Der FPÖ-Chef muss seine Kanzlerträume vorerst begraben. Die Koalitionsverhandlungen mit der konservativen ÖVP werden abgebrochen.
Von Verhandlungen konnte man schon länger nicht mehr sprechen. Obwohl das Ringen von FPÖ und ÖVP um eine gemeinsame Koalition seit einer Woche vor dem Scheitern stand und Österreich noch nie zuvor so lange keine ordentliche Regierung hatte, sprachen die beiden Parteispitzen kaum noch miteinander. Am Dienstag sollen sich der FPÖ-Chef Herbert Kickl und der designierte ÖVP-Vorsitzende Christian Stocker gerade einmal für zwanzig Minuten getroffen haben, um danach dem Bundespräsidenten auszurichten, man wolle dennoch weitermachen.
Am Mittwoch kommunizierte man dann hauptsächlich per Communiqués und Beiträgen in den sozialen Netzwerken, doch Kompromissvorschläge und Ultimaten führten nicht zu einer Einigung – im Gegenteil. Die gegenseitig ausgerichteten Gehässigkeiten machten das fehlende Vertrauen zwischen den Parteien für die ganze Republik sichtbar. Herbert Kickl beendete schliesslich das unwürdige Schauspiel und informierte am Nachmittag Bundespräsident Alexander Van der Bellen über das Ende der Koalitionsverhandlungen.
Streit ums Innenministerium
Damit ist auch der zweite Versuch zur Bildung einer Regierung nach der Wahl von Ende September gescheitert. Anfang Januar waren bereits die Verhandlungen für ein Dreierbündnis der Konservativen mit den Sozialdemokraten und der liberalen Partei Neos geplatzt. In einer spektakulären Kehrtwende wandte sich die ÖVP daraufhin doch Herbert Kickl zu, was sie im Wahlkampf stets ausgeschlossen hatte. Verbreitet wurde eine rasche Einigung erwartet, zumal die beiden Parteien sich in wenigen Tagen auf einen Pfad zur Sanierung des Haushalts einigen und so ein EU-Defizitverfahren abwenden konnten.
Die letzten Tage zeigten jedoch, dass die Verhandlungen danach ins Stocken und schliesslich in eine Krise gerieten. Vergangene Woche kam es bereits zu einem fast dreitägigen Unterbruch, nachdem die FPÖ der ÖVP ihre Vorstellungen zur Aufteilung der Ministerien mitgeteilt hatte. Kickl verlangte für seine Partei nicht nur die beiden Schlüsselressorts Finanzen und Inneres, sondern auch die EU-Agenden sowie die Bereiche Verfassung, Medien und Kultur. Es war ein Vorschlag, von dem er wissen musste, dass die Konservativen ihn niemals annehmen können. Allmachtsphantasien warfen diese dem FPÖ-Chef hinter vorgehaltener Hand vor.
Es begann ein unwürdiges Feilschen insbesondere um das mächtige Innenministerium, das beide Parteien ultimativ für sich beanspruchten. Die ÖVP bot der FPÖ die Abspaltung der Bereiche Asyl und Migration in einem eigenen Ministerium an, was diese aber als «verfassungsmässig problembehaftet» und «zum Scheitern verurteilt» bezeichnete.
Auch wenn sich die Diskussionen am Ende um die Ressortaufteilung drehten, zeigte ein am Wochenende geleaktes Protokoll des bisherigen Verhandlungsstands, dass die Differenzen weit darüber hinaus gehen. Die FPÖ lehnt demnach etwa ein Bekenntnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention und zur Rechtsprechung internationaler Gerichte ab, will Österreichs Teilnahme am WHO-Pandemievertrag verhindern, verlangt Schmerzensgeld für durch Corona-Massnahmen Geschädigte oder die Legalisierung von völkerrechtswidrigen Pushbacks an den EU-Aussengrenzen. Alle diese Themen sind im 223-seitigen Dokument rot markiert, weil zwischen den Parteien keine Einigkeit herrschte.
