Die liberale Partei Neos hat sich aus den Gesprächen mit Konservativen und Sozialdemokraten zurückgezogen, weil sie jeglichen Reformwillen vermisst. Nun ist vieles möglich, bis zu vorgezogenen Neuwahlen.
In Österreich sind die Verhandlungen für die Bildung einer Mitte-links-Regierung gescheitert. Beate Meinl-Reisinger kündigte am Freitag den Rückzug ihrer liberalen Partei Neos an. Die Konservativen der ÖVP und die Sozialdemokraten der SPÖ – sie hatte versucht, mit ihnen eine Koalition zu bilden – haben damit zwar immer noch eine Mehrheit im Nationalrat. Weil diese aus einem einzigen Mandat besteht, gilt die Variante aber als äusserst instabil und unwahrscheinlich.
Meinl-Reisinger begründete den Ausstieg aus den Verhandlungen mit der Reformunwilligkeit der Partner. «Wir stehen nicht zur Verfügung, um eine grössere Mehrheit für Altbekanntes zu liefern», sagte die 46-Jährige. Neos, mit 9 Prozent der Wählerstimmen die kleinste der drei Parteien, habe auf eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, mehr Budgetdisziplin und den Ausgleich unter den Generationen hingearbeitet. «Für grundsätzliche Reformen gab es diese Woche aber mehrfach ein Nein», erklärte Meinl-Reisinger.
Koalition der Verlierer
Dass die Konstellation der Verhandlungen weder für ÖVP und SPÖ noch für Neos ein Wunschszenario darstellte, war bereits seit der Wahl im September klar. Aus dieser war die rechtspopulistische FPÖ als stärkste Formation herausgegangen. Weil aber keine der anderen Parteien mit deren radikalem Chef Herbert Kickl verhandeln wollte, erteilte der Bundespräsident den Verlierern den Regierungbildungsauftrag. Was diese ausser der Ablehnung der Freiheitlichen vereint, war stets ungewiss.
Ihre Aufgabe war zudem höchst undankbar: Österreich steckt in einer hartnäckigen Rezession, die auch 2025 anhalten dürfte. Gleichzeitig überlässt die jetzige Regierung aus ÖVP und Grünen ihrer Nachfolgerin ein Budgetdefizit von 4 Prozent des Bruttoinlandproduktes sowie rekordhohe Schulden von 400 Milliarden Euro. Diese Konstellation macht unpopuläre Einschnitte und Steuererhöhungen praktisch unumgänglich. Sie hätten die heterogene Dreierkoalition auch bei einem Zustandekommen grossen Belastungsproben ausgesetzt.
SPÖ und ÖVP stehen traditionell zudem für eine meist grosszügige Ausgabenpolitik. Die historisch bedeutsame Sozialpartnerschaft diente zu oft als Mechanismus zur Geldverteilung an die Klientel unter den Arbeitern und Unternehmen. Das diente der sozialen Absicherung, schuf aber auch sehr ineffiziente Strukturen. Dass jüngst trotz düsterer Wirtschaftslage die Beamtenlöhne stark anstiegen, ist ein Indiz dieser Verkrustung. Auch die Anhebung des Pensionsalters ist bei der Wählerschaft der zwei Parteien kaum durchsetzbar.
Die Konflikte verliefen aber nicht nur zwischen Neos und den beiden grösseren Parteien. So verfügen die Liberalen und die ÖVP bei wirtschaftspolitischen Themen über Gemeinsamkeiten, welche die SPÖ pauschal als «neoliberal» ablehnt. Die Sozialdemokraten unter ihrer linkspopulistischen neuen Führung forderten ihrerseits neue Abgaben für Banken und eine Erbschaftssteuer, die bei den anderen Formationen chancenlos waren.
Neos hingegen versteht sich als gesellschaftlich und wirtschaftlich liberale Partei, die kreative Ideen für eine Erneuerung des österreichischen Staatswesens vorbringt. Diese haben in der Bevölkerung allerdings keinen breiten Rückhalt. Dass die Partei trotz stark steigendem Misstrauen und Überdruss an der Politik in Österreich unter 10 Prozent Wählerstimmen bleibt, zeigt dies. Allerdings muss sich Neos die Frage gefallen lassen, ob die Umsetzung ihrer Ideen mit ÖVP und SPÖ nicht von Beginn weg illusorisch war.
Die FPÖ profitiert stark
Die grosse Profiteurin ist stattdessen die FPÖ, die unter Kickl seit der Corona-Pandemie noch einmal deutlich nach rechts gerückt ist. Sie regiert aber in fünf der neun Bundesländer mit und erreichte bei den Nationalratswahlen mit 28,8 Prozent ihr historisch bestes Resultat. Seither legte sie bei regionalen Urnengängen und in Umfragen noch zu, auch, weil ein Teil der Österreicher verärgert war über den Ausschluss aus den nationalen Koalitionsverhandlungen.
Wie es nun mit der Regierungsbildung weitergeht, steht nicht fest. ÖVP und SPÖ könnten entweder versuchen, eine Koalition mit der knappestmöglichen Mehrheit zu bilden, was aber nur eine kurzfristige Lösung darstellen dürfte. Oder sie probieren, die Grünen dazuzuholen. Allerdings gelten die Beziehungen zwischen diesen und der ÖVP nach vier Jahren in der Regierung als zerrüttet.
Möglich ist allerdings auch, dass die FPÖ doch noch ins Spiel kommt: In der ÖVP gibt es Kräfte, welche Kickl nicht so strikt ablehnen wie der gegenwärtige Parteichef Karl Nehammer. Ob er bleibt, ist nach dem Rückschlag vom Freitag offen. Bei der Wirtschafts- und Migrationspolitik gäbe es durchaus Gemeinsamkeiten der beiden Parteien, die bereits zweimal miteinander die Bundesregierung gebildet haben. Eine Option wären auch vorgezogene Neuwahlen. Bei diesen dürfte die FPÖ noch einmal stark zulegen.