Freitag, Oktober 25

Belgrad wirft Pristina vor, die serbische Minderheit mittels Schikane ausser Landes zu treiben. Tatsächlich schrumpft die serbische Bevölkerung stark. Die Gründe hierfür sind allerdings komplex.

Als der serbische Präsident Aleksandar Vucic vor zwei Wochen vor dem Uno-Sicherheitsrat auftrat, um über die Situation in Kosovo zu sprechen, wählte er drastische Worte. Die Führung in Pristina übe seit Jahren systematisch strukturelle Gewalt gegen die serbische Minderheit aus, um ihr das Leben unmöglich zu machen. Das «Verbot des serbischen Dinar», wie Vucic es nannte, sei dafür das jüngste Beispiel.

Laut einer neuen Regelung der kosovarischen Zentralbank ist der Euro das einzige legale Zahlungsmittel des Landes. Fremdwährungen müssen auf regulärem Weg eingeführt werden. In den serbisch besiedelten Gebieten des Landes diente der serbische Dinar bisher als inoffizielle Parallelwährung. Serbische Banken betrieben Filialen in Kosovo, über welche die Angehörigen der Minderheit Unterstützungszahlungen aus Belgrad erhielten.

Serbien erkennt auch 16 Jahre nach der Unabhängigkeit Kosovos die Eigenstaatlichkeit der einstigen Provinz nicht an und unterhält Parallelstrukturen für die Region. Der Regierung in Pristina ist das ein Dorn im Auge. Der ebenfalls bei der Sitzung des Sicherheitsrats anwesende Regierungschef Kosovos, Albin Kurti, bezeichnete den Vorwurf der ethnischen Säuberung schlicht als Lüge.

Dramatischer Bevölkerungsrückgang

Belgrad spricht mit Blick auf Kosovo schon länger von einer «Politik der gewaltlosen Vertreibung» und deutet seine Bereitschaft an einzugreifen, falls niemand anders die Serben in der Region schützt.

Ein solches Szenario ist zwar unwahrscheinlich, da es zu einem offenen Konflikt mit den Nato-Truppen in Kosovo führen würde. Als reines Säbelrasseln werden die Drohungen, die an Putins Aussagen zur Situation der russischen Bevölkerung im Donbass am Vorabend des Überfalls auf die Ukraine erinnern, dennoch nicht abgetan. Seit dem Angriff serbischer Milizen auf die kosovarische Polizei im September in der Ortschaft Banjska gilt das erst recht.

Vor dem Hintergrund dieser Debatte hat die Denkfabrik European Stability Initiative (ESI) die demografische Entwicklung der Serben in Kosovo analysiert. Auf den ersten Blick scheint das Ergebnis der Studie die Belgrader Thesen zur Vertreibung der Serben durchaus zu stützen. Der am Montag veröffentlichte Bericht zeigt einen dramatischen Rückgang der serbischen Bevölkerung in Kosovo auf.

Zum Zeitpunkt der letzten jugoslawischen Volkszählung 1991 lebten 194 000 Serben in Kosovo. Noch im Jahr 2002 waren es 129 000. Heute dagegen sind es maximal 100 000. Angesichts der schwierigen Datenlage stützt sich ESI unter anderem auf die offiziellen Statistiken zur Schülerzahl an serbischen Schulen in Kosovo. Diese ist zwischen 2004 und heute von 14 368 auf 10 700 zurückgegangen. Anhand der Altersstruktur der serbischen Bevölkerung in Kosovo lässt sich so die Gesamtbevölkerung extrapolieren.

Eine Folge von Pristinas Politik?

Ein Bevölkerungsschwund in zwei Jahrzehnten von 22 Prozent – und bei Schulkindern von sogar 26 Prozent – ist dramatisch und wirft Fragen zur Zukunft der Minderheit auf. Ein Beleg für die Diskriminierung der Serben in Kosovo ist das laut den Autoren der Studie mit dem Titel «Erfundene Pogrome» aber nicht. Denn in Serbien selber ist der Trend fast genauso ungünstig.

Die Einwohnerzahl des Landes ist zwischen 2002 und 2022 um mehr als 11 Prozent geschrumpft. In 8 von 25 Bezirken ist der Rückgang sogar grösser als jener der Serben in Kosovo. Gewachsen ist die Bevölkerung lediglich in drei Bezirken, vor allem in den beiden Grossstädten Belgrad und Novi Sad. Noch dramatischer ist die Entwicklung bei den Schülerzahlen, die sich in einigen serbischen Bezirken in den letzten zwei Jahrzehnten fast halbiert haben.

Damit ist Serbien kein Einzelfall. Überall in Südosteuropa schrumpft die Bevölkerung wegen Abwanderung und tiefer Geburtenzahlen. Besonders die junge Bevölkerung nimmt stark ab. Während die dynamischen Hauptstädte von Binnenmigration profitieren, ist die Situation in der strukturschwachen Peripherie oftmals dramatisch. Dazu gehören auch die serbisch besiedelten Gebiete in Kosovo.

Eine Ausnahme bildet einzig die albanische Mehrheitsbevölkerung Kosovos. Dank hohen Geburtenzahlen bleibt die Einwohnerzahl trotz starker Abwanderung stabil.

Der ungelöste Konflikt fördert die Perspektivlosigkeit

Dies heisst nicht, dass die ungelöste Statusfrage und die damit einhergehende latente Instabilität im Norden Kosovos nicht zur Abwanderung der Serben beiträgt. Die gestiegenen Spannungen der letzten Zeit, für die Pristina mitverantwortlich ist, könnten die Abwanderung in der Zukunft noch verstärken. Den Entscheid, die Heimat zu verlassen, fällt man nicht über Nacht.

Richtig ist aber auch, wie die Autoren der Studie schreiben, dass die Rhetorik von erfundenen Pogromen und drohender Gewalt den Trend zur Abwanderung eher beschleunigen. Um diesen Trend umzukehren, braucht die Bevölkerung eine wirtschaftliche und politische Perspektive, keine ungelösten Konflikte.

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