Mit «Drive My Car» gelang Ryusuke Hamaguchi ein Hit. Aus seinem neuen Film spricht eine Sehnsucht nach heiler Welt. Doch der japanische Regisseur verliert sich in Naturkitsch.
Wenigen bekommt überraschender Oscar-Ruhm. Ryusuke Hamaguchi, der vor zwei Jahren mit seinem existenzialistisch dahintröpfelnden «Drive My Car» mehrere Nominierungen für die Goldstatue einstecken konnte, bildet da keine Ausnahme. Zwar sieht sich der japanische Filmemacher eigentlich im Hollywood-fernen Kunstkino zu Hause, was er in seiner neuen Arbeit «Evil Does Not Exist» auch gleich mit zehn dialogfreien Minuten zu Beginn unterstreicht. Aber etwas in seinen Bildern bleibt kompatibel mit dem bedeutungsschweren Kitsch, der für gewöhnlich Preise beschert.
In langsamen und stillen Einstellungen zeigt der Film das tägliche Leben im fiktionalen ländlichen Dorf Harasawa, wo ein Unternehmen in den pastoralen Frieden eindringt, um ein Glamping-Resort (Glamping ist ein neoliberaler Neologismus aus Glamour und Camping) aufzubauen. Das Dorf wehrt sich gegen das Vorhaben, auch weil die Positionierung der Kläranlage den Fluss verunreinigen würde.
Vor allem der stoische Alleinerzieher Takumi und dessen Freunde zeigen dem Projekt die kalte Schulter. Takumi kümmert sich um seine immer mal wieder allein im Wald verschwindende Tochter Hana und gibt sonst eine Art schweigsamen Förster in der sich für die Umwelt einsetzenden Dorfgemeinschaft.
Am sauberen Wasser, so wird von den Figuren vermittelt, hängt die Gesundheit des ganzen Biotops. Die Menschen verstehen sich als Teil von diesem. Eine Szene, in der Takumi und Hana Bäume bestimmen, zeigt, wie das Wissen dieser Form des In-der-Welt-Seins von Generation zu Generation weitergetragen wird. Die Probleme beginnen, wenn diese Traditionen von kapitalistischen Interessen aufgesprengt werden.
Ohnmacht aller Beteiligten
Ein wenig erinnert das an einen Western: Die Bösewichter sind längst überregional operierende Unternehmen, die Helden die genügsamen Menschen und die zu verteidigende Gerechtigkeit, das ist das Fortbestehen der Erde. Das Glamping-Projekt wird von zwei an ihrer eigenen Rolle zweifelnden Vertretern einer Kunstagentur im Ort verteidigt. In ihnen liegt der eigentliche interessante Konflikt des Films, der eine Art Ohnmacht aller Beteiligten in der Umsetzung eines solchen Projekts verdeutlicht. Im Auto unterhalten sich die beiden über ihre Rolle, und es wird klar, dass sie weder hinter dem Projekt stehen noch wirklich beruflich zufrieden sind.
Hier sind die typischen, in den Gesellschaftssystemen gefangenen traurigen Gestalten, die Hamaguchi seit einigen Jahren so wirkungsvoll zeigen kann. Niemand möchte ein solches Glamping-Projekt, aber es wird trotzdem gemacht. Es ist, als würden die zugesagten Förderungen und sich automatisierenden Mechanismen jeglichen Spielraum moralischer oder nachhaltiger Entscheidungen untergraben.
Leider interessiert sich Hamaguchi für diese Fragen nur am Rand. Wichtiger ist ihm der altbekannte, überbetonte Konflikt zwischen Land und Stadt, Natur und Mensch, den er mit einem neuen, stark entschleunigten Spin erzählen will. Dieser neue Spin bedient sich jedoch allzu abgeschmackter Bilder, die der Film in statischen Totalen abruft: die Romantik des Holzfällens, sanft plätscherndes Flusswasser, das Pflücken von Wildkräutern, auf Lichtungen stehende Rehe und ein an Instagram erinnerndes Farbbild, das dem von Glamping-Werbespots erschreckend nahesteht. Das ist das Naturbild von «Evil Does Not Exist». Naturkitsch könnte man es nennen.
