Freitag, Oktober 11

Viele Gründe sprechen gegen grenzüberschreitende Bankenfusionen, sie sollten der Commerzbank-Übernahme durch Unicredit aber nicht im Weg stehen. Warum verzwergt Europa seine Banken?

Mit einem Paukenschlag hat im September die Ruhe im europäischen Bankenmarkt geendet. Die italienische Unicredit startete überraschend einen Übernahmeversuch der deutschen Commerzbank, den sie geschickt als freundliche Annäherung verkaufen will. Jetzt wird es ernst mit der europäischen Bankenkonsolidierung, nachdem lange Zeit vor allem darüber geredet worden ist. Das hatte nicht nur mit den oftmals unterschiedlichen Geschäftsmodellen zu tun, sondern auch mit der Bankengesetzgebung in der Europäischen Union (EU).

Gesetzgebung über Richtlinien und Verordnungen

Am Anfang jedes Zusammenschlusses steht die betriebswirtschaftliche Beurteilung, neudeutsch der Business-Case. Eine Transaktion muss für die Besitzer, also die Aktionäre, einen Mehrwert bieten. Die Banken sollten sich ferner möglichst gut ergänzen, und es sollten sich Synergien ergeben, so dass die Kosten insgesamt sinken und am Ende des Prozesses ein besseres, stärkeres und zukunftssicheres Institut entsteht.

Trotz EU-Binnenmarkt erschweren etliche rechtliche Vorgaben die Umsetzung von grenzüberschreitenden Geschäftsmodellen. Das liegt zum einen daran, wie die EU ihre Vorgaben erlässt, und zum anderen daran, dass die nach der Finanzkrise angestrebte europäische Bankenunion auch 15 Jahre später noch nicht vollendet ist.

Brüssel erlässt seine Gesetze oft als Richtlinien («directives»). Diese müssen die Mitgliedstaaten zwar in nationales Recht umsetzen, sie haben dabei jedoch Spielraum. So kann jedes Land nationale Eigenheiten pflegen. Das mag angenehm sein, führt aber zu einem ineffizienten Binnenmarkt, da die Beibehaltung nationaler Gepflogenheiten kostspielig ist und grenzüberschreitende Fusionen erschwert.

Es wäre deshalb besser, die EU würde häufiger das Instrument der Verordnungen («regulations») verwenden. Diese sind eins zu eins umzusetzen und lassen keinen nationalen Spielraum. Beispiele dafür gibt es bereits. So sind die Regeln für das harte Kernkapital bei Banken und gewisse Liquiditätsanforderungen durch Verordnungen vorgegeben.

Unvollendeter EU-Binnenmarkt

Im Bankensektor führen Richtlinien dazu, dass Nationalstaaten sogenanntes Ring-Fencing (Einzäunung) betreiben, also nationale Vorgaben beispielsweise für Kapital und Liquidität erlassen. Ein europäischer Bankenkonzern darf somit nicht völlig frei über das Kapital und die Liquidität seiner ausländischen Tochtergesellschaften verfügen.

Es ist zwar verständlich, dass sich beispielsweise deutsche Sparer unwohl fühlen, wenn ihre Einlagen bei einer deutschen Bank mit ausländischer EU-Muttergesellschaft in ein anderes Land fliessen. Doch die fortdauernde Behinderung des freien Kapitalverkehrs macht grenzüberschreitende Banken in Europa ineffizient.

Auch andere Rechtsgebiete, die Bankenfusionen tangieren, wurden nie völlig harmonisiert. Dazu gehören das Insolvenz- und Zivilrecht sowie der Konsumentenschutz. Vorderhand wollen viele Politiker stets einen gemeinsamen einheitlichen Markt in Europa, doch sobald es konkret wird, pochen sie auf die Beibehaltung nationaler Sonderregeln. Das Phänomen betrifft nicht nur die Bankenbranche, sondern auch etliche andere Bereiche in der EU.

Ewiger Streit über die europäische Einlagensicherung

Im Finanzsektor ist das Thema besonders virulent bei notleidenden Wertpapieren, bei denen der Emittent in Zahlungsschwierigkeiten oder sogar schon insolvent ist. Die Verwertung der hinterlegten Sicherheiten, beispielsweise für einen Immobilienkredit, ist dann je nach Land unterschiedlich schwierig und dauert unterschiedlich lange.

In manchen osteuropäischen Ländern sei die Verwertung von Sicherheiten im Rahmen einer Insolvenz, etwa durch den Verkauf von Immobilien, in einem guten halben Jahr möglich, sagen Bankenaufseher, in Deutschland dauere es deutlich länger. Doch vor allem in Südeuropa könne das sehr viel Zeit benötigen – in Italien bis zu 12 Jahre und in Griechenland und Zypern noch länger, wie die Finanzkrise gezeigt habe.

