Donnerstag, Mai 1

Am 1. Mai ruht die Arbeit in Frankreich. Doch wie verträgt sich das mit dem Grundbedürfnis der Franzosen nach frischem Baguette? Eher schlecht – wie der aktuelle Fall eines hart bestraften Pariser Bäckers zeigt.

Zwei Dinge sind den Franzosen besonders heilig. Das eine ist ihr kulinarisches Nationalsymbol: das Baguette. Von der Unesco 2022 zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt, vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron kurz darauf als «250 Gramm Magie und Perfektion» bezeichnet. Sogar eine Sonderbriefmarke, die angeblich nach Baguette riecht, wenn man sie kratzt, gibt es. Unvorstellbar, auf das lange Weissbrot zu verzichten, von dem nach Schätzungen jede Sekunde 320 Exemplare über französische Ladentheken gehen.

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Geschützt wie ein Kulturgut

Das andere Heiligtum ist ein Feiertag: der 1. Mai. An diesem Tag wacht der französische Staat geradezu eifersüchtig darüber, dass die Arbeit niedergelegt wird, zumindest in gewerblichen Berufen. Kein Wunder, ist die «fête du travail» doch viel mehr als nur ein Ruhetag, sie erinnert an historische Arbeiterkämpfe und wird von der Politik geschützt wie ein Kulturgut. Wer nicht gerade in lebensnotwendigen Diensten oder im Tourismus beschäftigt ist, hat zwangsläufig frei. Und wer unbedingt arbeiten muss, hat ein Recht auf doppelten Stundenlohn.

Dass einige Bäcker am Tag der Arbeit trotzdem ihrem Erwerb nachgingen, fiel lange Zeit gar nicht auf. Es gab eine Sondererlaubnis für die rund 35 000 Boulangerien im ganzen Land. Und selbst als der Staatsrat die Ausnahme 2006 kippte, liessen sich viele Bäcker – die immerhin ein Grundbedürfnis der Franzosen zu stillen hatten – nicht beirren. Dann aber kam die Corona-Pandemie und mit ihr die Zeit der verstärkten Kontrollen am Arbeitsplatz. So erlebte Jean-François Bandet, ein Bäckermeister aus Paris, am 1. Mai 2021 sein blaues Wunder.

Bandet führte einen Arbeitsinspektor durch eine Filiale seiner Ladenkette Bo&Mie an der Rue de Turbigo, in der an jenem Tag 21 Mitarbeiter zugegen waren. Etwa ein Jahr später erhielt der Bäcker einen überraschenden Brief von den Behörden: Wegen des Verstosses gegen das Gesetz zur Feiertagsarbeit, so erfuhr er, habe er eine Geldstrafe von 78 750 Euro zu entrichten. Eine Summe, die sich aus 750 Euro pro Mitarbeiter zusammensetzt, multipliziert mal fünf, weil Bandet als Geschäftsinhaber als juristische Person gilt.

Bandet legte Berufung ein und hielt den Fall danach für abgeschlossen. Doch kürzlich bekam er wieder Post in der Angelegenheit, dieses Mal eine Vorladung auf die Polizeiwache, weil er das Bussgeld noch immer nicht beglichen habe. Empört wandte sich der Bäcker in seiner Not an die Presse. Er habe sich nie für einen Gesetzlosen gehalten, sagte er «Le Parisien». Keiner seiner Mitarbeiter sei zur Arbeit gezwungen worden, und jeder habe den doppelten Lohn erhalten. Ob das gerecht sei, so Bandet, dass andere Geschäfte wie McDonald’s oder Starbucks am 1. Mai ihre Türen öffnen dürften, während ausgerechnet eine handwerklich geführte Bäckerei dafür bestraft werde, ihrer Kundschaft frisches Brot anzubieten?

Ein Fall für Marine Le Pen

Spätestens mit diesem Seitenhieb auf die amerikanische Fast-Food-Industrie hatte Bandet die Öffentlichkeit für sich eingenommen, und so dauerte es nicht lange, bis auch die Politik reagierte. Sie unterstütze alle Bäcker, «die am schönen 1. Mai ihren Betrieb öffnen wollen», schrieb die Frontfrau des rechtsnationalen Rassemblement national Marine Le Pen auf X.

Catherine Vautrin, die konservative Arbeitsministerin, kündigte an, eine Gesetzesinitiative zu unterstützen, um den Bäckern wieder zur Gerechtigkeit zu verhelfen. Es könne ja nicht sein, sagte sie, dass das «symbolträchtigste Lebensmittel des Landes» an einem Feiertag nur als Tiefkühlware über die Ladentheke gehe.

Alles in Butter also für das Baguette? Nicht für jene, die das Heiligtum des 1. Mai höher gewichten. «Wir wissen, wie wir einen Tag auch ohne unser Baguette überstehen, und es ist sehr wichtig, dass dieser Tag ein Feiertag bleibt», sagte die Chefin der linken Gewerkschaft CGT, Sophie Binet. Der 1. Mai, das dürfe man nicht vergessen, sei schliesslich «mit dem Blut und den Tränen der Arbeiter» errungen worden.

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