Die Sicherheitslage in Haiti ist katastrophal, weite Teile des Landes sind der Kontrolle der Regierung entglitten. In der Bevölkerung herrschen jedoch Zweifel am Erfolg der multinationalen Mission.
Insgesamt 400 kenyanische Polizisten sind seit Ende Juni in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince angekommen. In den vergangenen Tagen haben sie im Stadtzentrum gemeinsame Patrouillen mit der örtlichen Polizei aufgenommen.
Der Uno-Sicherheitsrat hatte dem Einsatz der multinationalen Eingreiftruppe unter der Leitung Kenyas bereits im Oktober 2023 zugestimmt. Das ostafrikanische Land will insgesamt 1000 Polizisten stellen, weitere 1500 sollen aus karibischen Ländern kommen. Allerdings hatte der Rücktritt von Haitis Premierminister Ariel Henry im März den Start der Mission verzögert. Erst nachdem Ende April ein Übergangsrat die Regierung übernommen hatte, konkretisierte sich die Polizeimission.
Gangs terrorisieren das Land
Haiti leidet seit Jahren unter der Gewalt krimineller Banden. Sie leben von Lösegelderpressungen sowie dem Schwarzmarkthandel mit Lebensmitteln und Treibstoffen. Inzwischen kontrollieren sie rund 80 Prozent der Hauptstadt und Teile des Südens von Haiti. Experten schätzen, dass die Banden rund 12 000 Mann unter Waffen haben.
Der staatliche Sicherheitsapparat hat ihnen wenig entgegenzusetzen. Von den offiziell 9000 Polizisten sollen viele den Dienst quittiert haben. Haitis Militär ist derweil nur einige hundert Mann stark; die Soldaten sind den mit modernsten Waffen ausgestatteten Gangs hoffnungslos unterlegen.
Die Eingreiftruppe hat von der Uno den Auftrag, kritische Infrastruktur sowie wichtige Verkehrspunkte wie Flug- und Seehäfen zu schützen. Zudem soll die Versorgung der notleidenden Bevölkerung gesichert werden. Laut dem Welternährungsprogramm der Uno ist rund die Hälfte der 11,7 Millionen Einwohner von Hunger bedroht, bei 1,8 Millionen Haitianern sei die Lage kritisch. Ausserdem sind rund 578 000 Menschen vor den Kämpfen zwischen rivalisierenden Banden aus ihren Wohnvierteln geflohen.
Die Uno-gestützte Mission hat vorerst ein Mandat für ein Jahr. Nach neun Monaten soll über eine eventuelle Verlängerung entschieden werden. Vom Erfolg der Mission hängt ab, ob die vom Übergangsrat für 2025 geplanten Wahlen abgehalten werden können. Angesichts der Gewalt war die ursprünglich für 2019 angesetzte Parlamentswahl sowie die für 2021 geplante Präsidentenwahl mehrfach verschoben worden. In Haiti gibt es derzeit keine vom Volk gewählten Repräsentanten an der Staatsspitze.
Zweifel in der Bevölkerung
Die öffentliche Meinung in Haiti gegenüber der internationalen Einsatztruppe ist gespalten. Seit 1993 hat die Uno bereits sieben Entsendungen ausländischer Kräfte zur Stabilisierung des Staates genehmigt, die allesamt erfolglos blieben. Die der gegenwärtigen vorangegangene Mission, die Minustah von 2004 bis 2017, war von Skandalen um sexuellen Missbrauch durch Uno-Soldaten geprägt, die zudem die Cholera eingeschleppt hatten, an der rund 10 000 Menschen starben.
Die kenyanische Regierung versucht sich mit der Mission als nützlicher Verbündeter des Westens zu geben. In der kenyanischen Bevölkerung ist der Einsatz dagegen unbeliebt. In Haitis Medien wird zudem die Frage aufgeworfen, ob Kenya angesichts der eigenen angespannten Sicherheitslage überhaupt das volle Kontingent an Polizisten entsenden werde. Seit Wochen protestieren junge Kenyaner gegen die Regierung, vor allem gegen Korruption. Dass die Polizei die dortigen Proteste brutal niedergeschlagen und dabei Dutzende Menschen getötet hat, sät in der haitianischen Bevölkerung weitere Zweifel an der Mission der kenyanischen Polizisten in ihrem Land.
Überhaupt empfinden viele Haitianer die ausländischen Kräfte als Besetzer im Dienst westlicher Staaten wie Frankreichs, Kanadas, der USA. Dieses Narrativ verbreiten auch die Gangs, die der Polizeitruppe mit einem Blutbad drohen. Solange man ihnen keinen Sitz im Übergangsrat zugestehe, werde man weiterkämpfen. Die in der Übergangsregierung vertretenen Parteien lehnen eine Beteiligung der Gangs ab.
Bis anhin scheinen die Kenyaner Respekt vor den Gangs zu haben und beschränken ihre Patrouillen auf sichere Gebiete. Den von ihnen verbreiteten Berichten, sie hätten an Kämpfen am Hafen und in einem Spital teilgenommen, widersprachen haitianische Polizisten. Man habe dort ohne die Kenyaner gekämpft, versichern diese.
Sicherheitsexperten sind ohnehin der Meinung, dass die haitianischen Gangs nur vor einer von den USA geführten Eingreiftruppe Respekt hätten. Doch Washington hatte von Anfang an klargestellt, sich lediglich finanziell engagieren zu wollen. So sollen 300 Millionen Dollar für die Finanzierung der Mission bereitgestellt werden. Anfang dieser Woche sagte die Biden-Administration zudem 60 Millionen Dollar zu für humanitäre Hilfe sowie die Bereitstellung von gepanzerten Fahrzeugen für die Eingreiftruppe.
Letzte Chance für das krisengeschüttelte Land?
Trotz den Problemen gebe es zu dem anlaufenden Einsatz keine Alternative, sagt Olivier David, der den Einsatz der Schweizer Hilfsorganisation Helvetas in Haiti leitet. Die Entsendung der internationalen Truppe sei so etwas wie die letzte Chance für die haitianische Bevölkerung, sagt David in einem Telefongespräch.
Angesichts der hoffnungslosen Lage versuchen besonders junge Haitianerinnen und Haitianer, das Land in die benachbarte Dominikanische Republik und in Richtung USA zu verlassen. Helvetas stelle sich diesem Trend durch die Ausbildung von Jugendlichen in Handwerksberufen entgegen. So möchte die Hilfsorganisation auch verhindern, dass sich jeder Hoffnung beraubte Jugendliche den Gangs anschliessen, erläutert David.

