Samstag, November 23

Sechs Jahre lang warteten die Menschen in Marokko auf einen Regen, der die Dürre im Land beenden würde. Er kam im September. Und brachte Erleichterung und Zerstörung zugleich.

Eine Lagune inmitten von Dünen, Palmen, die bis zur Hälfte unter Wasser stehen – in Teilen Marokkos zeigt sich derzeit ein ungewöhnliches Bild. Ein aussertropischer Wirbelsturm fegte Anfang September über die nordwestliche Sahara und brachte in Marokko so viel Regen wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Seit sechs Jahren leidet Marokko bereits unter einer Dürre. Und nun regnete es in mehreren Regionen in zwei Tagen mehr als üblicherweise in einem ganzen Jahr. Der Wasserpegel in beinahe ausgetrockneten Stauseen hat sich wieder normalisiert, ausgetrocknete Flussbetten führen wieder Wasser, und in der marokkanischen Sahara liegen plötzlich blaue Lagunen.

Ist das für die marokkanische Bevölkerung ein Grund, sich zu freuen?

Die Antwort hängt von der Region ab.

Schönes Spektakel in den Dünen

Im Südosten des Landes kann man eigentlich nicht von Dürre sprechen. Dort liegt ein Teil der Sahara, extreme Trockenheit entspricht dem Normalzustand. Dass es in dieser Region zu Wirbelstürmen mit starkem Niederschlag komme, sei selten, aber nicht extrem selten, sagt Heini Wernli. Er ist seit 2009 Professor für Atmosphärendynamik am Institut für Atmosphäre und Klima an der ETH und forscht unter anderem zu Starkniederschlägen in der Sahara. Alle paar Jahre komme ein Ereignis mit einer vergleichbaren Intensität in der nordwestlichen Sahara vor, sagt er.

Houssine Youabeb von der marokkanischen Generaldirektion für Meteorologie nannte die Niederschlagsmenge in diesem Jahr hingegen aussergewöhnlich. «Es ist dreissig bis fünfzig Jahre her, dass wir so viel Regen in so kurzer Zeit hatten», sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur AP News über den Wirbelsturm im September.

Am deutlichsten zeigt sich das am ausgetrockneten See Iriqui im Südosten Marokkos. Jahrzehntelang konnten Touristinnen und Touristen im gleichnamigen Nationalpark die riesige staubtrockene Fläche, aus der nur vereinzelt Akazien oder Tamarisken emporragen, bestaunen. Jetzt, erstmals nach fünfzig Jahren, hält der See wieder Wasser. Dies belegen Satellitenaufnahmen der Nasa.

Heini Wernli hat in Algerien, Marokkos Nachbarland, ähnliche Phänomene untersucht. Dort sei in den Jahren 2006, 2008 und 2014 der normalerweise ausgetrocknete Wüstensee Sebkha al-Melah aufgrund von Starkregen «wiederentstanden». Der See habe dann jeweils ein bis drei Jahre existiert, bevor er wieder verdunstet sei. Während dieser Zeit habe er gewisse landwirtschaftliche Aktivitäten, wie den Anbau von Dattelpalmen, ermöglicht.

In Marokko dürfte die Region in der direkten Umgebung des Sees kurzfristig grüner werden, vermutet Wernli. Dies werde allerdings kaum ein langfristiger Effekt sein.

Das gilt auch für die ganz neu entstandenen Seen, die weiter nördlich in Merzouga inmitten von Sanddünen liegen.

Doch der Regen sorgte nicht nur für schöne, sondern auch für gefährliche Naturspektakel.

Vergessene Gefahr in der wachsenden Wüste

In manchen Regionen, wie der Provinz Tata im Südosten Marokkos, hat es seit 2014 kaum mehr geregnet. Für die Menschen dort sei die Dürre zur Normalität geworden, erklärte Lahcen Ahouate gegenüber der französischen Zeitung «Le Monde.» Ahouate ist Präsident der NGO Alcesdam, welche die Ausbreitung der Wüste in Tata verhindern will. Die Menschen in der Region hätten sich so sehr an die Trockenheit gewöhnt, dass sie damit begonnen hätten, ihre Häuser in der Nähe von Wadis zu bauen, erzählte Ahouate weiter.

Ein gefährliches Unterfangen.

