Montag, Oktober 7

Die unter Hirschen grassierende Prionenkrankheit Chronic Wasting Disease ist kaum aufzuhalten, weil ihr Erreger so ansteckend und resistent ist. Doch ist er wandlungsfähig genug, um auch den Menschen zu befallen?

Wenn im Spätsommer wieder die ersten Jäger durch die Wälder Nordamerikas streifen, werden sie gelegentlich auf ein seltsames Phänomen treffen: abgemagerte Hirsche, die antriebslos herumstolpern. Denn in den USA und in Kanada greift die Chronic Wasting Disease (CWD) um sich, auch Zombie-Hirsch-Krankheit genannt. Sie wird durch falsch gefaltete Proteine, sogenannte Prionen, ausgelöst und setzt den Gehirnen der Wildtiere zu. Die Krankheit ist hochansteckend und verläuft immer tödlich.

Nicht gerade beruhigend wirkt diesbezüglich eine vor wenigen Monaten veröffentlichte Studie: Zwei Jäger, die an der ebenfalls durch Prionen verursachten Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gestorben sind, sollen sich womöglich an infektiösem Hirschfleisch angesteckt haben. Die von texanischen Forschern vorgebrachte Beweislage ist zwar sehr dünn, macht aber auf ein Problem aufmerksam, vor dem manche Wissenschafter seit Jahren warnen: CWD könnte die Artenbarriere irgendwann durchbrechen und auch für den Menschen gefährlich werden.

Ein erstes Mal entdeckt wurde CWD bereits 1967 in Colorado. Aber erst seit der Jahrtausendwende breitet sich die Krankheit stetig weiter aus. Mittlerweile wurde sie in 5 kanadischen Provinzen und in 35 US-Gliedstaaten festgestellt. In diesem Sommer kamen Kalifornien und Washington dazu, Ende letzten Jahres bestätigte sich erstmals ein Fall im Yellowstone-Nationalpark. «Die Krankheit breitet sich auch unaufhaltsam nach Norden aus, wo sie zunehmend die wilden Karibu-Herden bedroht», sagt die Veterinärmedizinerin Christine Fast, die am deutschen Friedrich-Loeffler-Institut an der Tierseuche forscht.

Und selbst auf anderen Kontinenten ist CWD inzwischen aufgetaucht: In den vergangenen Jahren stellten Experten die Krankheit in Skandinavien und Südkorea fest. Überall befällt sie Arten, die zur Familie der Hirsche gehören: Wapitis, Maultierhirsche, Weisswedelhirsche, Rothirsche, aber auch Elche und Rentiere, die in Nordamerika Karibus heissen.

Die Prionenkrankheit ist schwierig zu stoppen, weil ihr Erreger nicht nur überaus ansteckend, sondern auch sehr resistent ist. Er wird unter anderem über den Urin, den Speichel oder über Nachgeburten ausgeschieden und kann während Jahren oder gar Jahrzehnten in infektiöser Form im Boden verbleiben. Desinfektionsmitteln und hohen Temperaturen hält er stand.

«Ein grosses Problem bei der Verbreitung stellt jedoch der Mensch dar», sagt Fast. Zum einen durch das Verfrachten von toten Tieren: Manche Jäger schlachten das Wild weit entfernt von dort, wo sie es geschossen haben, und entsorgen die Abfälle dann im Wald, oder sie verwenden Tierbestandteile wie Urin als Köder, wenn sie ein nächstes Mal auf die Jagd gehen. Aber auch der Transport von domestizierten Hirschen kann die Krankheit über grosse Distanzen verbreiten. Das sei mehrfach erwiesen, erklärt Fast. «Dem Auftreten von CWD im Gehege folgt dann aufgrund der hohen Ansteckungsfähigkeit recht schnell auch die Verbreitung in freier Wildbahn.»

Deutlich ansteckender als andere Prionenkrankheiten

Besonders tückisch ist die lange Inkubationszeit: Angesteckte Tiere zeigen für bis zu eineinhalb Jahre keinerlei Symptome, können aber bereits infektiöse Prionen an die Umwelt verteilen. Bereits 300 Nanogramm Speichel reichen, um ein anderes Tier zu infizieren. Somit ist CWD deutlich ansteckender als die Prionenkrankheit BSE bei Rindern oder Scrapie bei Schafen.

Diesen Krankheiten ist gemeinsam, dass sie nicht durch Viren oder Bakterien, sondern durch falsch gefaltete Proteine zustande kommen. Gelangen diese in einen Organismus, regen sie die dortigen Proteine an, ebenfalls ihre Struktur zu verändern. Dadurch kommt es zu einer Kettenreaktion: Die entstandenen Prionen lagern sich unter anderem im Gehirn ab, wodurch Nervenzellen absterben und sich das Gehirn schwammartig auflöst.

