Sonntag, Februar 23

Lukas Furtenbach will mit Kunden dank einem Edelgas im Speed-Tempo auf den höchsten Himalajagipfel. Viele sagen, er spiele mit dem Tod. Der Expeditionsleiter entgegnet, das Gegenteil sei wahr: Er mache den Alpinismus sicherer.

Er bekomme gerade Todesdrohungen, sagt Lukas Furtenbach. In einer E-Mail an ihn habe gestanden, einer wie er gehöre nach Auschwitz. Dass er den Verfassungsschutz einschalten muss, ist sogar für Furtenbach, der die Bergwelt schon mehrfach in Aufruhr versetzt hat, eine neue Erfahrung. Grund genug, den Expeditionsleiter zu besuchen, um zu erfahren, was ihn antreibt.

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Das Büro, in dem der Österreicher Expeditionen an den Mount Everest, den K 2 oder die Eigernordwand plant, befindet sich in einem unscheinbaren Industriegebiet bei Innsbruck. Als würden ihn die schneebedeckten Gipfel in der Nähe weniger interessieren, hat er die Jalousien mitten am Tag heruntergezogen. Es ist düster, während er sich in Rage redet. «Im Alpinismus herrscht eine Kultur, Innovationen abzulehnen», sagt Furtenbach. «Man ist zunächst einmal kategorisch gegen jede Neuerung, welche die Sicherheit erhöht, von Bohrhaken in klassischen Routen bis zu Clip-Sticks in Klettergärten.»

Was er plant, hat eine andere Dimension als Bohrhaken und Clip-Sticks. Furtenbach will die Akklimatisation von Kunden beschleunigen, indem er sie das Edelgas Xenon inhalieren lässt, welches sonst bei Narkosen und in der Raketenindustrie zum Einsatz kommt. Sportlern untersagte die Welt-Antidoping-Agentur (Wada) die Verwendung von Xenon, nachdem das Gas von russischen Athleten an den Olympischen Spielen 2014 missbraucht worden war.

Zwar gilt das Verbot nicht für das Höhenbergsteigen, in dem es keine Dopingkontrollen gibt. Der Gebrauch ebenfalls verbannter Substanzen wie Diamox oder Dexamethason ist in Basislagern alltäglich. Die medizinische Kommission des Weltverbands UIAA hat jedoch auf die Xenon-Pläne mit einer scharfen Stellungnahme reagiert: «Der Gebrauch sollte sich auf den Operationssaal beschränken.» Bei unsachgemässer Nutzung drohten Beeinträchtigungen der Gehirnfunktionen und der Atemwege oder sogar der Tod. Die Argumentation ist trotz verlinkten Studien diffus.

Furtenbach beugt sich dem Verdikt nicht. Sein Plan: Vier Kunden, die im Mai den Mount Everest besteigen wollen, werden etwa zwei Wochen vorher nach Deutschland reisen, um dort unter medizinischer Aufsicht eine halbe Stunde lang über ein spezielles Narkosegerät Xenon zu inhalieren. Das verwendete Gas wird pro Kunde etwa 5000 Euro wert sein, Material- und Lohnkosten nicht eingerechnet.

Dank der Wirkung des Gases, Nächten in Hypoxie-Zelten sowie Trainings unter der Regie des Extrembergsteigers Steve House sollen die Kunden anschliessend bereit für ein bahnbrechendes Experiment sein. Es lautet: Abflug nach Kathmandu an einem Montag. Mit dem Helikopter direkt ins Basislager, medizinische Kontrolle, Materialcheck. Noch am selben Abend Aufstieg ins Lager 2, am Lager 1 wird vorbeimarschiert. In diesem Tempo geht es weiter, bis zum Gipfelaufstieg am Freitag. Wenn alles gutgeht, sind die vier Kunden am Sonntag zum Abendessen zurück in Europa.

Eine Mount-Everest-Expedition, die schneller vorbei ist als Strandferien: Für viele alpinistische Puristen tönt das nach dem ultimativen Sündenfall. Und nach einem Spiel mit dem Tod. Furtenbach sieht es genau umgekehrt. Er sagt, das Eiltempo habe grosse Vorteile: «Je weniger Zeit wir am Berg verbringen, desto sicherer. Das Risiko sinkt, sich im Basislager einen Infekt einzufangen. Je kürzer die Expeditionen, desto weniger sind die Bergsteiger ausgelaugt, wenn es wirklich losgeht. An den entscheidenden Tagen am Berg sind sie ausgeruhter und haben mehr Energie.»