Wadis sind ausgetrocknete Flussläufe, die in Wüstentälern und Schluchten liegen und nur nach heftigem Regen Wasser führen. Dies oftmals in Form von reissenden Bächen, da der trockene Boden das Wasser nur schwer aufnehmen kann. In Tata aber schien dieses Phänomen nur noch eine entfernte Erinnerung zu sein. Der heftige Regen Anfang September kam für die ansässigen Menschen unerwartet. Die Menschen, so Ahouate, hätten vergessen, dass die Wadis ihre Rechte eines Tages zurückfordern würden.

In diesen zwei Tagen kamen in den starken Regenfällen Marokkos achtzehn Personen ums Leben. Zehn von ihnen in der Nähe des Tamanart-Wadi in der Provinz Tata. Nur zwei Wochen später wurde die Provinz erneut von Starkregen heimgesucht. Die daraus resultierenden Sturzfluten haben laut der Nachrichtenagentur AFP einen Bus weggeschwemmt. Zehn Passagiere kamen dabei ums Leben, dreizehn konnten gerettet werden, elf weitere wurden zwei Tage nach dem Unfall noch immer vermisst. Insgesamt wurden in den Fluten vom September 1121 Häuser beschädigt, 269 davon komplett zerstört. Die marokkanische Regierung kündigte Anfang Oktober an, die Reparatur aller beschädigten Häuser zu finanzieren.

Langersehnte Niederschläge im Norden

Während die Menschen im Süden mit teilweise zerstörerischen Folgen vom Regen überrascht wurden, hatten die Menschen im Norden sehnlichst auf ihn gewartet. Sie erleben bereits das sechste Dürrejahr in Folge, in Marokko spricht man von der schlimmsten Dürre seit vierzig Jahren.

Die Landwirtschaft stellt in Marokko einen der wichtigsten Wirtschaftszweige dar. Bleibt der Regen lange aus, ist das verheerend. Gemäss dem nationalen Institut für agronomische Forschung werden in Marokko 90 Prozent der angebauten Nutzpflanzen ohne künstliche Bewässerung kultiviert – weil es in der Vergangenheit in den entsprechenden Regionen genügend geregnet hat. Der Ernteausfall in Dürreperioden ist enorm.

Bei langanhaltenden Dürren wie dieser kommen auch Landwirtschaftsbetriebe mit künstlicher Bewässerung in Bedrängnis. Der Wasserpegel in Wasserspeichern und Stauseen war Anfang 2024 auf bedrohlich tiefe Niveaus gesunken. Der al-Masira, der zweitgrösste Stausee des Landes, hielt im April nur noch 3 Prozent der üblichen Durchschnittsmenge der letzten neun Jahre.

Das gefährdet auch die Trinkwasserversorgung. Schliesslich musste das Wasser mancherorts rationiert werden, und öffentliche Dampfbäder und Saunen – besser bekannt als Hammams – mussten an drei Tagen in der Woche geschlossen bleiben, um Wasser zu sparen.

Mit dem Regen im September ist der Wasserpegel in den Wasserspeichern und Stauseen im Nordwesten Marokkos erheblich angestiegen. Bis die Böden nach einer so langen Dürre wieder gesättigt sind, braucht es aber noch weitere Regenfälle, wie ein marokkanischer Berater für Wasserressourcen gegenüber der Nachrichtenagentur AFP erklärte. Dennoch hätten die Regenfälle den Oasen und der Landwirtschaft zumindest «eine Atempause» verschafft.

Houssine Youabeb von der marokkanischen Generaldirektion für Meteorologie geht davon aus, dass der Wirbelsturm vom September das Wetter der kommenden Monate und Jahre beeinflussen könne. Die Luft speichere mehr Feuchtigkeit, was zu mehr Verdunstung führe, was wiederum weitere Stürme nach sich ziehe.

Der ETH-Professor Heini Wernli bestätigt, dass die höhere Luftfeuchtigkeit weitere Niederschläge begünstigen könne. Jedoch sei es unwahrscheinlich, dass diese wieder in derselben Region stattfänden. Wahrscheinlicher sei es, dass die Winde das verdunstete Wasser wegtransportierten und andernorts zu Regen führten.

In anderen Worten: Der Südosten Marokkos wird sich wegen dieser wenigen Regentage auch künftig nicht in eine üppige grüne Oase verwandeln. Ebenso wenig dürfen die Menschen im Norden darauf hoffen, dass der Regen die Dürre langfristig gebannt hat. Immerhin konnten sie kurz aufatmen.

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