Kein anderer Bundesligaklub bringt so viele gute Stürmer hervor wie die Eintracht. Luka Jovic, Sébastien Haller und Randal Kolo Muani brillierten aber fast ausschliesslich in Frankfurt. Das sollte für Marmoush, den besten Torschützen der Liga, eine Warnung sein.
Wenn es so etwas wie das Bundesliga-Team der Stunde gibt, dann ist es gewiss Eintracht Frankfurt. Die Mannschaft des Trainers Dino Toppmöller spielt einen spektakulären Fussball, die Irritationen der letzten Saison sind überwunden, die Mannschaft wirkt stabil, harmonisch, begeisternd. Vor allem aber ist es ein Angreifer, der herausragt: Omar Marmoush, ein 25 Jahre alter Ägypter, der gegenwärtig nicht zu halten ist. Im Spitzenspiel gegen den FC Bayern (3:3) traf er zweimal – in der Nachspielzeit entriss er den Münchnern den Sieg.
Tatsächlich ist der Mann auf den ersten Blick eine Sensation: ballgewandt und rasend schnell, dazu kaltschnäuzig. Marmoush fackelt nicht lange, das belegen seine acht Bundesliga-Treffer in nur sechs Saisonspielen. Er führt die Torschützenliste an.
Es bedurfte keiner hellseherischen Gabe, um zu erahnen, was nach seiner Gala gegen die Bayern geschehen würde: Da der 100-Millionen-Einkauf Harry Kane in dem Spiel ohne Tor blieb, wurde Marmoush zum idealtypischen Bayern-Angreifer erklärt – die Münchner sollten schon einmal Geld zur Seite legen, um in den Mann investieren zu können. Dies wird zwar einem Stürmer von der Qualität des Engländers Kane nicht gerecht, aber es ist durchaus etwas dran: Kane ist bereits 31 Jahre alt.
OMAAAAAAAAAR! MARMOUUUUUUUSH!!! 📢📢📢
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⏰ 90. | #SGEFCB 3:3 | #SGE pic.twitter.com/iAnO074c5a— Eintracht Frankfurt (@Eintracht) October 6, 2024
Die unschöne Trennung von Randal Kolo Muani
Wer Marmoush zuhört, mag nicht glauben, dass er erst seit sieben Jahren in Deutschland lebt. Nahezu akzentfrei parliert er nach den Spielen mit den Journalisten, was ihm umso leichterfällt, als es angenehme Dinge zu besprechen gibt.
Würde er die Eintracht verlassen, wäre dies ein vertrautes Ritual. Kein anderer Bundesligaklub hat in den letzten Jahren so viele brillante Stürmer hervorgebracht wie die Frankfurter. Zu erkennen, welche Vorzüge ein Angreifer hat, zählt mittlerweile unabhängig von der verantwortlichen Person auf dem Managerposten zu den besonderen Fähigkeiten der Hessen.
2021 war die Eintracht in einer ähnlichen Situation. Sie spielte einen robusten Fussball wie heute, seinerzeit hiess der Trainer Adi Hütter. In einem spektakulären Spiel bezwang sie die Bayern sogar. «Büffelherde»: So wurde das damalige Angriffstrio genannt, mit Sébastien Haller, Ante Rebic und Luka Jovic. Und es hat solchen Eindruck hinterlassen, dass ein Wikipedia-Eintrag existiert, der mit Fussballern zu tun hat und nicht mit mächtigen Erscheinungen aus dem Tierreich. In ihrer Wucht wurden die drei Frankfurter dem Begriff gerecht.
Damals zeichnete Fredi Bobic für die Verpflichtungen verantwortlich. Er bildete einst in Stuttgart mit Krassimir Balakow und Giovane Elber das sogenannte magische Dreieck – eine Markenbezeichnung ähnlicher Güteklasse wie die «Büffelherde». Als Mittelstürmer hatte Bobic einen guten Blick für die Kollegen.
