Premierminister Rishi Sunak und Labour-Chef Starmer greifen sich bei der ersten TV-Debatte vor den Wahlen vom 4. Juli scharf an.
Anders als die USA blickt Grossbritannien nicht auf eine jahrzehntelange Tradition von TV-Duellen vor nationalen Wahlen zurück. Die erste Wahldebatte in einem Fernsehstudio fand vor den Unterhauswahlen im Jahr 2010 statt, als der konservative Parteichef David Cameron den Labour-Premierminister Gordon Brown von der Macht verdrängte.
Seither haben die Konservativen vierzehn Jahre lang mit fünf unterschiedlichen Premierministern das Land regiert. Und seither gab es vor jeder Wahl TV-Debatten in wechselnden Formaten. Einzig Theresa May verweigerte sich 2017 der Auseinandersetzung mit dem damaligen Labour-Chef Jeremy Corbyn – was ihr aber aus Schwäche ausgelegt wurde und was sie nach dem herben Verlust von Wähleranteilen und Sitzen bitter bereute.
Starmer prangert Tories an
Am Dienstagabend nun fand die Tradition im ersten TV-Duell zwischen Premierminister Rishi Sunak und Labour-Chef Keir Starmer in Manchester ihre Fortsetzung. Sunaks Konservative Partei liegt in den Meinungsumfragen auch zwei Wochen nach Beginn des Wahlkampfs noch rund 20 Prozentpunkte hinter Labour zurück. Sunak hat Starmer zu wöchentlichen Debatten bis zum Wahltag am 4. Juli herausgefordert. Der Labour-Chef aber willigte bloss in zwei Duelle ein – was zeigt, dass Starmer angesichts seines Umfragevorsprungs mehr zu verlieren hat.
Für einen Mann, der in einem Monat neuer britischer Premierminister werden könnte, wirkte Starmer aber nicht besonders souverän. Sein Auftritt am vom Sender ITV organisierten Duell war vor allem zu Beginn etwas verkrampft. Er wirkte zwar kompetent und professionell, reagierte aber genervt auf die Angriffe Sunaks und brauchte oft lange, um bei seinen Ausführungen zum Punkt zu kommen.
Inhaltlich begnügte er sich damit, die Bilanz der konservativen Regierungen der letzten vierzehn Jahre anzuprangern. Besonders lustvoll erinnerte er Sunak an seine konservative Parteikollegin Liz Truss. Diese habe in ihren verhängnisvollen 45 Tagen als Premierministerin die Wirtschaft an die Wand gefahren – weshalb die Lage in Grossbritannien schlechter sei als in vergleichbaren Ländern, die ebenfalls unter den Folgen der Pandemie und des Kriegs in der Ukraine litten.
Starmer hielt Sunak auch vor, seine Versprechungen zur Reduktion der Wartelisten im Gesundheitswesen oder der Migrationszahlen gebrochen zu haben. Weit weniger konkret wurde der Labour-Chef aber, wenn es um die Präsentation seiner eigenen Pläne ging.
Die Streiks im Gesundheitswesen müsse man am Verhandlungstisch lösen, sagte er bloss. Ein neues Grenz-Kommando werde mit neuer Entschlossenheit gegen die Schlepperbanden im Ärmelkanal vorgehen. Zudem solle eine neue Steuer für Privatschulen die Anstellung zusätzlicher Lehrkräfte im öffentlichen Bildungswesen ermöglichen.
The choice at this election is clear.
More chaos with the Conservatives or the chance to rebuild Britain with a changed Labour Party.#ITVDebate pic.twitter.com/LGt1boh5uy
— Keir Starmer (@Keir_Starmer) June 4, 2024
Eine überraschende Idee oder gar eine Vision, die im Publikum hängen geblieben wäre, präsentierte Starmer nicht. Er setzte vielmehr auf die Wirkung seines Rufs nach Wandel und nach einem Ende des Chaos während den letzten vierzehn Jahre unter der Tories. «Die Konservativen wiederzuwählen, wäre wie den Brandstiftern noch einmal Zündhölzer auszuhändigen», erklärte er.
Angriffiger Sunak
Premierminister Sunak wirkte in der Debatte nicht nur angriffiger, sondern auch spritziger als Starmer – und er platzierte seine politischen Botschaften mit grosser Disziplin. Fast gebetsmühlenartig erklärte er, eine Labour-Regierung würde jeden britischen Haushalt mit zusätzlichen Steuern von 2000 Pfund (2270 Franken) pro Jahr belasten.
Starmer bezeichnete diese vom Finanzministerium erstellten Berechnungen als Unsinn. Das hinderte Sunak nicht daran, sie den ganzen Abend zu wiederholen, was zwar etwas aggressiv, aber wirkungsvoll anmutete. Ohnehin prophezeite er den Britinnen und Briten, Starmer plane wie jeder Labour-Premierminister zuvor einen Angriff auf ihr Portemonnaie: Über teure Umweltvorschriften für die Heizungen, Abgaben auf Autos oder neue Steuern auf die staatlichen Renten.
Im Gegensatz zu Starmer hält Sunak an seinem Plan fest, Migranten nach Rwanda auszuschaffen. Er erklärte deutlicher als je zuvor, dass er bereit wäre, den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg zu verlassen, sollten die Strassburger Richter die Ausschaffungen torpedieren. Dies ist wohl auch eine Reaktion auf die Kandidatur des Rechtsnationalisten Nigel Farage, der den Tories mit seiner Partei Reform UK von rechts das Wasser abgraben will.
Here’s what you might have missed. pic.twitter.com/ZGl8ZEiYX7
— Rishi Sunak (@RishiSunak) June 4, 2024
Jede Stimme für eine andere Partei sei eine Stimme für Starmer, sagte er an die Adresse der Farage-Sympathisanten. Den Labour-Chef bezeichnete er als Mann ohne Plan, der bloss die Vergangenheit kritisiere, aber von der Bevölkerung einen Blankocheck für die Zukunft verlange. «Keir Starmer wäre ein unsicherer Premierminister in unsicheren Zeiten.»
Knapper Sieg für Sunak
Gemäss einer Blitzumfrage des Instituts Yougov sahen 51 Prozent der Zuschauer Sunak als Sieger, während 49 Prozent Starmer als Gewinner des Duells nannten. Für Sunak ist das ein ermutigendes Signal, zumal er Starmer beim Thema Steuern unter Druck setzen konnte. Doch dürfte dies angesichts des grossen Umfragevorsprungs von Labour nicht reichen, um dem Wahlkampf eine grundlegend neue Dynamik zu geben.
SNAP POLL/ Who performed best overall in tonight’s debate?
Rishi Sunak: 51%
Keir Starmer: 49%https://t.co/055i80mtbx pic.twitter.com/6YIfRATsCt— YouGov (@YouGov) June 4, 2024
Zum Abschluss der Debatte stellte die Moderatorin augenzwinkernd die Frage, ob England bei der Fussballmeisterschaft eher auf Risiko oder auf Sicherheit spielen sollte. Der Fussballfan Starmer antwortete, entscheidend sei eine klare Strategie für den Sieg. Nimmt man seinen Auftritt bei der TV-Debatte zum Nennwert, wird er den Ball weiterhin flach halten und versuchen, seinen Vorsprung bis zum Wahltag am 4. Juli über die Zeit zu bringen.