Bei BSE kam es in den 1980er und 1990er Jahren zum Sprung der Krankheit vom Tier auf den Menschen. In Grossbritannien wurde unzureichend erhitztes Tiermehl von Schafen, die Scrapie hatten, an Rinder verfüttert. Die Kühe entwickelten daraufhin BSE. Durch Fleischprodukte gelangten die BSE-Prionen zum Menschen, wo sie die übertragbare Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auslösten. Bis heute starben an dieser Form der Krankheit in Grossbritannien und Frankreich rund 220 Menschen. Die Verfütterung von Tiermehl an Nutztiere wurde danach verboten.

Sorge über neuen Erregerstamm

Die BSE-Krise sei ein ernüchterndes Beispiel dafür gewesen, wie wandlungsfähig Prionen seien, sagt Fast. «Es besteht die Sorge, dass eines Tages ein neuer Prionenstamm vom Tier auf den Menschen übergeht, der dieselben Ausbreitungsfähigkeiten wie CWD hat.» Dieser Erreger wäre dann nur sehr schwer wieder auszurotten. «Wir sollten uns bewusst sein, dass wir dahingehend bisher grosses Glück hatten.»

Dass nun ein solcher Prionenstamm beim kürzlich beschriebenen Fall der zwei über 70-jährigen Jäger bereits aufgetaucht ist, glaubt Fast dagegen nicht. «Es gibt keinen wissenschaftlichen Hinweis dafür, dass die beiden an CWD gestorben sind und nicht an einer sporadisch auftretenden Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung, die in der Altersgruppe ebenfalls vorkommt.»

Derselben Meinung ist Cory Anderson von der University of Minnesota, der sich als Epidemiologe mit CWD befasst. «Es ist nicht einmal klar, ob die zwei Jäger Fleisch von CWD-infizierten Tieren gegessen haben», sagt er. Es sei zwar denkbar, dass die Prionenkrankheit auf den Menschen übergehen könnte, aber die Wahrscheinlichkeit dafür sei nach derzeitigem Stand der Forschung klein.

Bei den allermeisten Versuchen mit Zellkulturen oder Tieren gelang es nicht, menschliches Gewebe oder Primaten mit CWD zu infizieren. Nur vereinzelt liefern Studien Hinweise, dass dies eben doch möglich sein könnte. «Ein möglicher Grund dafür ist, dass es verschiedene CWD-Stämme gibt und diese vielleicht unterschiedliche Eigenschaften haben», sagt Anderson. Es brauche noch mehr Forschung, wobei es immer zu klären gelte, mit welchen Stämmen man arbeite.

Jäger sollten geschossenes Wild testen lassen

Weil der Übergang von CWD auf den Menschen oder auf Nutztiere nicht auszuschliessen ist, bereiten sich Anderson und seine Kollegen auf dieses Szenario vor: Sie arbeiten Pläne aus, die zeigen, wie sich Behörden und Forschungseinrichtungen im Fall der Fälle verhalten sollten. Um sicherzugehen, empfiehlt Anderson nordamerikanischen Jägern schon jetzt, in betroffenen Gebieten geschossene Wildtiere auf die Prionenkrankheit testen zu lassen.

Im grössten Teil Europas ist dies glücklicherweise noch nicht nötig. Die infektiöse CWD wurde erst bei wildlebenden Rentieren in Norwegen festgestellt. Bei betroffenen Rothirschen und Elchen in Schweden und Finnland handelt es sich wohl um eine altersbedingte Form der Krankheit, die nicht ansteckend ist.

«Die Ausbreitung von Norwegen aus wird aber stattfinden», davon ist Fast überzeugt. Bis CWD auf natürliche Weise Deutschland erreiche, werde es wohl Jahrzehnte dauern. Die grössere Gefahr besteht laut der Forscherin, dass der Mensch im Rahmen von Jagdreisen die Krankheit mitbringt – über Tierteile oder kontaminierte Kleidung. Fast begrüsst deshalb das aktive Überwachungsprogramm, das in Deutschland derzeit durchgeführt wird.

Darüber hinaus gelte es aber europaweit Jägerinnen und Jäger darauf aufmerksam zu machen, Proben von verdächtigen Tieren einzusenden. «Krankes Wild wird nach dem Abschuss meist im Wald zurückgelassen», sagt sie. «Das sind aber genau die Tiere, die für die Überwachung wichtig sind.»

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