben. Sie sollen in Kriegstaktiken ausgebildet worden sein und den Grabenkampf geübt haben – wie ihn Soldaten zu Hause in Libyen im Jahr 2019 beim Angriff von General Khalifa Haftar auf Tripolis praktiziert hatten. Ende Juli wurde im Militärlager eine Razzia durchgeführt. Mehr als 6000 Kilometer von ihrer Heimat entfernt wurden die Libyer verhaftet.
Nun wird gerätselt, wie es dazu kam, dass die Männer in der Nähe des bekannten südafrikanischen Nationalparks landeten. Hat sie der libysche General Haftar etwa nach Südafrika geschickt? Er beherrscht den Osten des nordafrikanischen Landes.
Anzeichen deuten auf zunehmende Anspannung hin
Beobachter des Libyen-Konflikts sahen jüngst Anhaltspunkte für zunehmende Spannungen zwischen Haftar und der international anerkannten Regierung, die den Westen Libyens kontrolliert. Mehrere Milizen rüsten angeblich auf. Die Preise für Waffen auf den Schwarzmärkten seien gestiegen, heisst es. Es seien ähnliche Anzeichen zu beobachten wie in den Monaten vor dem Sturm auf die libysche Hauptstadt Tripolis.
Vor diesem Hintergrund seien die festgehaltenen Libyer interessant, sagt Julian Rademeyer von der Denkfabrik Global Initiative Against Transnational Organized Crime in einem Telefongespräch. «Beide Konfliktparteien erhöhen ihre Kapazitäten.» Denn politisch seien beide Seiten in einer Sackgasse angekommen. Rademeyers Quellen in Libyen berichten von der Mobilisierung von Kämpfern und intensivierten Ausbildungsmassnahmen auf Haftars Gebiet. Als Ausbildner in Südafrika seien angeblich Ex-Soldaten aus Irland verpflichtet worden. «In Libyen ist es normal, auf Kämpfe vorbereitet zu sein», sagt Rademeyer, aber was nun beobachtet werde, weiche deutlich von dem seit ein paar Jahren vorherrschenden «Normalzustand» ab.
Vor dem Gericht in White River will der Anwalt Ashwin Kassen nichts davon hören, dass die inhaftierten Libyer für baldige Kämpfe in der Heimat ausgebildet worden seien. Er gibt lediglich zu Protokoll, er sei vom Arbeitgeber der Inhaftierten mit der Verteidigung vor Gericht beauftragt worden. Um wen es sich dabei handelt, will der Jurist nicht preisgeben. «Meine Mandanten sind unschuldig, sie sollten als normale Sicherheitsleute ausgebildet werden», sagt Kassen. Für die Vorwürfe gebe es keinerlei Belege.
Tiefe Sorge über den Vorfall
Doch daran zweifeln sowohl Südafrika als auch Libyen. Das libysche Aussenministerium distanziert sich von den Verhafteten, man sei «tief besorgt angesichts des Vorfalls». In Südafrika hat die Angelegenheit ebenfalls hohe Priorität, denn der Ruf des Landes leidet schon länger. Die Financial Action Task Force, ein internationales Gremium zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, setzte Südafrika auf seine «graue Liste». Illegale Geldströme würden nicht ausreichend bekämpft.
Vor einem Jahr setzte das amerikanische Handelsministerium die südafrikanische Flugschule TFASA auf seine Exportkontrollliste. Das bedeutet, dass jedes amerikanische Unternehmen, das die Flugschule beliefern möchte, die Genehmigung der Regierung erhalten muss. Die Firma wird von Washington verdächtigt, chinesische Militärpiloten auszubilden. Auch die engen Beziehungen zwischen Südafrika und Russland werden mit Argwohn verfolgt.
Selbst innerhalb Afrikas wird die südafrikanisch-libysche Affäre kontrovers diskutiert. Der frühere libysche Diktator Muammar al-Ghadhafi zählte lange zu den Finanzierern der Regierungspartei African National Congress. Dann aber stimmte Südafrika als nichtständiges Mitglied des Uno-Sicherheitsrates im Jahr 2011 überraschend für die Resolution, die die westliche Militärintervention und den Sturz Ghadhafis möglich machte.
Von Libyen über Tunesien nach Südafrika
Südafrika warf der Nato später vor, die Resolution missbraucht zu haben. Denn die diplomatischen Folgen für Pretoria waren enorm. Südafrikas Forderung nach einem ständigen Sitz im Uno-Sicherheitsrat hatte zuvor den Rückhalt vieler afrikanischer Länder genossen. Nach dem westlichen Militäreinsatz schwand die Unterstützung. Bis heute gibt es zudem Gerüchte um den Verbleib hoher Vermögenswerte von Ghadhafi in Südafrika. Die jüngsten Schlagzeilen tragen nicht dazu bei, dass sich die afrikanischen Staaten wieder Südafrika zuwenden.
Die Männer sind offenbar im April aus der ostlibyschen Stadt Benghasi aufgebrochen, also aus General Haftars Gebiet. Sie reisten zunächst nach Tunesien, wo sie in der südafrikanischen Botschaft Visa besorgten. Mit falschen Angaben, sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Monica Nyuswa, seien sie dann weiter nach Südafrika gereist: «Sie behaupteten, zum Studium zu kommen – stattdessen erhielten sie eine Kampfausbildung.»
Der Vorwurf der Falschangabe beim Visumsantrag ist bis jetzt der einzige Anklagepunkt gegen die 95 Männer. Es werde geprüft, ob weitere hinzukämen, sagt Nyuswa. Auch im Fall der Betreiber des Militärlagers wird mit Anklagepunkten gerechnet. Am Mittwoch teilte die südafrikanische Regulierungsbehörde für Sicherheitsunternehmen mit, die Ausbildung sei illegal gewesen. «Sie umfasste umfangreiche körperliche Aktivitäten mit militärischen Strukturen und Hilfsmitteln.» Die Ausbildner seien zudem nicht akkreditiert gewesen.
Mit weiteren Anklagen wird gerechnet
Vielleicht kommen noch weitere Straftatbestände für die libyschen Männer dazu. Das glauben zumindest einige Einheimische vor dem Gaba Bottle Store im Dorf Mshadza – einer Kneipe in der Nähe des Lagers. Sie erzählen, wie die Libyer hier oft herkamen und tranken. Die Ausländer hätten damit geprahlt, dass sie insgesamt 300 seien. Aus Regierungskreisen ist zu hören, dass es weitere Visumsanträge gegeben habe, aber nie alle Antragsteller angekommen seien.
«Die Menschen hier haben Angst vor den ausländischen Kämpfern», sagt Artwell Dube, einer der Dorfvorsteher. «Mir haben die Leute erzählt, dass die Libyer Handys gestohlen hätten. Aber niemand traute sich, zur Polizei zu gehen.»
Die Polizei behauptet, dass keine Anzeigen erstattet worden seien. Einige der Kneipen-Besucher sehen dies allerdings als Versuch, die Beteiligung mächtiger Hintermänner, die mit den lokalen Sicherheitskräften zusammenarbeiteten, zu vertuschen. Ein Mann berichtet, dass er Streit mit fünf Libyern gehabt habe. Sie hätten seine Autoscheibe eingetreten, er habe sich mit einem Stock gewehrt. Einer der Männer habe sich das Bein gebrochen, er sei am Unterarm verletzt worden. «Ich bin zur Polizei gegangen», sagt er, «aber dort haben sie sich geweigert, meine Anzeige aufzunehmen.»

