Die Londoner Börse kämpft mit Abwanderungstendenzen. Darum wäre der geplante Börsengang des Modehändlers Shein im Jahr 2025 ein Coup – mit dem die Briten aber den Unmut der Administration Trump auf sich ziehen könnten.
Als der chinesische Online-Modehändler Shein Anfang 2024 Pläne für einen Börsengang an der New York Stock Exchange wälzte, stiegen amerikanische Politiker auf die Barrikaden. Sowohl Republikaner wie Demokraten hatten ihre Rhetorik gegenüber China in den letzten Jahren markant verschärft, und Shein rief als disruptiver Fast-Fashion-Gigant zusätzliche Skepsis hervor.
Die Firma stellt sämtliche Produkte in China her, beliefert aber die ganze Welt mit ihren Billigwaren. Der Versand ist effizient, weil Shein viele Textilien direkt von den Fabriken in individuell adressierten Paketen per Flugzeug zur Kundschaft schickt. Es gibt keine Zwischenhändler, keine teuren Lagerzeiten und keine Umwege, womit die Firma die Preise tief halten kann.
Trumps Aussenminister als Kritiker
Angeführt wurde das Heer der amerikanischen Kritiker von Senator Marco Rubio, der inzwischen von Donald Trump zum künftigen Aussenminister ernannt wurde. Rubio erklärte, die in Singapur domizilierte Firma umgehe mit ihrem Direktversand kleiner Pakete Zollhürden. Zudem seien die unter anderem in der chinesischen Provinz Xinjiang produzierten Textilien Produkte von Zwangsarbeit und Menschenrechtsverletzungen gegenüber der uigurischen Minderheit.
Shein wies die Vorwürfe zurück, doch rückte in der Folge London als Standort für den Börsengang in den Vordergrund. Darum warnte Rubio im Sommer in einem offenen Brief an die britische Regierung und den Financial Conduct Authority (FCA) genannten Regulator vor einer Zulassung: «Sklavenarbeit, Ausbeutung und Handelstricks sind die schmutzigen Geheimnisse hinter dem Erfolg von Shein.»
Dennoch mehren sich nun die Hinweise, dass Grossbritannien für einen Börsengang in London im Jahr 2025 grünes Licht geben könnte. In einem Interview mit der «Financial Times» erklärte der FCA-Chef Nikhil Rathi diese Woche, seine Behörde habe nicht die Kompetenz, den Börsengang einer Firma zu verhindern wegen möglicherweise besorgniserregenden Verhaltens in anderen Ländern. «Der Gesetzgeber hat uns nicht damit beauftragt, Regulator über jeden Aspekt der weltweiten Geschäftspraktiken aller in Grossbritannien geführten Firmen zu sein», erklärte Rathi.
Londoner Börse in Rücklage
Mit einer erwarteten Bewertung von rund 50 Milliarden Dollar wäre der Börsengang von Shein für den Finanzplatz London ein wichtiger Coup und eines der grössten Debüts der letzten Jahre. Die London Stock Exchange ist einer der weltweit ältesten Handelsplätze und blickt auf eine mehr als 300-jährige Geschichte zurück. Seit dem Brexit-Votum von 2016 hat die Londoner Börse allerdings mit Abwanderungstendenzen zu kämpfen.
Gemäss einer Zusammenstellung der Nachrichtenagentur Bloomberg ist die Zahl der in London geführten Unternehmen innerhalb des letzten Jahrzehnts um 25 Prozent zurückgegangen. Im Jahr 2000 waren noch 11 Prozent der Firmen im MSCI-World-Index der 1500 grössten Unternehmen aus Industrieländern in Grossbritannien gelistet. Heute sind es nur noch 4 Prozent.
Die neue Labour-Finanzministerin Rachel Reeves erklärte daher jüngst bei einer Rede vor Vertretern des Finanzplatzes, die Regulierung der City sei nach der Finanzkrise von 2008 zu restriktiv geworden und führe zu risikoscheuem Verhalten. Mitte November forderte sie die FCA in einem Brief dazu auf, mehr zu unternehmen, um Wachstum zu generieren und beispielsweise den Markteintritt innovativer Firmen zu unterstützen.
Reeves hat jüngst Haushaltspläne mit höheren Steuern, Schulden und Investitionen in die marode Infrastruktur präsentiert. Nun ist die Regierung dringend auf Wachstum angewiesen, um den Haushalt langfristig ins Lot zu bringen und ein mittelfristiges Sparprogramm zu verhindern.
Politisches Risiko
Für die Labour-Regierung wäre der Börsengang von Shein daher ein wichtiges Signal, aber auch ein politisches Risiko. Innenpolitisch dürfte der Schritt auf Widerstände von Menschenrechtsaktivisten stossen. Auch die konservative Präsidentin der aussenpolitischen Kommission im Unterhaus, Alicia Kearns, erklärte gegenüber dem Branchenportal «City AM», eine Firma mit intransparenten Lieferketten und problematischen Produktionsbedingungen habe «keinen Platz in London».
Ein Risiko stellt auch die ungewisse Reaktion der künftigen amerikanischen Regierung unter Trump dar. Die USA dürften den weltweit grössten Fast-Fashion-Anbieter härter anfassen und beispielsweise die Zollvorschriften für den Direktversand kleinerer Pakete verschärfen. Ohnehin plant Trump die Erhebung hoher Zölle auf Importe aus China.
Offen ist, wie stark der Druck auf Partnerstaaten wie Grossbritannien sein wird, den wirtschaftlichen Konfrontationskurs gegenüber China mitzutragen. Nimmt man die scharfe Kritik des künftigen Aussenministers Marco Rubio an Shein zum Nennwert, dürfte ein Börsengang in London kaum ohne Reaktion aus Washington bleiben.