Ein politisches Statement
Aus diesem Film spricht eine Sehnsucht nach heiler Welt, die man dieser Tage in vielen Festivalfilmen bemerken kann. Daran ändert auch das enigmatische, unheimliche Finale nichts, als Hana im Wald verschwindet und in dunstigem Dämmerlicht gesucht wird. Zwar sind immer wieder Schüsse von Jägern zu hören, aber eigentlich wird die Landschaft wie ein kleines Küken betrachtet, das es zu schützen gilt.
Hamaguchi geht es nicht um ein realistisches Bild des Zusammenspiels von Landschaft und Mensch, vielmehr will er eine Parabel mit einem politischen Statement erzählen. Es wäre unfair zu behaupten, dass ihm das gar nicht gelänge. Gerade die erschreckend ignorante, fast schon komödiantische Naivität und Hilflosigkeit der in Harasawa ankommenden Städter aus Tokio vermag etwas über den Zustand einer von ihrem Planeten entfremdeten Zivilisation zu erzählen. Gleichzeitig fehlt dem Film jegliches Verständnis für die Gleichgültigkeit und Unermesslichkeit der Natur.
Dass der den Menschen ins Zentrum hebende Begriff des Anthropozäns längst hinterfragt wurde, scheint bei Hamaguchi nicht angekommen zu sein. Er zeigt nie, was zu sehen ist, sondern malt lieber ein Bild. Das ist ein feiner, aber entscheidender Unterschied, den es bei vielen auf die Natur fixierten Regisseuren heute zu bemerken gibt.
Der in den Fokus gerückte Klimawandel hat ein mehr als fragwürdiges Genre hervorgebracht: Darin wird die Natur nicht nur ästhetisierend betrachtet, sondern auch so, als existiere sie primär für den nach Harmonie lechzenden Genuss des Menschen. Schöne, von sphärischer Musik untermalte Kamerafahrten entlang schneebedeckter Baumwipfel und endloses Rauschen inklusive.
Waldbaden im Kino
Es sagt viel, dass der Ursprung des Projekts in Hamaguchis Kollaboration mit der Ton- und Musikkünstlerin Eiko Ishibashi zusammenhängt. Er drehte Bilder für ein Musikvideo, und daraus formte sich dieser Film. Der Regisseur selbst, das gibt er in Interviews auch ganz offen zu, war nicht mehr als ein selbstreflektierender Tourist auf dem Land. Die Musik erst gab den Antrieb, die Natur zu filmen.
Vielleicht aber hat auch das aus Japan in den Westen übergeschwappte Konzept des «Shinrin Yoku», des sogenannten Waldbadens, längst das Kino heimgesucht. Komplexe Zusammenhänge werden auf einfachste Formeln reduziert, und ein loderndes metaphysisches Wabern, das in «Evil Does Not Exist» zu einem verstörenden und überraschenden Ende führt, soll den Betrachtungen eine Bedeutung verleihen, die sie schlicht nicht haben.
Weil am Ende des Films etwas Gewaltvolles geschieht, was schwer zu verstehen ist, arbeitet der Film noch einige Zeit im Zuschauer. Letztlich ist die im Verhältnis von Mensch und Gelände angelegte Verstörung aber eine recht plumpe Flucht ins Vage. Als Analyse des Verhältnisses von Kapitalismus und Naturschutz taugt das eher wenig. Eher vermittelt es den angenehmen Schauer einer Nachtwanderung, bei der man vermutet, die Bäume bewegten sich sogleich und übten Rache an der Menschheit.
Ökosystem und Märchenwald verschmelzen hier, und was bleibt, ist das unbestimmte Gefühl einer Bedrohung. Sicher kann ein Film nicht die ganzen, in anderen Zeitabständen sichtbar werdenden Verknüpfungen und Auswirkungen der menschengemachten Schäden an der Umwelt zeigen. Aber er sollte auch nicht das verklären, was er zeigt.