Bei Giannini entstehen besondere Schlaginstrumente. Die Traditionsfirma in Zürich Wiedikon gibt es seit bald 100 Jahren.

Wenn an der Aegertenstrasse 8 in Zürich Wiedikon jemand zur Tür hereinkommt, dann schlägt ein Klöppel gegen ein Glöcklein, das am Türrahmen festgemacht ist. Hell klingt das und ausserordentlich sonor: So heisst ein Hausherr seine Besucher willkommen, der sich auf Schlaginstrumente versteht.

Dieser Hausherr heisst Michael Senn. Er ist der Mann hinter dem Trommelbauer Giannini Swiss Drums. Wenn es um Schlagzeuge geht, ist er eine Kapazität.

Senn arbeitet stehend an einer wuchtigen Werkbank. Vor ihm liegen allerlei Werkzeuge bereit, Schächtelchen voller Schrauben, Nieten und Muttern. Diese Schächtelchen seien in letzter Zeit jeweils rasch leer geworden, sagt Senn. Denn das Geschäft gehe gut: «Über mangelnde Arbeit kann ich wirklich nicht klagen.» Aber heute genehmigt er sich trotzdem eine etwas längere Pause, um von seinem Handwerk zu erzählen.

Er wolle ein «Diener der Künstler» sein, sagt Senn, und Instrumente bauen, die den allerhöchsten Ansprüchen genügten. Das sei seine Pflicht und Verantwortung, die er mit dieser traditionsreichen Firma übernommen habe. Giannini gibt es schon seit 1929.

Während Senn spricht, lässt er seinen Blick durch den Raum schweifen. Immer wieder schaut er dorthin, wo sein Vorgänger arbeitet und aufmerksam zuhört. Andreas Ermatinger hat seine eigene, ebenso eindrückliche Werkbank – noch. Nach fast vierzig Jahren als Besitzer und Alleskönner bei Giannini zieht er sich demnächst aus der Firma zurück. Bis dahin helfe er nun noch ein bisschen aus, sagt der Pensionär bescheiden.

Wenn das Glöcklein schlägt, dann stehe er schon nicht mehr automatisch auf, um die Kundschaft zu empfangen, sagt Ermatinger. Das gehöre jetzt zu den Aufgaben seines Nachfolgers.

Eigene Teile für Instrumente auf Weltklasse-Niveau

Senn ist der dritte Geschäftsführer in der Geschichte von Giannini Swiss Drums. Und er führt eine breite Palette von Angeboten weiter: Alles, was im weiteren oder engeren Sinn mit Schlagzeugen, Pauken, Xylofonen oder Handtrommeln zu tun hat – hier kennt man sich damit aus.

In der Werkstatt revidiert und repariert Michael Senn alle Arten von Schlaginstrumenten. Komplette Schlagzeuge für alle Stile, kleine und grosse Trommeln baut er selber. Seine Kunden wählen den Durchmesser und die Tiefe der Trommelkessel, die Art und Farbe der Lackierung, die Felle und die Qualität der Beschläge an den Trommeln.

Herauszufinden, was der Kunde sich wünsche, sei der schwierigste Teil, sagt Senn. Möglich sei grundsätzlich alles. Es gebe auch eckige Schlagzeuge oder solche, deren Bestandteile ineinander versorgt werden können.

Die Trommelkessel kommen aus Europa, weil die technische Einrichtung, um Holz mit Wasserdampf zu Zylindern zu biegen, in der Zürcher Werkstatt keinen Platz hätte. Alles andere macht Senn von Hand. Geschliffen, lackiert, verschraubt, bespannt und aufgebaut wird in Zürich Wiedikon. Manche der Teile, die es dazu braucht, gibt es nur bei Giannini. Senn stellt sie selber her.

Gewisse Perkussionsinstrumente müssen regelmässig gestimmt und gepflegt werden. Das tut Senn in den Konzertsälen, in denen die Timpani, Marimbafone und Pauken stehen. Diese wuchtigen Instrumente nach Wiedikon zu bringen, wäre viel zu aufwendig. Viel einfacher geht es, wenn Senn in die Tonhalle fährt oder zur Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Die dortigen Orchester und Ensembles gehörten zu den besten der Welt, sagt Senn. Und nebenbei auch zu seinen besten Kunden.

An der Qualität der Instrumente soll es also nicht scheitern, wenn Schlagzeuger und Perkussionisten auf Weltklasse-Niveau spielen wollen.

Lernen, was kaum zu lernen ist

Ursprünglich ist Michael Senn ausgebildeter Elektroinstallateur. Bei Giannini wurde er auch zum Schreiner, Drechsler, Mechaniker, Akustiker und Lackierer. «Und zum Erfinder», fügt er an und lacht – obwohl er das ernst meint.

Wenn ein Kunde einen besonderen Wunsch habe, müsse er sich etwas einfallen lassen, was vor ihm noch keiner gemacht habe: «Das ist ja gerade der Grund, weshalb die Leute zu uns kommen.»

