Mittwoch, April 30

Wie verdichtet man die 800 Seiten eines Weltbestsellers zu einem Bühnenwerk? Bei der Vertonung von Ecos «Il nome della rosa» hat der Komponist Francesco Filidei diese Herausforderung raffiniert gemeistert. Die Uraufführung an der Scala lässt aufhorchen.

Das grosse Kreuz brennt lichterloh, vom Theaterhimmel fallen Gazevorhänge herab. Sie symbolisieren die labyrinthische Klosterbibliothek, in deren Beständen ein verbotenes Buch über die subversive Macht des Lachens versteckt wurde – mit fatalen Folgen. Denn jetzt geht die Benediktinerabtei in Flammen auf, untermalt von rituellen Sprechgesängen und markanten Rhythmen. Am Ende aber dünnt sich die Musik aus bis zur vollkommenen Stille. Eine ganze Welt liegt in Trümmern, für Optimismus gibt es keinen Anlass mehr.

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So endet die Oper «Il nome della rosa» von Francesco Filidei nach dem gleichnamigen Roman von Umberto Eco, die jetzt an der Mailänder Scala uraufgeführt wurde. Und schon mit diesem illusionslosen Schluss grenzt sich Filidei klar von anderen Adaptionen ab, namentlich von der populären Verfilmung durch Jean-Jacques Annaud aus dem Jahr 1986 mit Sean Connery in der Hauptrolle. Dort stirbt, anders als im Buch, auch der demagogische Inquisitor Bernard Gui – getötet von einer aufgebrachten Menge. In der pathosgesättigten Opulenz des Films war für stillen Pessimismus kein Platz.

Schlüsselwerk der Postmoderne

Auch sonst hat der 1973 in Pisa geborene Francesco Filidei manche Fehler und Vereinfachungen des Films vermieden. Vor allem aber reflektiert seine Version viel stärker die schöpferische Haltung Ecos. Das ist bei diesem Roman von 1980 sogar wichtiger als eine korrekte Nachzeichnung der Handlung. Allein die Frage, was dieses Buch eigentlich sein will, öffnet ein weites Feld: ob Epochenporträt, historischer Schlüsselroman, philosophische und wissenschaftstheoretische Abhandlung oder Detektiv- und Schauerroman – in ihm vermengen sich die unterschiedlichsten Gattungen.

Als Universalgelehrter – gleichermassen Literat und Philosoph, Kommunikationswissenschafter und Semiotiker, Philologe und Mediävist – hat Eco zugleich genüsslich, bisweilen obsessiv, sein Wissen ausgebreitet. Dazu collagierte er ganze Passagen aus fremden Texten, von der Bibel, den Vorsokratikern und Aristoteles über Wilhelm von Ockham und Wittgenstein bis zu James Joyce und Sigmund Freud. Diese raumgreifende Intertextualität birgt allerdings die Gefahr von gelehriger Geschwätzigkeit, die Eco nicht immer gebannt hat.

Kein Wunder, dass die zentrale Krimihandlung des Romans viel breiter rezipiert wurde als dessen theoretischer Unterbau. Nach dem Vorbild von Sherlock Holmes und dessen Gehilfe Watson schickt Eco bekanntlich den Mönch William von Baskerville und den Chronisten Adson von Melk auf Mörderjagd in ein mittelalterliches Kloster. Neben Arthur Conan Doyle standen dafür auch Kriminalromane von Agatha Christie und die Schauergeschichten von Edgar Allan Poe Pate. Und auch hier gibt es eine zweite, philosophische Ebene: Eco nutzt das Krimi-Setting, um den Glauben an ein geschlossenes, auf dem Geist des Positivismus beruhendes Weltbild ins Wanken zu bringen. In dieser Demontage folgt er wiederum dem genialen Detektivroman «Die grässliche Bescherung in der Via Merulana» seines Landsmanns Carlo Emilio Gadda.

