Mittwoch, Januar 15

Ein neuer Bericht zeigt: Chinesische Eltern geben für ihre Kinder in relativen Zahlen dreimal so viel aus wie französische. Die hohen Kosten verschärfen die Geburtenkrise.

China gehört zu den teuersten Orten der Welt für Familien. Ein Kind bis zu seinem 18. Lebensjahr grosszuziehen, kostet in China etwa dreimal so viel wie in Frankreich oder Australien und ein Drittel mehr als in Japan oder den USA, wenn man die Kosten ins Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt pro Kopf setzt. Weltweit ist es nur noch in Südkorea teurer, Kinder aufzuziehen. Das hat das Institut für Bevölkerungsforschung Yuwa in Peking für einen jährlichen Bericht berechnet, der vergangene Woche vorgestellt wurde.

Die hohen Kinderkosten sind ein Grund dafür, dass die Bevölkerung in China seit 2022 schrumpft, vergangenes Jahr um eine halbe Million Menschen. Die Geburtenrate sinkt nämlich seit Jahren stetig. Sie lag 2021 bei 1,15 Kindern pro Frau und tendiert nun gegen 1. Damit gehört China zu den Ländern mit den tiefsten Geburtenraten weltweit.

Geburtenrate ausgewählter Länder

im Jahr 2021

Bereits vor der Geburt müssen Eltern in China wichtige Finanzentscheide fällen. Obwohl die Krankenversicherung die Untersuchungskosten für Schwangere in öffentlichen Spitälern und die Geburtskosten deckt, entscheiden sich Frauen, die es sich leisten können, für eine private Klinik. In öffentlichen Spitälern mangelt es an Ärzten und Pflegepersonal. Man muss viele Stunden mit Warten verbringen, das ist mit viel Stress und Arbeitsabsenzen verbunden. In Privatkliniken kosten sogenannte Geburtspakete bis zu 16 000 Dollar.

Chinesinnen wollen Milchpulver von Nestlé

In China ist es zudem üblich, dass die Mutter das Wochenbett strikt einhält, um negativen Spätfolgen für ihre Gesundheit vorzubeugen. Die Tradition schreibt vor, dass die Frau im ersten Monat nach der Geburt das Bett kaum verlassen, sich stets warm halten und nahrhafte Mahlzeiten zu sich nehmen soll. Wer es sich leisten kann, holt sich für diese vier Wochen eine spezialisierte Hebamme ins Haus, die sich sowohl ums Neugeborene kümmert wie auch kocht und die Wöchnerin pflegt. Sie verlangt einen Lohn von zirka 2000 Dollar.

Unter den gutverdienenden Städtern ist in den letzten Jahren eine noch viel exklusivere Nachgeburtspflege beliebt geworden: die Wochenbett-Reha. Frauen verbringen in diesen Mutter-und-Kind-Hotels den ersten Monat nach der Geburt. Diese Aufenthalte gibt es ab 18 000 Dollar aufwärts.

Ein Baby aufzuziehen, kostet in China also von Beginn weg viel. Auch deshalb, weil importierte Babyprodukte in China so teuer sind – aber äusserst begehrt. Eine Packung Pampers kostet in China ungefähr gleich viel wie in Deutschland oder der Schweiz, während der Durchschnittslohn lediglich zirka 1400 Dollar im Monat beträgt.

Viele Chinesinnen und Chinesen kaufen ausserdem Milchpulver von Nestlé oder Danone. Das Vertrauen in ausländische Marken ist höher – aber sie sind teurer als die chinesischen Alternativen. Im Jahr 2008 gab es in China einen grossen Aufschrei, als bekanntwurde, dass eine bekannte Firma für Säuglingsnahrung dem Pulver ein chemisches Mittel zusetzte, das Tausende von Babys krank machte und einige tötete. Die Verantwortlichen erhielten die Todesstrafe. Die Milchpulverindustrie in China leidet bis heute unter dem Skandal.

