Diese Woche haben sich bewaffnete Gruppen in der libyschen Hauptstadt Tripolis schwere Kämpfe geliefert. Eine Ausweitung des Konflikts könnte internationale Implikationen haben. Worum geht es?

Nach mehreren Tagen schwerer Kämpfe herrscht in der libyschen Hauptstadt seit Freitagmorgen eine angespannte Ruhe. Die sogenannte Rada-Miliz hat sich mit ihren Radpanzern und Flugabwehrgeschützen in ihren Stützpunkt am Flughafen von Tripolis zurückgezogen, wo zum ersten Mal seit einer Woche wieder zivile Maschinen landeten.

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Die vom Salafisten Abdul Rauf Kara angeführte Rada-Miliz steht unter dem Namen «Stabilisierungsgruppe» zwar auf der Lohnliste der international anerkannten Regierung von Ministerpräsident Abdulhamid al-Dbaiba, die in Westlibyen das Sagen hat. Doch die vergangenen Tage haben gezeigt, wie fragil die Lage in der libyschen Hauptstadt ist, wo seit dem Sturz des Diktators Muammar al-Ghadhafi ein Kartell von Milizen die Macht unter sich aufgeteilt hat. Wie ist es zur jüngsten Eskalation gekommen?

Panzer auf den Strassen

Am Montag war Abdel Ghani al-Kikli, der Anführer der grössten Miliz der Stadt, in einer Kaserne erschossen worden, wo er mit der rivalisierenden Miliz Brigade 444 über die Niederlegung der Waffen verhandelt hatte. Zwar wurden auch Kikli und seine Miliz namens «Stabilitäts-Unterstützungs-Apparat» vom Innenministerium bezahlt. Doch Kikli hatte die Regierung herausgefordert, indem er den Vorstandsposten des staatlichen Telekommunikationsriesen LPTIC eigenmächtig neu besetzt hatte. Es ist eine Masche, die viele Milizen in Tripolis reich gemacht hat: Sie schleusen ihre Kommandanten in staatliche Firmen und leiten Gelder auf ihre Konten um.

Minuten nach Kiklis Erschiessung stürmte die Brigade 444, die Ministerpräsident Dbaiba nahesteht, mit Radpanzern die Kasernen der Miliz. Kiklis Kämpfer ergriffen die Flucht. Wenig später trat Dbaiba vor die Kameras und forderte alle bewaffneten Gruppen auf, sich aufzulösen und sich dem Innenministerium zu unterstellen. Aus dem überraschend schnellen Sieg folgerte der Ministerpräsident, nun auch die Rada-Miliz von Abdul Rauf Kara besiegen und der Herrschaft der bewaffneten Gruppen ein Ende setzen zu können.

In der Folge versuchte die Brigade 444 am Dienstag, auch die Stellungen von Karas Miliz einzunehmen. Dabei kam es jedoch zu schweren Kämpfen, Panzer rollten durch die Strassen. Ärzte aus den besonders umkämpften Stadtteilen Abu Slim und Suk al-Juma schätzen gegenüber der NZZ, dass es mindestens 75 Tote und über 130 Verletzte gab. Offizielle Opferzahlen gibt es nicht.

Dbaibas Einheiten verloren diese zweite Schlacht am Dienstag. Und: Über Nacht schmiedeten ehemals verfeindete Milizen eine neue Allianz gegen den Ministerpräsidenten. Sie präsentieren sich nun als Vorkämpfer gegen die korrupte politische Elite rund um Dbaiba. Seine Kritiker machen den Geschäftsmann und Multimillionär aus der Hafenstadt Misrata für die grassierende Korruption in Westlibyen verantwortlich. Doch auch sie schauen mit Sorge auf seinen möglichen Sturz. Denn eine ernsthafte politische Alternative gibt es derzeit nicht. Zahlreiche Vertreter der Opposition sind in den letzten Jahren in den Gefängnissen der Milizen verschwunden oder geflohen.

Dem ostlibyschen Herrscher käme ein Vakuum gelegen

Nun wächst erneut die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg in Libyen, der internationale Implikationen haben könnte. Dbaiba wird von der Türkei unterstützt. Ankara hatte 2019 und 2020 mit massiver Militärhilfe dafür gesorgt, dass Tripolis und Misrata nicht an den in Ost- und Südlibyen herrschenden Feldmarschall Khalifa Haftar fielen, der von Russland unterstützt wird. Im Gegenzug für die türkische Hilfe unterstützt die Zentralbank des wohl ölreichsten Landes Afrikas die Regierung von Recep Tayyip Erdogan mit diversen Krediten.

Gegenüber der NZZ haben gut informierte Offiziere angegeben, dass am Mittwoch türkische Militärflugzeuge mit Waffen in Misrata gelandet seien. Laut ihnen sind mehrere Konvois aus der Handelsstadt auf dem Weg nach Tripolis, um Dbaiba im Kampf gegen die Milizen zu helfen.

Khalifa Haftar, der gerade von einer einwöchigen Reise aus Moskau zurückgekehrt ist, käme ein Machtvakuum in Tripolis derweil gelegen. Seit Dienstag fliegen Iljuschin-76-Militärtransporter seiner Libyschen Nationalarmee Militärgeräte aus dem Osten des Landes ins zentrallibysche Sirte. Haftar könnte sich der Anti-Dbaiba-Allianz anschliessen – oder aber mit ihm gemeinsame Sache machen.

Viele Libyer sind völlig ratlos, wie es nun weitergehen soll. Von ihrer politischen Elite haben sie genug, aber Neuwahlen wurden letztmals im Dezember 2011 von den Milizen verhindert. Die Sondergesandte des Uno-Generalsekretärs für Libyen, Hanna Tetteh, hielt vor dem Uno-Sicherheitsrat am Donnerstag eine wütende Rede an die internationalen Verbündeten der Kriegsparteien. «Wir haben genug von den Versuchen, nur temporäre Lösungen zu finden, ohne wirkliches Engagement. Sie führen immer wieder zu demselben Ergebnis: der Macht des Stärkeren.»

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