Freitag, Oktober 4

Vor der Chilbi in Winterthur-Seen eskaliert eine Auseinandersetzung.

Als zwei 20-jährige Männer im Herbst 2022 in Winterthur mit einem 32-Jährigen in einen Streit geraten, artet der Konflikt in brutale Gewalt aus: Ein Polymechaniker sprüht seinem Opfer Pfefferspray ins Gesicht. Daraufhin wirft einer seiner Freunde, ein Büroangestellter, ein sieben Kilogramm schweres Brett nach dem Mann und geht auf ihn los. Er versetzt ihm einen Fausthieb und einen Tritt.

Schliesslich zündet der Polymechaniker den Strahl seines Pfeffersprays mit seinem Feuerzeug an und richtet die Stichflamme auf das Opfer. Der Feuerstrahl reicht einen Meter weit und setzt den Körper des Angegriffenen für mehrere Sekunden in Brand. Das Opfer erleidet Verbrennungen ersten und zweiten Grades an Hals, Ohr und am Arm. Dank der Hilfe zweier Fremder, die ihm zu Hilfe eilen, kommt er ohne bleibende Schäden davon. Die mittlerweile geständigen Täter flüchten.

Für diese Taten müssen sich der Büroangestellte und der Polymechaniker am Mittwoch und am Donnerstag vor dem Bezirksgericht in Winterthur verantworten.

Der zuständige Staatsanwalt verlangt für den Polymechaniker wegen versuchter schwerer Körperverletzung und wegen Angriffs eine unbedingte Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten. Zudem soll er, ein neuseeländischer Staatsbürger, für sieben Jahre des Landes verwiesen werden.

Der Büroangestellte, ein Schweizer, soll mit einer bedingten Haftstrafe von 21 Monaten sowie einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 80 Franken für leichte Körperverletzung und Angriff bestraft werden. Das Urteil soll am Donnerstag eröffnet werden.

«Bist du schwul, dass du mich so anschaust?»

Zur Tatzeit, im September 2022, ist in Winterthur-Seen Chilbi, ein grosses Ereignis mit Tausenden Besuchern. Auch das spätere Opfer, ein Mann Anfang dreissig, bricht spätabends noch auf, um sich dort zu vergnügen. Um etwa 23 Uhr steigt er bei der Haltestelle «Depot» in den Bus der Linie 2 und stellt sich in den Eingangsbereich.

Eine Überwachungskamera zeichnet die folgende Fahrt auf.

Der eben dem Bus Zugestiegene ist angetrunken und schwankt sichtlich. Er rempelt einen jungen Mann an und gerät in Konflikt mit dessen Clique. Laut den Akten entsteht ein aggressiver Wortwechsel, der Betrunkene sagt zu einem der ungefähr 20-Jährigen: «Bist du schwul, dass du mich so anschaust? Willst du einen Kuss?» Die jungen Männer geben zurück.

Der Betrunkene will dem Büroangestellten einen Fausthieb versetzen. Doch dieser packt ihn am Arm und vereitelt den Angriff. Bei der Haltestelle «Waser» steigen die Männer aus. Wenig später eskaliert dort die Situation.

Das mutmassliche Opfer ist als Privatkläger Partei im Prozess, bleibt der Verhandlung am Mittwoch aber fern. Gemäss dem Staatsanwalt hat er sich im Bus «dumm» verhalten, war danach aber wehrlos einer Gruppe von einem Dutzend gewaltbereiten jungen Männern ausgeliefert: «Das Verhalten der zwei Angreifer befindet sich in der Nähe zur versuchten Tötung.»

Angreifer mit der Stichflamme gesteht Tat

Die Verteidiger schildern den Hergang der Ereignisse anders. Es sei in Wahrheit der 32-Jährige gewesen, der den Konflikt während der Busfahrt verursacht habe.

Als Beweis lässt der Rechtsanwalt des Polymechanikers im Gerichtssaal die Aufnahmen der Überwachungskamera zeigen. «Das Video stellt die Affäre in ein anderes Licht», sagte er. Im Video sei zu sehen, wie der Privatkläger im Bus einen Wortwechsel mit dem Angeklagten vom Zaun reisse.

Aus dem Material der Überwachungskamera schliesst der Verteidiger, dass der Privatkläger die jungen Männer zum Aussteigen und zur anschliessenden Prügelei aufgefordert habe. Insofern könne von einem Angriff keine Rede sein.

Der Polymechaniker sagte vor Gericht aus, dass er sich eingeschüchtert gefühlt habe. Aus Angst habe er zum Pfefferspray gegriffen. Der Polymechaniker sagte: «Ich war es, ich habe ihn angezündet.» Er habe keine Absicht gehabt, seinem Kontrahenten schwere Verletzungen zuzufügen. Im Gegenteil, er habe selbst gestaunt, dass die Stichflamme des angezündeten Pfeffersprays so stark gewesen sei.

Lag eine Einwilligung vor?

Der Verteidiger des Polymechanikers machte sodann Notwehr geltend. Zudem sei der Brand am Körper des Opfers rasch gelöscht worden, so dass der Polymechaniker nur für einfache Körperverletzung belangt werden könne. Von einem Landesverweis sei abzusehen.

Der Anwalt des Büroangestellten ging sogar noch weiter. Er führte aus, dass der 32-Jährige mit seiner Aufforderung zur Schlägerei in eine handgreifliche Auseinandersetzung eingewilligt habe. Aus diesem Grund könne er gar nicht als Opfer gelten – denn er habe sich aus freien Stücken in die Schlägerei gefügt.

Deshalb, so plädierte sein Verteidiger, sei der Büroangestellte vom Vorwurf der Körperverletzung und des Angriffs freizusprechen.

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