Sein Wissen hat sich der 49-jährige Senn hier in der Werkstatt angeeignet. Während dreier Jahre ist Andreas Ermatinger eine Art Lehrmeister für ihn gewesen, den Rest hat er durch stetiges Experimentieren selbst herausgefunden. Systematisch erlernen könne man diesen Beruf nämlich nicht, sagt Senn. Es gebe keine Berufslehre, keine Lehrbücher, nichts.

Es gab und gibt nur Andreas Ermatinger. Dieser war für Senn Vorbild, Lehrmeister, Berater und Freund in einem. So, wie es einst der Firmengründer für ihn selbst war.

Die «hohe Fussbeckenmaschine» brachte den Erfolg

Der Schweizer Eugen Giannini lebte in den 1920er Jahren als mittelloser Bootsbauer und Gelegenheitstrommler in Mainz. Irgendwann brauchte er ein eigenes Schlagzeug. Weil er aber kein Geld hatte, um sich eines machen zu lassen, baute er sich sein Instrument selbst. Und das gelang ihm ausserordentlich gut.

Giannini arbeitete bald auch für andere Musiker und führte zahlreiche Neuerungen ein. Zum Beispiel kam er Ende der zwanziger Jahre auf die Idee, zwei übereinander angeordnete Becken auf einem hohen Ständer zu befestigen. Ein Pedal ermöglichte es, dass die beiden runden Teller aus Bronze geöffnet und geschlossen und so gegeneinander geschlagen werden konnten. Sie liessen sich dank dem neuartigen Ständer auch mit dem Trommelstock anschlagen.

Eine ähnliche Anordnung präsentierte fast zur gleichen Zeit ein amerikanischer Konstrukteur der Firma Walberg und Auge. In den USA bekam das, was Giannini als «hohe Fussbeckenmaschine» bezeichnete, den Namen «Hi-Hat». Dieses Instrument gehörte schon bald bei jedem Jazzschlagzeug dazu und war für den Sound des Swing der dreissiger Jahre zentral. Dank Giannini konnten die europäischen Schlagzeuger den neuen Stil aus den USA ohne Verzögerung übernehmen.

In Deutschland hatte Giannini einigen Erfolg als Instrumentenbauer, viele Kunden wussten seine Entwicklungen zu schätzen. Doch 1936 musste er das Land verlassen, weil er Ausländer war. Mit 27 Jahren kam er nach Zürich. Hier kannte er niemanden und musste noch einmal von vorn anfangen.

Bald sprach sich aber herum, dass Giannini ein hervorragender Instrumentenbauer war. Und nach dem Krieg waren auch Weltstars von Giannini angetan: Als der Amerikaner Gene Krupa 1953 in Zürich weilte und im Kongresshaus auf einem Giannini spielte, war er begeistert. Er holte den Trommelbauer auf die Bühne, um sich unter Applaus bei ihm zu bedanken. Krupa galt als bester Drummer der USA.

Später gehörte der junge Genfer Drummer Daniel Humair zu Gianninis bekanntesten Kunden. Humair arbeitete im Paris der fünfziger Jahre mit Chet Baker, Eric Dolphy, Bud Powell und Dexter Gordon. Bis heute heisst das Flaggschiff in Gianninis Produktkatalog deshalb «Daniel Humair Personal Drum».

1985, als Giannini schon längst hätte in Pension gehen können, stieg Andreas Ermatinger ins Geschäft ein.

Plötzlich steht ein Profi in der Werkstatt

Noch heute kommen an der Aegertenstrasse die angesehensten Schlagzeuger zur Tür herein und lassen das prächtige Glöcklein erklingen: Während Michael Senn davon erzählt, wie er selbst einmal ein guter Kunde bei Giannini war, steht plötzlich Christian Wolfarth in der Werkstatt. Dieser gehört zu den profiliertesten Solo-Schlagzeugern der Schweiz. Er brauche spezielle Nieten. Damit möchte er ein Becken bestücken.

«Wenn ich etwas Bestimmtes haben muss, gehe ich immer zu Giannini», sagt Wolfarth. «Dort wissen sie alles und können immer helfen.» Senn nimmt das Kompliment schweigend entgegen und händigt Wolfarth zum Dank eine ganze Büchse mit Nieten aus – grossen und kleinen, leichten und schweren.

Zufrieden nimmt Wolfarth von jeder Sorte ein Muster heraus. Er werde sie zu Hause ausprobieren und dann wiederkommen.

Dass er alles wisse und alles könne, stimme natürlich nicht, korrigiert Senn. Wenn er dem Ruhm der Firma Giannini gerecht werden wolle, dann habe er noch einen Weg vor sich: «Ich bin noch nicht in jedem Bereich auf dem höchsten Niveau. Aber ich arbeite fleissig daran.»

Ohne Disziplin keine Fortschritte. Das weiss jeder, der in jungen Jahren einmal ein Instrument gelernt hat – und Senn trommelt selber schon seit mehr als 40 Jahren.

Exit mobile version