Mittwoch, März 12

Neue Erdöl- und Gasvorkommen werden wohl auch künftig gefördert. Und das ausgerechnet unter einer Labour-Regierung, die sich den Klimaschutz gross auf die Fahne geschrieben hat. Die Debatte stellt eine Zerreissprobe für die Klimapolitik dar, und das nicht nur für die Labour-Partei.

Die Zukunft der Öl- und Gasproduktion in der Nordsee vor der Küste Schottlands spaltet die regierende Labour-Partei – und unterstreicht eines der zentralen Dilemmas der Energiewende. Wie viel Öl und Gas verträgt das Versprechen, netto null Emissionen zu erreichen? Die Wissenschaft hat eine ziemlich klare Antwort: wenig Erdöl, etwas mehr Erdgas und so gut wie gar keine Kohle.

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Im politischen Alltag stellt die Frage jedoch eine Zerreissprobe dar. In Grossbritannien führt das gerade zu einem Drama: Die Klimaziele kollidieren mit dem Ziel, das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen. Die Episode nimmt eine Debatte vorweg, welche die Klimapolitik zunehmend herausfordern wird: Wie fahren Länder die Nutzung und die Produktion von fossilen Brennstoffen herunter, ohne den Status quo zu überwerfen, zentrale Wählergruppen zu verprellen und Wirtschaftsinteressen zu vernachlässigen?

Neue Erdölfelder – und Emissionen

Die letzte Regierung unter dem Konservativen Rishi Sunak hatte in den Jahren 2022 und 2023 dem Rosebank- und dem Jackdaw-Projekt – unerschlossene Erdöl- und Gasfelder nahe den Shetlandinseln und der schottischen Ostküste in der Nordsee – eine Genehmigung erteilt. Die Betreiber sind das norwegische Staatsunternehmen Equinor und der britisch-niederländische Energiegigant Shell.

Die Genehmigungen wurden Ende Januar jedoch von einem schottischen Gericht wegen der zu erwartenden Emissionen einstweilig aufgehoben. Die Unternehmen müssen sich nun noch einmal bei dem zuständigen Regulator, der North Sea Transition Authority, um eine Genehmigung bemühen.

Diesmal werden die Emissionen, die durch das Verbrennen der fossilen Brennstoffe verursacht werden, infolge des Gerichtsbeschlusses mit einbezogen. Grüne Stimmen, aus den Reihen der NGO und der Labour-Partei, fordern nun, dass die Projekte nach dieser neuen Prüfung keine Lizenz mehr erhalten.

Der Richter hat sich auf die Seite der Aktivisten gestellt. «Das öffentliche Interesse am rechtmässigen Handeln der Behörden und das private Interesse der Öffentlichkeit am Klimawandel überwiegen das private Interesse der Entwickler», schrieb er. Für viele britische Umwelt-NGO steht der Streit um die Genehmigungen sinnbildlich für den Kampf gegen die fossilen Brennstoffe in Grossbritannien und darüber hinaus.

«Selbst wenn man alle Klimaargumente beiseiteschiebt, halten wir es für falsch, Öl und Gas in der Nordsee als einen Sektor zu betrachten, der langfristig Wohlstand bringt», sagte Tessa Khan von der NGO Uplift, welche die Klage gegen das Rosebank-Projekt, das grösste noch unerschlossene Ölfeld in der Nordsee, initiiert hatte. «In den letzten fünfzehn Jahren war der Sektor trotz grosszügigen Steuerregelungen und trotz Bürokratieabbau rückläufig. Diese Entwicklung ist unumkehrbar.» Die Felder seien zunehmend erschöpft, sagte sie.

Das Ende der fossilen Ära – aber bloss nicht zu schnell

In diesem Punkt hat sie recht. Die Öl- und Gasproduktion ist während der vergangenen zehn Jahre von 1600 auf 1100 Kilobarrel Öläquivalent pro Tag zurückgegangen. Die Produktion werde bis 2030 wohl auf 750 Kilobarrel Öläquivalent pro Tag weiter sinken, so Rahul Choudhary von Rystad Energy. Das Rosebank- und das Jackdaw-Projekt würden im Jahr 2030 rund 10 bis 15 Prozent der Gesamtproduktion des Landes ausmachen.

Gleichzeitig bedeutet das jedoch nicht, dass die Ära der fossilen Brennstoffe langfristig vorüber ist. Etwa ein Viertel des britischen Energiebedarfs wird laut der Regierung auch 2050 noch durch Öl und Gas gedeckt werden – und das im Szenario eines klimaneutralen Grossbritanniens. Heute beläuft sich die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen bei der Energieversorgung auf rund 72 Prozent – das ist zwar so niedrig wie noch nie, aber immer noch viel.

Dass fossile Brennstoffe weiterhin eine Rolle spielen werden, erklärt auch, warum London auf den Sektor setzt – trotz den Klimazielen. Die konservative Regierung argumentierte im Jahr 2023, als sie Hunderte neuer Lizenzen verkündete, so: Die Projekte würden die Energiesicherheit stärken, die Abhängigkeit von «feindlichen Staaten» verringern und Energiepreise senken – eine Priorität, nachdem Russland die Ukraine angegriffen hatte. Auch bei der Klimabilanz würde man punkten. So sei der CO2-Fussabdruck geringer, als wenn Flüssigerdgas aus den USA importiert würde.

Die Argumentation unterstrich vor allem das Interesse, noch so lange wie möglich von der heimischen Öl- und Gasproduktion zu profitieren. Der Sektor ist nicht nur eine Einnahmequelle für den Staat. Er ist weiterhin ein grosser Arbeitgeber. Noch dazu in Schottland konzentriert, wo es noch nicht genügend alternative Arbeitsplätze durch eine grüne Offshore-Industrie gibt. Es gelte, rund 200 000 Arbeitsplätze zu schützen, hiess es damals. Die Regierung ergreife Schritte, «um den raschen Rückgang der heimischen Öl- und Gasproduktion zu verlangsamen».