Kindergärten sind teurer als Universitäten

Die höchsten Kosten im Leben des chinesischen Nachwuchses folgen aber erst später. Sie fallen für Betreuung und Ausbildung an. Kindergärten beginnen in China in der Regel ab drei Jahren. Vorher sorgt oft eine Kinderfrau für die Kleinkinder, sofern keine Verwandten zur Verfügung stehen. Eine Kinderfrau verlangt 1000 bis 1500 Dollar monatlich.

Kindergärten sind in China knapp, obwohl die Regierung nach dem Ende der staatlichen Einkindpolitik (1979–2016) zusätzliche Kindergärten bauen liess und Subventionen einführte. Der Andrang auf öffentliche Kindergärten, die um die 130 Dollar monatlich kosten, ist hoch. In der Regel gibt es ein aufwendiges Bewerbungsverfahren. Private Kindergärten kosten bis zu viermal so viel.

Öffentliche Schulen und Universitäten sind zwar kostenlos oder stark subventioniert. Die Qualität schwankt jedoch stark. Wer sein Kind auf eine der besten Schulen schicken möchte, muss vorweisen können, dass er im selben Quartier wohnt. In den Wohngebieten rund um die guten Schulen, wie zum Beispiel im Stadtteil Haidian in Peking, sind die Quadratmeterpreise deshalb in die Höhe geschossen. Sie liegen mittlerweile ungefähr gleichauf mit dem Durchschnittspreis pro Quadratmeter im Kanton Zürich von mehr als 10 000 Franken.

Dazu kommt, dass fast jedes Kind in China ausserschulischen Nachhilfeunterricht in Englisch, Physik oder Mathematik und Kurse wie Kalligrafie, Tuschmalerei oder Philosophie besucht. Dieser privaten Bildungsindustrie hat der Partei- und Staatschef Xi Jinping 2021 den Kampf angesagt, um den Kostendruck auf die Eltern zu senken. Doch sie blüht weiterhin, weil die darunterliegende gesellschaftliche Dynamik fortbesteht: der grosse Konkurrenzkampf unter den Kindern um die begrenzten Plätze an den guten Schulen und Universitäten. Nur wer in den Prüfungen zu den Jahrgangsbesten gehört, darf sich Chancen ausrechnen.

Experten fordern mehr staatliche Unterstützung

Wie viel kostet denn nun ein Kind in China? Bis zum Alter von 18 Jahren geben Eltern durchschnittlich 94 000 Dollar aus, wie die Demografen und Ökonomen bei Yuwa ausgerechnet haben. In Deutschland rechnet man mit zirka 130 000 Euro, in der Schweiz mit 330 000 Franken. Besonders hart treffen die hohen Kinderkosten in China jene, die sowieso schon wenig haben: Eine Familie mit einem Jahreseinkommen unter 7000 Dollar gibt laut der Shanghai Academy of Social Sciences über 70 Prozent des Einkommens für die Ausbildung des Nachwuchses aus.

Dazu kommt, dass Chinesinnen, nachdem sie Mutter geworden sind, durchschnittlich 12 bis 17 Prozent weniger Lohn erhalten, wie der Bericht der Denkfabrik Yuwa festhält. Sie müssen mit umgerechnet knapp 9000 Dollar Lohneinbussen rechnen, bis der Nachwuchs vierjährig ist. In China erhalten die Frauen 14 Wochen Mutterschaftsurlaub, manche Provinzen gewähren bis zu 27 Wochen. Väter erhalten zwei bis vier Wochen.

Seit letztem Jahr sprechen einzelne Provinzen Familien mit zwei und mehr Kindern ein einmaliges Kindergeld. Kritiker sagen, das sei noch viel zu wenig, um Chinas Geburtenkrise zu lösen. Die Experten der Yuwa-Denkfabrik mahnen, dass die Zeit dränge, und verlangen, dass der Staat mehr Geld zur Geburtenförderung in die Hand nehme. Sie fordern landesweite Fördermassnahmen wie steuerliche Vorteile, flexible Arbeitsmodelle oder gleich lange Urlaube für Väter.

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