Freitag, Oktober 11


Hoteltipp in London

In London hat «The OWO» im ehemaligen Kriegsministerium eröffnet. Gut möglich, dass man in den herrschaftlichen Räumen von geheimen Botschaften träumt – und natürlich auch von James Bond.

Der Security-Check findet immer noch statt. Anstatt zu überprüfen, ob sich unter dem Mantel ein Abhörgerät oder gar eine Pistole verbirgt, wird beim Betreten des Old War Office in London allerdings nur noch sichergestellt, dass eine Reservierung vorhanden ist. Und, of course, ob man den Koffer abnehmen darf.

Seit letztem Herbst empfängt das «Raffles London at The OWO» erste Hotelgäste an einer der geschichtsträchtigsten Adressen des Landes: in der 57 Whitehall, wo einst das britische Kriegsministerium untergebracht war, hinter zwei Meter dicken Mauern, die vor Feinden und neugierigen Ohren schützen sollten. Zutritt für Personen, die nicht zum Militär gehörten? Mehr als ein Jahrhundert lang streng verboten!

Mit sanfter Hand umgebaut

Nach sieben Jahren Umbauzeit stehen die drei Eingangstüren des «The OWO» nun allen offen, die das nötige Kleingeld mitbringen, um eine Nacht in dem Fünfsternehaus zu verbringen. Mit einem Startpreis von 1100 britischen Pfund für ein Doppelzimmer zählt es zu den teuersten der Stadt. Aber schliesslich hat die indische Hinduja Group auch schwindelerregende 1,4 Milliarden Pfund investiert, um das historische Gebäude für 250 Jahre vom Verteidigungsministerium zu leasen und in das erste Raffles- Hotel Englands umzuwandeln.

Knapp 40 Historikerinnen und Historiker waren in das Unterfangen involviert, stellten sicher, dass der Stuck und die Eichentäfelungen unangetastet blieben und dass der gigantische Umbau mit sanfter Hand und Samthandschuhen vonstattenging.

Im Hotel zu Hause

Wem ein One-Night-Stand im «Raffles London at The OWO» nicht ausreicht, der kann auch eines der dazugehörigen Appartments, die man ab knapp viereinhalb Millionen Franken sein Eigen nennen darf, erwerben. Einer der ersten Käufer: Michael Bloomberg, ehemaliger Bürgermeister von New York. Die australische Schauspielerin Rebel Wilson soll ebenfalls zugeschlagen haben, munkelt man. Gut möglich, dass den beiden zu ihrem Einzug anstatt Brot und Salz ein exklusiver Bovet-Zeitmesser überreicht wurde.

Im Auftrag der Hinduja Group hat die Luxusuhrenmarke für die Käufer der zehn teuersten Wohnungen ein Sondermodell aus 18-karätigem Gold entworfen. Das Geschäft mit gebrandeten Residenzen, in denen der Zimmerservice das lästige Staubwischen übernimmt und die Besitzer sämtliche Annehmlichkeiten des dazugehörigen Hotels nutzen können, ist umkämpft und äusserst lukrativ. Das Maklerunternehmen Knight Frank sagt ein Wachstum von rund zwölf Prozent bis 2026 voraus. Da kann ein hochkarätiges Schmuckstück am Handgelenk als Entscheidungsgshilfe nicht schaden.

Ein Händchen für Historisches

Noch bevor die ersten Buchungen überhaupt getätigt werden konnten, wurde «The OWO» als Ikone gehandelt. Wandelten doch Persönlichkeiten wie Sir Winston Churchill, T.E. Lawrence (berühmt geworden als «Lawrence of Arabia ») oder der skandalumwitterte Kriegsminister John Profumo durch die Gänge, wurden im The Army Council Room Entscheidungen getroffen, die den Lauf der Geschichte beeinflusst haben.

Der fünfeinhalb Meter hohe Raum mit seiner Eichentäfelung ist noch immer im Originalzustand erhalten, allerdings flog der lange Sitzungstisch, an dem im Zweiten Weltkrieg der D-Day geplant wurde, raus, um Platz zu schaffen für weiche Sofas und Sessel, in denen man vor dem Kamin an einem London Sling nippen kann. Die Wände zieren nun grüne Damasttapeten. Und auch der Name hat sich geändert: Das ehemalige Büro heisst heute Churchill Suite.

Eingerichtet wurde sie – wie alle 120 Zimmer und Suiten des Hotels – von Thierry Despont. Der französische Architekt und Interior Designer, der im August vergangenen Jahres überraschend verstarb, hatte ein Händchen für denkmalgeschützte Gebäude: Er war sowohl für die Renovierung der Freiheitsstatue wie für den Umbau des Woolworth Building in New York zuständig.