Netto-Null-Politik mit Öl und Gas

Damals griff die Labour-Partei noch die konservative Politik an. Ein Vergleich mit Regierungserklärungen von Labour zur Frage der künftigen Öl- und Gasproduktion zeigt jedoch, dass sich die Parteien heute kaum in ihren Botschaften unterscheiden. Und das, obwohl Premierminister Keir Starmer die grüne Politik seiner Partei während des Wahlkampfes hochgespielt hat, inklusive Versprechen, keine neuen Lizenzen auszuhändigen.

Denn auch bei Labour liege der Schwerpunkt darauf, «Stabilität für die Industrie zu schaffen, Investitionen zu unterstützen, Arbeitsplätze zu schützen, wirtschaftliches Wachstum zu fördern», während man seinen Klimaverpflichtungen nachkomme.

«Wir wissen, dass Öl und Gas noch viele Jahrzehnte lang eine wichtige Rolle spielen werden», sagte Starmer vergangene Woche gegenüber Sky News. Man müsse den Übergang zu sauberer Energie schaffen, sicherlich. Die Genehmigungen für das Rosebank-Projekt und das Jackdaw-Projekt durchliefen nun ein neues Verfahren, so Starmer. Er unterstrich, dass er der Entscheidung nicht vorgreifen werde. Gleichzeitig signalisierte er aber auch, dass er keinen Widerstand leisten wird: «Öl und Gas sind Teil des zukünftigen Energiemixes für die nächsten Jahrzehnte.»

Kritik aus dem grünen Umfeld

Seine Worte kamen bei grünen NGO und Klimaforschern erwartungsgemäss schlecht an. Am Montag veröffentlichte das Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment der London School of Economics einen Kommentar, in dem es die Labour-Regierung davor warnte, dem Druck nachzugeben und die Rosebank- und die Jackdaw-Felder in der Nordsee zu genehmigen.

Eine solche Entscheidung würde den Ruf Grossbritanniens als Vorreiter im Klimaschutz untergraben, schrieb der Kommunikationschef Bob Ward. Das Land war die erste grosse Volkswirtschaft, die sich 2019 verbindlich Netto-Null-Ziele gesetzt hatte (unter einer konservativen Regierung). 2021 verhandelte Grossbritannien dann im Rahmen der Weltklimakonferenz in Glasgow das erste weltweite Versprechen, um aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen.

Gleichwohl brächten neue Lizenzen viele der heraufbeschworenen Vorteile, ob niedrigere Energiepreise oder die Stärkung der Energiesicherheit, nicht, schreibt Ward vom Grantham Research Institute. Die Entscheidung sende auch noch widersprüchliche Signale zur geplanten Energiewende aus. Grüne Investitionen könnten infolgedessen nachlassen.

Die jüngste Kritik wiederholt dabei die Argumente vieler Kritiker nach der Entscheidung von 2023. Der Umweltprüfungs-Ausschuss des Parlaments schrieb schon damals, dass das Rosebank-Projekt von Equinor lokale Energiepreise nicht reduzieren würde. Bei den Reserven handele es sich schliesslich vor allem um Öl und nicht um Gas: «Und wie bei 80 Prozent des gesamten Nordseeöls wird der grösste Teil davon exportiert werden», so der Ausschuss. Auch wenn die lokale Produktion hochgefahren werde, habe man keinen Einfluss auf die internationalen Preise. Stattdessen solle die Regierung in den Ausbau grüner Energietechnologien investieren.

Diese Sicht teilte auch der ehemalige konservative Politiker Chris Skidmore. Er warf sogar infolge der Lizenzvergabe das Handtuch und zog sich aus der Regierung zurück. Er war zuvor für eine Untersuchung der Wirtschaftlichkeit von Netto-Null verantwortlich. Der Schlussbericht hielt fest, dass Investitionen in Netto-Null Arbeitsplätze und Wachstum schaffen würden.

Das Land stehe vor der Entscheidung, «in die Industrie der Zukunft zu investieren oder sich an die Industrie der Vergangenheit zu binden», schrieb Skidmore in seinem Rücktrittsschreiben. Niemand habe je behauptet, dass es gar kein Öl und Gas brauchen werde, «aber die Erschliessung neuer Quellen für fossile Brennstoffe wird nichts zu unserer Energiesicherheit beitragen».

Knapp zwei Jahre später zeigt sich, dass es politisch noch immer zu heikel ist, vorwiegend auf die grünen Zukunftsmärkte zu setzen. Kurzfristig garantieren sie nicht das Wachstum und die Arbeitsplätze, die Politiker wie Keir Starmer händeringend brauchen, um die Wähler bei der Stange zu halten – unabhängig von der vagen Zustimmung der Bevölkerung für den Klimaschutz. Umfragen zeigen immer wieder, dass die Menschen zwar im Prinzip für Klimaauflagen sind, aber nicht, wenn es sie etwas kostet. So gehen auch Analysten und die Unternehmen davon aus, dass die Rosebank- und die Jackdaw-Felder in den kommenden Jahren ihre Produktion aufnehmen werden.

Innerhalb der Labour-Partei rumore es derweil, heisst es aus London. Keir Starmer werde sich wohl einen Kampf mit dem Umweltflügel seiner Partei liefern müssen. Denn auf kurze bis mittlere Sicht ist eines klar: Für machtbewusste Politiker übertrumpft das Wirtschaftswachstum das Klima.

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