Inzwischen ist Markus Krösche der Sportvorstand der Eintracht – den phänomenalen Lauf seines Vorgängers, der bei Hertha BSC nicht glücklich geworden ist, hat er fortsetzen können. Krösche ist kein blosser Technokrat. Als ehemaliger Trainer, der in Paderborn einen guten Job machte, kennt er das Spiel aus der Praxis auf hohem Niveau. Und er hat nun auch eine Art Büffelherde beisammen. Neben Marmoush brilliert dessen Sturmpartner Hugo Ekitiké, der 22-Jährige wurde von Paris Saint-Germain ausgeliehen.
Ekitiké ist kein schlechter Ersatz, denn die Frankfurter mussten einen anderen hochkarätigen Angreifer an das Fussball-Eldorado PSG abgeben: den französischen Nationalstürmer Randal Kolo Muani. Auch er war bei der Eintracht aufgeblüht, und wie seine Vorgänger war er nicht zu halten.
Es war eine unschöne Trennung: Der Mann, der im WM-Final 2022 kurz vor dem Ende der Verlängerung Frankreich zum Titelgewinner hätte machen können, doch am ausgestreckten Bein des argentinischen Torhüters scheiterte, quittierte angesichts des Angebots von PSG gewissermassen den Dienst: «Es ist mir egal. Findet eine Lösung», liess er verlauten. Die Lösung liess sich PSG immerhin 95 Millionen Euro Ablösesumme kosten.
Die Stürmer brachten der Eintracht viel Geld ein
Kolo Muani ist damit der einträglichste Transfer der Eintracht – teurer auch als Luka Jovic, der für 63 Millionen Euro zu Real Madrid wechselte. Oder als Sébastien Haller, der für 50 Millionen zu West Ham United ging. Oder als Ante Rebic, für den die AC Milan vergleichsweise bescheidene 6,5 Millionen bezahlte.
Die Gabe, begabte Stürmer im offenkundig leistungsfördernden Frankfurter Klima reifen zu lassen, lassen sich die Hessen also gut bezahlen. Doch jedes Mal, wenn ein Angreifer Frankfurt verlässt, überfällt die Fans Melancholie. Meist bleiben sie nicht lange sentimental, denn sobald man sich in Erinnerung ruft, was aus all den Talentierten geworden ist, fällt der Abschied leichter.
«Was lässt die Stürmer nur bei Eintracht Frankfurt glänzen?», fragte jüngst die «Frankfurter Rundschau». Die Zeitung wusste auch eine Antwort: «Es ist diese Symbiose, von der Verantwortliche und Profis bei der Eintracht oftmals sprechen.» Als Kronzeuge zitiert sie den ehemaligen Eintracht-Profi Gonçalo Paciencia, der die Frankfurter Professionalität ebenso rühmt wie den Anhang und die Lebensqualität in der Stadt. Aber kann es allein daran liegen? Oder haben die Männer, die sie die «Büffelherde» nannten, und Kolo Muani nicht doch etwas gemeinsam?
Gewiss, es ist tragisch, dass Haller nach einer Krebserkrankung bei Dortmund nie die Rolle spielte, die ihm zugedacht war. Aber das Scheitern ausserhalb Frankfurts teilen eben auch Rebic und Jovic. Letzterer galt einst als einer, der mit seiner grenzenlosen Energie Real Madrid Durchschlagskraft verleihen könnte – doch im Starensemble des Trainers Carlo Ancelotti wurde er gewogen und zu leicht befunden.
Real Madrid lieh ihn an die Eintracht aus, transferierte ihn dann nach Florenz, nun spielt er bei der AC Milan, mit bescheidenem Erfolg. Rebic zog es direkt zu Milan, wo ihm in 100 Spielen immerhin 27 Treffer gelangen. Die Italiener gaben ihn unterdessen an Besiktas Istanbul ab. Und Kolo Muani? Sitzt bei PSG häufig auf der Bank.
Vielleicht haben sie alle in Frankfurt am Limit ihrer Fähigkeiten gespielt. Und war der Schritt zu Klubs, die es gewohnt sind, um den Titel in der Champions League zu spielen, eben doch zu gross. Solche Erfahrungen könnten auch Omar Marmoush beeindruckt haben: Der Umstand, dass er die Eintracht nicht voreilig verlassen will, zeugt von kluger Karriereplanung.