Mit Hypoxie-Zelten einen Trend geprägt

Furtenbach bringt das Establishment der Alpinisten nicht zum ersten Mal gegen sich auf. Als Student nahm er einst an wissenschaftlichen Experimenten mit Hypoxie-Zelten teil, in denen die dünne Höhenluft simuliert wird. Der gewünschte Effekt, rote Blutkörperchen zu bilden, funktionierte. Also stellte er seinen Kunden als junger Expeditionsleiter ab 2006 ebenfalls Hypoxie-Zelte zur Verfügung, um sie darin vor der Anreise in den Himalaja schlafen zu lassen.

Auch damals reagierte die Szene empört, allerdings verliefen Diskurse in der Ära vor dem Siegeszug von Twitter und Facebook in aller Regel noch konstruktiver. Mediziner und Bergsteiger meldeten sich mit Fragen und Zweifeln, Furtenbach oder seine medizinischen Berater gaben Antwort. Mittlerweile sind Hypoxie-Zelte weit verbreitet, alpinistische Konkurrenten haben das Vorgehen übernommen, und auch Radsportler und Langstreckenläufer schlafen bisweilen in den Zelten.

Trendsetter zu sein, war Furtenbachs Selbstbewusstsein nicht abträglich. Auf seiner Website schreibt er, er habe «das Höhenbergsteigen revolutioniert und neue Standards gesetzt». Das ist nicht nur Marketing: Furtenbach hält es für bitter notwendig, den Revoluzzer zu spielen. «Jedes Jahr passieren an den höchsten Bergen der Welt vermeidbare Todesfälle im Zusammenhang mit Höhenkrankheit», sagt er. Verantwortlich macht er dafür das durch Reinhold Messner geprägte Ideal, ohne Flaschensauerstoff zu klettern (siehe Zusatztext). Die Zahl der Toten, die durch Höhenkrankheit dahingerafft würden, sei erschreckend, und dennoch halte man am Mantra fest. «In keinem anderen Sport würde das akzeptiert. Man stelle sich vor, die Formel 1 wäre immer noch mit dem gleichen Regelwerk unterwegs wie in den 1950er Jahren.»

Bei Standardexpeditionen an 8000ern ist bis heute eine mehrwöchige Akklimatisation am Berg üblich: Die Alpinisten steigen in Rotationen immer höher und erholen sich zwischendurch im Basislager. Unabhängig von der Fitness funktioniere das etablierte Vorgehen bei 10 bis 20 Prozent der Teilnehmer nicht, sagt Furtenbach. «Im besten Fall kehren die Betroffenen rechtzeitig um. Im schlechtesten Fall erleiden sie Hirnödeme, Lungenödeme, viele sterben sogar.» In seinen Expeditionen, betont er, passiere das nicht. «Keiner meiner Kunden hat je an schweren Höhenkrankheiten gelitten, niemand ist gestorben.»

Ein Gefühl wie beim Rauchen eines Joints

Als sich Michael Fries bei ihm meldete und Hilfe anbot, reagierte Furtenbach begeistert. Der Deutsche ist Chefarzt Anästhesie an einem Krankenhaus im hessischen Limburg und forscht seit Jahrzehnten an medizinischen Anwendungen von Xenon. Fries erzählte von einer russischen Studie, gemäss der Bergsteiger mit Xenon bessere physische und psychische Werte aufwiesen als ihre Vergleichsgruppe.

Der innovationsfreudige Unternehmer liess sich nicht zweimal bitten und machte sich selbst zum Versuchskaninchen. Furtenbach bestieg 2020 den Aconcagua nach einer Xenon-Kur, anschliessend 2021, 2022 und 2024 den Everest, dazwischen 2023 den Lhotse. Ausserdem verwendeten in diesem Zeitraum etwa ein Dutzend Kollegen das Gas, Bergführer ebenso wie beispielsweise Kameramänner. «Es tönt zu schön, um wahr zu sein, aber bereits eine halbstündige Anwendung hat einen Effekt, der mehrere Wochen anhält», sagt Furtenbach. Seine Sättigungswerte am Gipfel seien besser gewesen als jene von anderen, Nebenwirkungen habe er nicht gespürt.

