Samstag, Oktober 5

Der renommierte Schweizer Künstler und Fotograf gehörte zu den Wegbereitern einer neuen konzeptuellen fotografischen Kunst, die Forschung, Wissenschaft und drängende Fragen der Gegenwart miteinander verknüpften. Nun ist Hans Danuser im Alter von 71 Jahren gestorben.

Es war an einem nebligen Herbsttag. Da schälte sich ein weisshaariger, bärtiger Mann aus dem Geäst des Waldes und stand vor mir. Hans Danuser sammelte zusammen mit seiner Frau Pilze. Die Säcke waren prall gefüllt. Auf meine Frage, ob es denn hier im Zürichbergwald so viele Pilze gebe, meinte er mit seinem schelmischen Lachen: «Ja, aber um sie zu finden, braucht es Geduld und einen speziellen Blick.» Sowohl die innere Ruhe wie die ständige Aufmerksamkeit waren Eigenschaften, die Hans Danuser nicht nur beim Pilzesammeln, sondern auch als Künstler zugutekamen.

Schon früh erkannte er in der Fotografie sein Medium, gleichsam sein Forschungsinstrument. Der 1953 in Chur Geborene absolvierte kein Kunststudium, sondern machte bei einem Werbefotografen eine Lehre. Rückblickend war er stets für die praktischen Erfahrungen dankbar. Als prägend erwähnte er auch gerne die Besuche bei seinem Patenonkel, dem Redaktor des Churer Blattes «Freier Rätier», der noch mit einer Bleisatzdruckerei arbeitete und diese «schwarze Kunst» nannte.

Die Nähe zur heutigen Wissenschaft, die ihn in die Forschungslabors der ETH oder in unterirdische Gänge von Spitälern und von Atomkraftwerken führte, ging einher mit der Begeisterung für das Experimentieren und Tüfteln mit den technischen Möglichkeiten der Fotografie. Sein Atelier im Zürcher Kreis 6 glich denn auch eher einem Chemielabor als einem behaglichen Studio.

Nie liess es sich Danuser nehmen, seine Fotografien selbst zu entwickeln und zu bearbeiten. So erfand er in den 1990er Jahren das Verfahren der Matografie, bei dem Ölfarbe unter Silbergelatine auf Barytpapier aufgetragen wird und neuartige Farbbilder entstehen. Erst spät öffnete sich Danuser auch der digitalen Bildherstellung.

Rätselhaft bedeutungsoffen

Die empirischen Erkenntnisse waren aber nie blosser Selbstzweck. Sie dienten der adäquaten Umsetzung von Danusers Vorstellungen und Gedanken. Sein tiefes Wissen um alchemistische Vorgänge liess sich aber letztlich nie vollständig in Wort und Bild fassen. Und so bleiben seine Fotoarbeiten stets Annäherungen, Möglichkeiten, die zu unerwartet neuen Ausdrucksformen führten.

Gerade dadurch, dass er seine Eindrücke und Einsichten – etwa in die embryonale Forschung – nicht abbildend verarbeitete, sondern sie im geheimnisvollen Bereich der Hell-Dunkel-Zonen beliess, machen seine Bilder so magisch und rätselhaft wie auch bedeutungsoffen. Oder wie es der ETH-Professor Gerd Folkers einmal mit Blick auf Danusers Werkprozess formulierte: Im Unterschied zum Naturwissenschafter «benennt der künstlerisch tätige Mensch seine Hervorbringungen zu einem extrem späten Zeitpunkt, weil er noch nicht weiss, was das ist, was da vor ihm entsteht».

«Alles ist gleich wichtig»

In einer aufsehenerregenden Ausstellung im Bündner Kunstmuseum Chur von 2017 hängte der Künstler seine Fotoarbeiten nicht etwa an die Wand, er legte sie auf dem Boden aus und setzte die Fototafeln damit als installative Raumelemente ein. Die Besucher bewegten sich zwischen ihnen und gewannen immer wieder neue Ansichten vom Schiefergestein, das auf den Bildplatten zu sehen war, von dessen Verwerfungen und Schrunden, von dessen matten dunklen Einbuchtungen und den hellen, erhabenen, narbigen Partien.

Danuser konfrontierte die auf dem Boden liegenden Werke gleichwohl mit Fotoarbeiten an der Wand. Diese zeigten nichts anderes als Wüstensand, Dünen, die sich unter der Einwirkung des Windes beständig verändern und für Momente eine feste Form annehmen, um sich im nächsten Augenblick wieder umzuschichten: eine Welt in Veränderung, eine Landschaft in Bewegung, eine instabile Welt der Erosion.

Beim Abschreiten der Fotoserie wurde auch das Sehen der Betrachter in Bewegung versetzt und machte das einzelne Werk als Augenblick erfahrbar, der im Kontext der Serie zur Dauer wurde. Das Faszinosum des Mediums Fotografie lag für Danuser in dieser einzigartigen Möglichkeit, einen Moment aus dem Fluss der Zeit als zeitlos herauszuschälen und ihn dann wieder in den Strom der ständigen Veränderung zu entlassen.

Hans Danuser war überzeugt: «Alles ist gleich wichtig», das Sandkorn, der Wüstensand und die Schiefersteine, der Berg, der Mensch und die Pilze auf dem Waldboden. Nun ist er im Alter von 71 Jahren völlig unerwartet gestorben.

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