In London blickte er ebenfalls in die Zukunft, ohne die Vergangenheit aus den Augen zu verlieren. Im ganzen Haus finden sich Reminiszenzen an die Geschichte und die Umgebung. Die bronzefarbenen Knöpfe an den Seidenvorhängen sind ein Kopfnicken an militärische Uniformen, die Teppiche in den Fluren eine Hommage an die zinnoberroten Tunikajacken der berittenen Leibgarde des Königs. Wenn man rechtzeitig aus den hohen Fenstern des Hotels schaut, kann man den Wachwechsel der Household Cavalry beobachten.

Hinter den Stallungen erstreckt sich der St. James’-Park, in dessen See schwarze Schwäne und weisse Pelikane friedlich nebeneinander übers Wasser gleiten – übrigens schon seit dem 17. Jahrhundert. Damals war die Welt noch halbwegs in Ordnung: Die Vögel mit den Trichterschnäbeln waren ein Geschenk des russischen Ambassadors an König Charles II. Geht das eigene Zimmer zu einer anderen Strassenseite: auch kein Drama. Alternativ blickt man zum Big Ben oder zur Downing Street, wo Premierminister Rishi Sunak in der Hausnummer 10 versucht, dem Chaos des Brexits Herr zu werden.

Churchills Glücksbringer

Wenn der Eingangsbereich so etwas wie die Visitenkarte eines Hauses ist, händigt «The OWO» eine besonders reich verzierte aus: Die Grand Staircase teilt sich unter einem acht Meter hohen Kronleuchter aus venezianischem Muranoglas mit 96 Leuchtkörpern, der an einer Stuckdecke mit Tudorrosen befestigt ist. Fast erwartet man, dass Scarlett O’ Hara oder Sisi jeden Moment die Treppe hinabschweben.

Die Röcke von Ballroben oder Hochzeitskleider werden erst seit Kurzem gerafft. Über die Stufen aus italienischem Piastracciamarmor durften früher nur ranghohe Offiziere schreiten, alle anderen mussten sich mit den einfachen Treppenhäusern begnügen. Und obwohl sämtliche Oberflächen im Zuge der Renovierung selbstverständlich gewienert und poliert wurden, sind die Schnauzen der beiden Löwenfiguren rechts und links der Handläufe noch immer leicht verfärbt. Wann immer Winston Churchill hoch zur Balustrade schritt, um vom Balkon aus eine Ansprache zu halten, soll er über sie gestrichen haben – die Wildkatzen dienten als seine Glücksbringer.

Die Treppe führt hinauf in die oberen Stockwerke, durch die sich vier Kilometer an Fluren ziehen. Noch beeindruckender als ihre Länge ist die Breite von drei Metern: Man ist versucht, vor den Spiegeln Pirouetten zu drehen, wenn gerade niemand hinschaut. Zu Kriegszeiten sausten sogenannte Boy Scouts über die Gänge, zu Fuss oder mit dem Velo. War es doch viel zu riskant, wichtige Botschaften per Post zu verschicken.

Geheimhaltung war das oberste Gebot im Old War Office. Und so wurden im Untergeschoss auch zahlreiche Spione rekrutiert, vor allem weibliche. Ihnen sind die acht Ecksuiten des Hotels gewidmet. Die inzwischen 103-jährige Christian Lamb (nein, das vermeintlich fehlende e im Vornamen ist kein Fehler, allenfalls ein Agententrick) zeichnete etwa die Karten für den Angriff in der Normandie. Die betagte Dame war zwar bei der Eröffnung des Hotels Ende September nicht dabei – Prinzessin Anne enthüllte eine Gedenktafel und Andrea Bocelli hielt ein Ständchen – sie liess es sich aber nicht nehmen, ihrer alten Arbeitsstätte vorab einen Besuch abzustatten, begleitet von den Kameras der BBC.

Spionin für eine Nacht

Eine der fünf Heritage-Suiten ist nach der Spionin Christine Granville benannt. Während des Zweiten Weltkriegs überquerte sie die verschneiten Karpaten auf Skiern, um ins besetzte Polen zu gelangen. Charismatisch, schlau, furchtlos – diese Attribute machten Granville zu Churchills Lieblingsagentin.

Eine Affäre wird ihr allerdings mit dem Schriftsteller Ian Fleming nachgesagt, den sie zur Figur Vesper Lynd, dem ersten Bond Girl, inspiriert haben soll. Für seine 007-Romane schmökerte der ehemalige Assistent des Naval Intelligence Service regelmässig in den Wälzern der hauseigenen Militärbibliothek. Und nicht nur das: Das Old War Office war bereits in fünf Bond-Filmen als stiller Protagonist zu sehen.