Wie ist das möglich? Anruf bei Fries, der klarstellt: «Xenon ist kein Hokuspokus.» Ein Inhalieren führe zum Beispiel dazu, dass die Nebennierenrinde Erythropoetin ausschütte, auch als EPO bekannt. Die Erhöhung des EPO ist Teil des Akklimatisationsprozesses. EPO veranlasst das Knochenmark, mehr rote Blutkörperchen zu produzieren, die den Sauerstoff mithilfe von Hämoglobin durch den Körper transportieren.

Tierversuche legten ausserdem nahe, dass Xenon einen positiven Effekt auf die Lungenarterie haben könnte, so der Anästhesist: Die Wirkung sei ähnlich wie jene von Viagra bei Lungenhochdruck. Somit könne Xenon ebenso wie Viagra einem Höhen-Lungen-Ödem entgegenwirken.

Wie fühlt es sich an, Xenon zu inhalieren? Fries sagt: «Wie das Rauchen eines Joints.» Der Vorteil des Gases sei, dass es nur kurz im Körper bleibe, es gebe zudem keine Interaktion mit anderen Medikamenten. «Wird die Xenon-Gabe beendet, ist die sedierende Wirkung in fünf Minuten wieder weg.» Es bestehe somit keine Gefahr, dass Bergsteiger am Mount Everest plötzlich wegdämmerten.

Was in Foren und Gastkommentaren auf Furtenbach und Fries einprasselt, ist zu einem grossen Teil Polemik. «Vieles könnten wir im Gespräch entkräften», sagt der Expeditionsleiter. Am vehementesten sei der Widerstand gegen seine Ideen im Übrigen von Menschen über 60 oder sogar 70 Jahren. «Es gibt eine Korrelation zwischen Alter und Ablehnung.» Furtenbach ätzt über jene, die er als Vorgestrige charakterisiert: «Im Höhenbergsteigen gehen bestimmte Begrifflichkeiten teilweise immer noch auf die Zeit des Nationalsozialismus zurück, als man Berge fürs Vaterland eroberte.»

Allerdings äussern auch renommierte Fachleute Zweifel am Xenon-Projekt. Derzeit fehle die wissenschaftliche Basis dazu, solch ein Prozedere zu empfehlen, sagt Hannes Gatterer, Sportwissenschafter am Institut für Alpine Notfallmedizin in Bozen. Falsch angewandt könne es zudem sehr gefährlich sein. Gatterer hat an einer Studie über Xenon mitgearbeitet. Er betont, dass zu einer adäquaten Akklimatisation deutlich mehr gehöre als die Bildung roter Blutkörperchen. Konkret nennt er die ventilatorische Akklimatisation, also die allmähliche Steigerung der Atmung. Eine fundierte wissenschaftliche Basis für die Annahme, Xenon könne akute Bergkrankheiten verhindern, sehe er nicht.

Auch Monica Piris rät von Xenon ab. Die spanische Ärztin hat elf Saisons im Everest-Basislager verbracht, weitere vier Saisons an anderen Achttausendern und einige weitere als Expeditionsberaterin. Piris sagt: «Gesunden, fitten Menschen ein potenziell gefährliches Medikament zu verabreichen, ohne wirklich zu wissen, ob es in irgendeiner Weise von Vorteil ist, widerspricht meiner Vorstellung von Höhenmedizin.» Eine Studie belege zwar einen Anstieg von EPO, nicht aber eine anschliessende Erhöhung der roten Blutkörperchen.

Wenn das Pilotprojekt erfolgreich ist, will Lukas Furtenbach (r.) bald einwöchige Everest-Expeditionen für 150 000 Euro anbieten.

Überspannt Furtenbach diesmal den Bogen? Oder reduziert er am Everest tatsächlich das Risiko? Der Unternehmer sagt, er sei sich seiner Sache sicher: «Wir haben uns in den letzten zwanzig Jahren eine Reputation aufgebaut, die wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen würden.» Geht das Pilotprojekt gut, will er die einwöchigen Everest-Expeditionen ins Programm aufnehmen. Kostenpunkt: 150 000 Euro.

Dass demnächst vielleicht einwöchige Trips zum höchsten Berg der Welt per Mausklick bestellt werden können, lockte diese Woche auch den Altmeister Reinhold Messner aus der Reserve. Er sagte dem «Standard» sarkastisch: «Hätten die Briten Mallory und Irvine, die 1924 am Everest umgekommen sind, Xenon schon gekannt, so wären sie vermutlich auf den Everest spaziert.»

Privat reizen Furtenbach die gefährlichen Berge nicht mehr. Wenn er frei hat, verbringt er Zeit mit seiner Familie. Er geht dann surfen oder fischen.

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