Die Vielfalt der Quellen und der verwendeten Materialien hat Ecos «Der Name der Rose» zu einem exemplarischen Werk der Postmoderne gemacht. Das stellt wiederum jede Bühnen- oder Filmfassung vor eine nahezu unlösbare Aufgabe. So muss etwa die Verfilmung notgedrungen auf jedwede Intertextualität verzichten, ebenso auf das der Collagetechnik innewohnende Moment der ironischen Distanz, das besonders in den Sherlock-Holmes-Anspielungen greifbar wird.

Ironische Distanz

Die neue Oper von Filidei geht mit der postmodernen Vielstimmigkeit raffinierter um. Der einstige Meisterschüler von Salvatore Sciarrino scheint geradezu prädestiniert für eine Vertonung, weil auch seine Musik die Idee eines polystilistischen Beziehungsreichtums verfolgt. Da prallen nervöse, geräuschhafte Klangaktionen auf romantisches Pathos oder kontemplative Reflexionen, eingebettet in tonale, modale oder chromatisch komplexe Strukturen. Gleichzeitig ist dieser stilistische Pluralismus überreich an Verweisen. Dass Filidei dabei auch der Ironie nicht abgeneigt ist, zeigte schon sein legendäres Stück «Killing Bach» von 2015. Mit einem ganzen Arsenal aus Vogel- und Trillerpfeifen, Pistolen, Bohrmaschinen und Hämmern, nicht zuletzt aber auch mit penetrant wiederkehrenden «Tristan»-Zitaten, wird der altehrwürdige Thomaskantor darin spielerisch malträtiert.

Im selben Jahr tauchte Filidei mit seiner Oper über den Mönch Giordano Bruno, der auf dem Scheiterhaufen endete, bereits tief in die Klosterwelt ein. Hier erprobte er den Cantus firmus, die mittelalterliche Hoquetus-Technik, Gregorianik und Formen ritueller Spiritualität. Dies alles findet sich nun auch in der Eco-Vertonung. Sie wirkt wie eine schöpferische Zusammenfassung, garniert mit zahlreichen Zitaten vom «Dies Irae»-Motiv bis zu Puccini. Und Filidei hat sogar eine Idee Ecos umgesetzt, der 1983 in einer Nachrede zu seinem Roman die These aufstellte, wonach sein Buch auch als komische Oper mit rezitativischen und ariosen Elementen gelesen werden könne.

In Mailand sind die beiden tragenden Partien jetzt mit Kate Lindsey in der Hosenrolle des Adson sowie mit Lucas Meachem als William von Baskerville exzellent besetzt. Filideis Gestaltung der Vokalparts ist dabei genauso abwechslungsreich wie sein Instrumentalstil, sie reicht von Mittelalter-Kolorit und Sprechgesang über grossflächige Kantilenen bis zur Lautakrobatik. Unter der Leitung des Dirigenten Ingo Metzmacher entsteht im differenzierten Zusammenwirken von Solisten, Chor und Orchester der Scala gleichwohl ein organisches Ganzes, nie bloss eine Aneinanderreihung von Einfällen.

Wenn die Partitur das Collagenhafte des hier zusammengefügten Materials stellenweise doch einmal ausstellt, ist das offensichtlich von Filidei so gewollt – wohl als kleiner Seitenhieb auf Ecos ausufernde Lust an Zitaten und Anspielungen. Die bildstarke Inszenierung von Damiano Michieletto greift das auf: Da geistert allerlei Höllengetier wie aus Gemälden von Hieronymus Bosch über die Bühne, und wenn Adson irgendwann wie Jesus in den Armen der Gottesmutter liegt, wird die Tradition der Pietà gleich in mehreren Darstellungen heraufbeschworen. Im Ganzen werden Eco und sein Kultroman hier also nicht überhöht, sondern mit der spielerisch-ironischen Distanz behandelt, die der Autor selbst an den Tag legte. Für dieses stimmige Konzept gibt es an der Uraufführung viel Beifall, aber auch einen lautstarken Buhruf.

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