Viele der genannten Themen spiegeln die mangelnde Vollendung der Bankenunion in der EU. Diese sollte ursprünglich auf drei Säulen stehen: Die erste Säule ist die bei der Europäischen Zentralbank (EZB) angesiedelte gemeinsame Aufsicht über die «signifikanten Institute» in der Euro-Zone. Die zweite Säule ist die vereinheitlichte Bankenabwicklung, für welche im Ernstfall die Brüsseler Behörde Single Resolution Board (SRB) zuständig ist. Diese beiden Säulen wurden nach der Finanzkrise tatsächlich gebaut. Es fehlt jedoch noch immer die dritte Säule, die gemeinsame europäische Einlagensicherung (Edis).

Sie ist bisher vor allem infolge des Widerstands aus Deutschland nicht entstanden, weil sich besonders der Sparkassen-Sektor sowie die genossenschaftlichen Volks- und Raiffeisenbanken massiv dagegen sperren. Sie halten ihre eigenen Instituts- beziehungsweise Einlagensicherungssysteme für besser und umfangreicher. So helfen sich die Institute gegenseitig aus der Klemme, wenn eines in Not gerät.

Für Aufseher ist es zwar verständlich, dass üppig ausgestattete Verbünde ihre Gelder nicht in einem europäischen Topf vergemeinschaftet sehen wollen. Sie plädieren dennoch für die Einrichtung der dritten Säule, notfalls mit Sonderregelungen und Übergangsfristen. Wer generell «Ja» zur EU sage, dürfe nicht immer im konkreten Fall «Nein» sagen.

Zudem wäre es gut, wenn Kontrolle und Haftung auf derselben Ebene gesteuert werden. Entscheiden die EZB-Aufseher und die SRB-Abwickler, dass ein in Not geratenes Institut geschlossen werden muss, sollte auch die EU-Einlagensicherung zum Handkuss kommen.

Staatsanleihen gelten fälschlicherweise als sicher

Ein weiterer wichtiger Faktor in der europäischen und globalen Regulierung ist der Umgang mit Staatsanleihen. Grossbanken aller Provenienz haben Milliardensummen in Anleihen ihres Heimatlandes investiert. Das geschieht einerseits, weil diese Papiere sehr liquide sind, und andererseits, weil Staatsanleihen regulatorisch als sicher gelten, weshalb Banken sie nicht mit Eigenkapital hinterlegen müssen. Dadurch ist der Kauf von Staatsanleihen in normalen Zeiten für Banken ein gutes Geschäft: Er erzeugt kaum Kosten und bringt eine sichere Rendite.

Die Vergangenheit hat jedoch schon häufig gezeigt, dass auch Staaten zahlungsunfähig werden können. Deshalb kämpfen unter anderem deutsche und Schweizer Bankenaufseher seit Jahren in den entsprechenden internationalen Gremien dafür, dass Finanzinstitute auch Staatsanleihen mit Eigenkapital hinterlegen müssen. Dagegen sperren sich aber nicht nur viele südeuropäische Länder, sondern vor allem auch Japan und die USA. Deshalb erscheint der Kampf als aussichtslos. In vielen Ländern sei es eine Selbstverständlichkeit, dass der Staat helfe, wenn eine Bank in Not gerate, sagt ein erfahrener Bankenaufseher dazu, der nicht genannt werden möchte.

In der Euro-Zone sind vor allem Griechenland und Italien aufgrund ihrer hohen Staatsschulden anfällig für mögliche Zahlungsschwierigkeiten. Unter einem (teilweisen) Ausfall italienischer Staatsanleihen würde durch die beschriebene Verquickung zwischen Staat und Banken jedoch auch der italienische Bankensektor ins Wanken geraten.

Über Tochtergesellschaften in anderen Ländern könnte sich eine etwaige Bankenkrise in Italien schliesslich blitzschnell auf andere Bankensysteme in Europa ausweiten. Deshalb wird eine Übernahme der Commerzbank durch Unicredit in Deutschland von einigen Beobachtern kritisch gesehen. Bankenaufseher gehen jedoch davon aus, dass etwaige Probleme im Ernstfall durchaus lösbar wären und einer Fusion oder Übernahme deshalb nicht im Weg stehen sollten. In den vergangenen Wochen haben sich gleich eine ganze Reihe von Regulatoren grundsätzlich positiv zu grenzüberschreitenden Fusionen geäussert.

Bei Übernahmen kommen zu den betriebswirtschaftlichen und regulatorischen Fragen auch noch operationelle Probleme hinzu wie beispielsweise die Vereinheitlichung von Organisationsstrukturen und IT-Systemen sowie weiche Faktoren wie kulturelle Unterschiede, differierende Kundeninteressen und unterschiedliche Sprachen. Besonders diese weichen Faktoren machen feindliche Übernahmen so schwierig. Der Unicredit-Konzernchef Andrea Orcel hat deshalb allen Grund, bei der Annäherung an die Commerzbank nicht zu sehr mit der Brechstange vorzugehen, sondern nur sanften Druck auszuüben.

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