Dienstag, März 18

Von der Regierung handverlesene Richter befinden 14 Demokratieaktivisten des versuchten Umsturzes für schuldig. Nur zwei der Angeklagten werden freigesprochen.

Schon kurz nach Sonnenaufgang am Donnerstag haben sich fast hundert Hongkonger vor dem Gericht im Stadtteil West Kowloon versammelt. Einige sitzen auf Klappstühlen, andere auf Plastikmatten. Es sind Studenten, Rentner, auch Hausfrauen. Sie alle wollen dabei sein, wenn der vorsitzende Richter später die Urteile gegen sechzehn Demokratieaktivisten verkünden wird.

Das Polizeiaufgebot vor dem Gerichtsgebäude ist gross, wohl auch weil die Liga der Sozialdemokraten einen Protest angekündigt hat. Ein gepanzertes Fahrzeug fährt auf der vierspurigen Strasse vor dem Gerichtsgebäude auf und ab. Später wird tatsächlich eine Handvoll Mitglieder der Gruppierung protestieren – die Polizei nimmt sie fest.

Grund für den grossen Andrang und die scharfen Sicherheitsvorkehrungen vor dem Gericht sind die zu erwartenden Urteilssprüche gegen 16 Hongkonger Demokratieaktivisten. Ihnen und 31 weiteren Angeklagten, die sich bereits schuldig bekannt haben, wirft die Staatsanwaltschaft versuchten Umsturz vor. Sie wurden weltweit als «Hongkong 47» bekannt.

Festgenommen wegen einer Vorwahl

Die 47 Aktivisten haben im Juni 2020 inoffizielle Vorwahlen des prodemokratischen Lagers für die Wahlen zum Hongkonger Parlament organisiert. Über eine halbe Million Hongkonger nahm Anfang Juli daran teil. Solche Vorwahlen waren auch bei früheren Parlamentswahlen üblich gewesen.

Doch am 30. Juni hatte Peking für Hongkong ein Gesetz für die nationale Sicherheit verabschiedet. Tatbestände des Gesetzes wie Landesverrat, Verschwörung oder Terrorismus sind äusserst vage formuliert. Sie lassen den Richtern breiten Raum für Auslegungen, ganz so, wie es in China üblich ist.

Das Gesetz bedeutet einen stückweisen Verlust an Rechtsstaatlichkeit in der früheren britischen Kolonie. Seit der Implementierung wurden laut der Hongkonger Polizei knapp 300 Aktivisten, Journalisten und ehemalige Politiker festgenommen.

So auch die Gruppe «Hongkong 47». Im Januar 2021 wurden die Aktivisten – ein ehemaliger Journalist, frühere Parlamentsabgeordnete sowie ehemalige lokale Volksvertreter – festgenommen. Seither befinden sich die meisten von ihnen in Untersuchungshaft.

Die Angeklagten hätten geplant, mit einer möglichen Mehrheit im Legislativrat wichtige Gesetze, unter anderem zum Haushalt Hongkongs, zu blockieren, lautet der Vorwurf der Staatsanwälte. Dies mit dem Ziel, die damalige Regierungschefin, Carrie Lam, zum Rücktritt zu zwingen.

Unter dem Gesetz für nationale Sicherheit reicht offenbar eine Vorwahl für eine Anklage wegen Umsturzversuches.

Angehörige winken den Angeklagten zu

Kurz vor zehn Uhr führen Sicherheitskräfte die sechzehn Angeklagten in den Gerichtssaal. Hinter einer langen Glasscheibe werden sie, bewacht von Uniformierten, die Sitzung verfolgen. Im hinteren Teil des Gerichtssaals sitzen Angehörige der Demokratieaktivisten. Sie winken den Angeklagten zu.

Wenig später eröffnet der Richter die Sitzung, und er kommt schnell zur Sache. Vierzehn der sechzehn Angeklagten, die auf unschuldig plädiert hatten, befinde das Gericht für schuldig.

Die Urteilsbegründung wird nicht verlesen, sondern lediglich als Papier an die Medien verteilt. Die Angeklagten hätten sich zu einer Verschwörung zusammengetan, um die «Staatsmacht zu stürzen», heisst es in dem Dokument. Sie hätten, wären sie 2021 in den Legislativrat gewählt worden, «angestrebt», Gesetze zum Haushalt der Stadt, «ganz gleich welchen Inhalts», zu blockieren, nur um die Regierungschefin zu stürzen.

Im schlimmsten Fall lebenslange Haftstrafe

Die vierzehn für schuldig befundenen Angeklagten werden gleich nach der Urteilsverkündung in Gewahrsam genommen. Ihnen drohen mindestens zehn Jahre, im schlimmsten Fall eine lebenslange Haftstrafe. Das Strafmass will das Gericht in einigen Monaten bekanntgeben.

Der Richter spricht zwei der Angeklagten frei. Es sind die ersten Freisprüche bei einem Hongkonger Gerichtsverfahren, das auf der Grundlage des von Peking eingeführten Gesetzes zur nationalen Sicherheit stattfand.

Einer der Freigesprochenen ist der Rechtsanwalt Laurence Lau. Während der Mittagspause der Sitzung steht er, in Nadelstreifen und pinkfarbene Krawatte gekleidet, vor dem Gerichtsgebäude. Er sei allen dankbar, die «grosse Herzen und ihre Sorgen» zum Ausdruck gebracht hätten, sagt Lau, «allerdings gibt es noch andere Angeklagte, die jetzt unsere Sorgen, ja sogar Liebe verdienen». Lau hatte sich während der 118 Verhandlungstage selbst verteidigt.

In der Begründung für den Freispruch Laus erklärte der Richter, Lau hätte zu keinem Zeitpunkt die Absicht zum Ausdruck gebracht, Haushaltsgesetze zu blockieren. Auch Laus persönlicher Assistent, fügte der Richter hinzu, habe nie von derartigen Absichten gesprochen.

Mit der Familie essen gehen

Auch Lee Yue-shun wurde freigesprochen. Er war nach der Urteilsverkündung sichtlich erleichtert. «Ich danke allen für die Unterstützung während der vergangenen Jahre», sagte Lee, «wir haben die Liebe von allen gespürt.» Jetzt wolle er mit seiner Familie essen gehen, «denn ich habe sie lange nicht mehr gesehen».

Doch endgültige Sicherheit gibt es für die beiden Freigesprochenen Lau und Lee noch nicht. Gegen ihre Freisprüche kann in nächster Instanz Einspruch eingelegt werden.

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