Ökologische Kreislaufkulinarik

Heute reihen sich unter dem Glasdach des einstigen Lesesaals keine Bücherregale mehr aneinander. Stattdessen gibt es Tische und Stühle, die vor einem meterhohen Wandgemälde stehen. Das «Saison» ist eines von drei Restaurants im «The OWO», die dem Dreisternekoch Mauro Colagreco übertragen wurden. Es ist sein Debüt in London. 2006 eröffnete er im südfranzösischen Menton das «Mirazur», 2019 wurde es zum besten Restaurant der Welt gekürt. Ein Jahr später erhielt es als erstes überhaupt eine Auszeichnung, die Colagreco fast ebenso wichtig sein dürfte: die offizielle «plastic free»-Zertifizierung.

Denn der Argentinier setzt sich für eine ökologische Kreislaufkulinarik ein, und er kämpft für ein Umdenken in der Gastronomie. Auch in seinen Dependancen im «The OWO» kommt fast alles, was das Team von Colagreco zubereitet, aus der nahen Umgebung und stammt aus biodynamischer Landwirtschaft – wie das Beef-Filet aus Hereford. Einzig die warmen Handtücher, die vor dem Essen gereicht werden, verströmen kein Lokalkolorit: Sie sind mit dem Duft benetzt, der 1853 für die französische Kaiserin Eugénie komponiert wurde.

Das Hotel als Food-Destination

Zugegeben: Die Gegend um Whitehall ist zwar tagsüber ein Sightseeing-Hotspot, aber nicht unbedingt erste Wahl, wenn es darum geht, sich die Nächte um die Ohren zu schlagen. Zu viele Staatsgebäude, zu wenige Passanten. Mit drei Bars (fragen Sie nach der geheimen «Spy Bar» mit einem Aston Martin DB5 über dem Tresen!) und neun Restaurants hat sich «The OWO» jedoch aufgemacht, zu einer eigenen Food-Destination zu werden. Die Mission ist klar: Die Gäste sollen zu Doppel- und Dreifachagenten werden.

Mit Spannung erwartet wird das Rooftop- Restaurant vom Sushimeister Endo Kazutoshi, das von einer Sakebar im Erdgeschoss ergänzt wird. Bis zur baldigen Eröffnung braucht man aber nicht auf dem Trockenen sitzen. Die «The Guard’s Bar and Lounge» serviert bereits jetzt einen besonders edlen Tropfen: In Partnerschaft mit dem französischen Haus LOUIS XIII wird aus einer Methusalem- Flasche Premiumcognac ausgeschenkt, dazu wird Kaviar gereicht. Die Methusalem-Flasche aus Baccaratkristall wird in einer Kiste aus Leder aufbewahrt, die die Farben und Muster der Royal Majesty’s Horse Guard trägt.

Das Schönste ist die Symbolik

Der Spirituosenschrein ist auch hochprozentig, was seine Bedeutung anbelangt: Churchill liess keine Gelegenheit aus, um mit dem Weinbrand anzustossen. Nach einem Glas geht es 290 Pfund leichter, aber mit einem wärmenden Gefühl im Bauch über den Innenhof ins «Paper Moon». Das italienische Restaurant ist ein Ableger des Mailänder Haupthauses, das als inoffizielle Post-Laufsteg- Kantine während der Fashion Weeks gilt. An den Wänden hängen gerahmte Bilder von Hollywoodstars, die Tische sind weiss eingedeckt, dazwischen thront ein Olivenbaum. Auf dem Porzellanteller dampfen hausgemachte Ricotta-Gnocchi mit Trüffelcrème und gerösteten Haselnüssen.

Bei solch einem Kaloriengemetzeldarf auch ein Gym nicht fehlen, um fit wie einst die Generäle zu bleiben. Dafür sorgen unter anderem die Ernährungsexperten von Pillar. Das Spa zieht sich über vier Etagen und entstand in Kooperation mit dem französischen Kosmetikund Duftlabel Guerlain. Mit seinen warmen Champagnertönen, den massgeschneiderten Pflegebehandlungen und dem vielleicht schönsten Hotelpool von ganz London wehrt es vor allem eins ab: Stress und den Alltag.

Aber vielleicht, denkt man angesichts der gegenwärtigen Negativnachrichtenflut, ist das Schönste am «Raffles London at The OWO» gar nicht so sehr der allgegenwärtige Luxus, sondern die Symbolik: dass aus einem Kriegsministerium, in dem Angriffe und Verteidigungen geplant wurden, ein Ort

Dieser Artikel ist im Rahmen der NZZaS-Verlagsbeilage «Reisen» erschienen.

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