Ebenso bemerkenswert wie die vielen offenen Streitfragen war die Tatsache, dass jemand dieses Dokument geleakt hat. Die Freiheitlichen vermuteten Vertreter der ÖVP dahinter, die eine Koalition sabotieren wollten. Das ist naheliegend, denn das Protokoll enthält weitere Punkte, die von den Konservativen nur als Provokation aufgefasst werden können: So lehnte es die FPÖ offenbar ab, dass auch die EU-Fahne auf Amtsgebäuden gehisst wird. Auch über die Anerkennung der besonderen historischen Verantwortung Österreichs gegenüber Israel gab es kein Einvernehmen. In den vergangenen Tagen verlangte die Partei zudem ein Ende von Steuerprivilegien der Kirche. Diese Themen dürften die FPÖ-Wähler kaum interessieren, aber für die ÖVP sind sie zentral.
Es mehrten sich deshalb die konservativen Stimmen, die für ein Ende der Verhandlungen plädierten. Zunächst waren es vor allem altgediente Exponenten ohne derzeitige Funktion. Am Dienstag aber sagte der Chef des mächtigen ÖVP-Wirtschaftsbunds, Harald Mahrer, der «Kronen-Zeitung»: «Wer nicht konsensbereit ist und sich nur im Machtrausch befindet, der ist möglicherweise nicht regierungsfit.» Damit deutete alles auf einen baldigen Abbruch hin.
Kickl hat zu hoch gepokert
Dieser ist tatsächlich vor allem ein Scheitern von Kickl, der mit Blick auf die guten Umfragewerte seiner Partei offenbar zu hoch gepokert hat. Er war Anfang Januar mit einer Kampfansage in die Verhandlungen gegangen, indem er der ÖVP ausrichtete, sie müsse anerkennen, wer die Wahl von Ende September gewonnen und wer sie verloren habe. Die Konservativen wollten zwar Neuwahlen unbedingt verhindern, erkannten nun aber, dass es ebenso riskant ist, sich von der FPÖ vorführen zu lassen.
Wie es nun weitergeht, ist offen. Noch nie in der Geschichte der Zweiten Republik hatte Österreich so lange keine ordentliche Regierung – die scheidende von ÖVP und Grünen ist seit Oktober nur noch geschäftsführend im Amt. Angesichts der Turbulenzen der letzten Tage meldete sich am Montagabend der SPÖ-Chef Andreas Babler zu Wort und forderte die ÖVP zu neuen Verhandlungen mit seiner Partei auf. Auch die Vorsitzende der Liberalen, Beate Meinl-Reisinger, erklärte, man stehe nach wie vor für Gespräche bereit.
Ein neuer Versuch des zu Jahresbeginn gescheiterten Dreierbündnisses ist also möglich – unter neuer Dringlichkeit, nachdem Kickls Wille zum Umbau des Staates so offensichtlich geworden ist. Denkbar sind aber auch Neuwahlen, die unter Einhaltung aller Fristen im Frühling stattfinden würden. Möglich ist, dass sich SPÖ und ÖVP dafür an der Spitze neu aufstellen, was ein Bündnis danach erleichtern könnte. Der Linkspopulist Babler gilt den Konservativen als Feindbild.
Schliesslich wurde in den vergangenen Tagen oft über eine Expertenregierung spekuliert, die auch eine längere Zeit bis zur Wahl überbrücken könnte. In Österreich hat das keine Tradition, das nach dem Ibiza-Skandal eingesetzte Technokratenkabinett unter Kanzlerin Brigitte Bierlein brachte aber Ruhe in den aufgeregten Polit-Betrieb und war sehr populär. Allerdings sind angesichts des hohen Defizits und der miserablen Wirtschaftslage rasche Reformen zwingend, und dafür braucht eine Expertenregierung die Unterstützung des Parlaments. Ob die Parteien dafür Hand bieten, ist offen. Am Zug ist nun wiederum der Bundespräsident.