Für Hochzeitsfotografen und «Wedding Planner» ist die Ewige Stadt mit ihren historischen Kulissen ein Paradies. Um eine Kirche mitten im Stadtzentrum machen die Heiratswilligen allerdings einen Bogen. Der Hirsch sei schuld, meint der Pfarrer.
Frühmorgens ist in Rom die Welt noch in Ordnung. Wer vor acht Uhr unterwegs ist, hat die ganze Pracht der Stadt für sich. Die Piazza Navona ist fast menschenleer. Die Equipen der Abfallentsorgung leeren die Abfallkübel und säubern den Platz vom Unrat, den die Touristen hinterlassen haben. In den angrenzenden Gassen laden Lieferanten Ware ab. Aus den Bars strömt der Duft von «Caffè» und «Cornetti».
Es ist kühl geworden, die Novembersonne und der blaue Himmel täuschen. Die Einheimischen tragen Daunenjacken. Nur ein früher Tourist, es muss ein Engländer oder Amerikaner sein, ist in kurzen Hosen unterwegs.
Und dann das: Vor dem Pantheon steht ein Brautpaar, sie ganz in Weiss, mit langem Schleier, er im dunklen Anzug, Schlips – Fototermin um 7 Uhr 45, mitten in der Woche, vor historischer Kulisse. Die Fotografin gibt Anweisungen. Vor den dunklen Säulen des antiken Bauwerks macht sich das junge Paar besonders gut. Die Braut in ihrem schulterfreien Kleid fröstelt in der Morgenfrische.
So geht das hier jeden Morgen. Bevor der Platz sich mit Reisegruppen und fliegenden Händlern füllt, dient er als Fotostudio unter freiem Himmel für Brautpaare. Auch Drohnen kommen mitunter zum Einsatz, und manchmal werden die Fotografen sogar von Filmequipen begleitet. Rom und seine Monumente üben eine magische Anziehungskraft auf Heiratswillige aus. Ewige Stadt, ewige Liebe?
Ein Schauspiel
Über 4400 standesamtliche Trauungen hat die Stadt in den ersten sieben Monaten des laufenden Jahres verzeichnet, dazu kommen im gleichen Zeitraum fast 2100 kirchliche Ehen «mit zivilrechtlicher Wirkung», wie das zuständige Amt mitteilt. Im Durchschnitt beträgt das Budget pro Hochzeit etwa 25 000 Euro – ein gutes Geschäft für Wedding Planner, Modegeschäfte, Restaurateure und Floristen.
Roms Hochzeiten sind oft ein Schauspiel. Stretch-Limousinen fahren vor, es wird Reis geworfen, die Gäste zeigen Samt und Seide, Schmuck, Schminke, Sonnenbrillen – und viel Haar-Gel. Eltern und Schwiegereltern scheinen schon die Enkel vor ihrem geistigen Auge zu sehen. «Bambini» sind eine Rarität geworden im alternden Italien, das durch seine rekordtiefen Geburtenraten von sich reden macht.
Nur einer mag sich nicht freuen. Monsignore Mario Laurenti, Priester und Rektor von Sant’Eustachio. In seiner Kirche will niemand heiraten. Der Boom geht an ihm vorbei. Nur gerade zwei Trauungen hat Don Mario zelebrieren können, seit er vor drei Jahren hierher versetzt wurde. Brautpaare machen einen Umweg um das Gotteshaus im Zentrum der Stadt. Die Lokalpresse hat schon über die «Chiesa senza nozze» berichtet, die Kirche ohne Hochzeiten.
Was ist los hier? Liegt etwa ein Fluch über der schönen Kirche?
Als wir den Monsignore aufsuchen wollen, vertröstet uns eine anwesende Ordensfrau auf später. Don Mario habe in zehn Minuten eine Abdankungsfeier. Gestorben wird hier also, aber geheiratet? «Kommen Sie nach der Abendmesse wieder.»
«Eine traurige Sache», sagt der Pfarrer schliesslich, als wir ihn nach der Messe in der Sakristei zum Gespräch treffen. Hinter ihm bröckelt der Putz, ein bedrohlicher Riss zieht sich durch die Wand. Schon vor Jahren habe man den Mangel gemeldet, er selbst habe erst gerade wieder einen Brief an die Behörden geschickt. Passiert sei nichts.
Don Mario verwirft die Hände. Er möchte die Kirche, deren Gründung man im achten Jahrhundert oder noch früher vermutet, wieder auf Vordermann bringen, mit einer neuen und zeitgemässen Beleuchtung ausstatten und verschönern. «Nicht einmal eine Statue unseres Patrons, des Heiligen Eustachius, haben wir hier», sagt er. Er würde gerne ein Standbild anfertigen lassen, Kontakte zu geeigneten Kunsthandwerkern habe er schon. Das koste freilich viel Geld, Geld, das er nicht habe.
Aber das ist eine andere Geschichte, was ist nun mit dem Hochzeitsfluch, Don Mario?
An dem Geistlichen kann es nicht liegen. Früher, als er in einer Pfarrei in einem anderen Quartier der Stadt tätig war, habe er pro Jahr 13 bis 15 Hochzeitsmessen zelebriert. Auch die Lage von Sant’Eustachio ist gut, hervorragend sogar. Die Kirche ist zwei Schritte vom Pantheon entfernt und liegt an einem hübschen Platz, wo sich eines der bekanntesten Kaffees der Stadt befindet. Zum Senatsgebäude sind es nur wenige Minuten zu Fuss, vom Vorplatz der Kirche hat man einen wunderbaren Blick auf den berühmten Barock-Turm von Sant’Ivo, der zum Pflichtprogramm kunstbeflissener Rom-Besucher gehört. Don Marios Kirche hat seit 1918 sogar den Status einer «Basilica Minor», ein Ehrentitel, den der Papst wichtigen Kirchengebäude verleihen kann.
Bis 1985 sei hier auch immer wieder einmal geheiratet worden, erzählt Don Mario. Aber als der Kirche im Zuge einer Reorganisation der Status einer Pfarrei aberkannt und sie in ein «Rektorat» umgewandelt worden sei, habe sie auch ihr Volk verloren. Es fehlt die Verbundenheit mit dem Quartier und seinen Bewohnern. Kommunionsfeiern und dergleichen finden in einem anderen Gotteshaus in der Nähe statt. «Sant’Eustachio ist heute eine leere Kirche, ja, eine tote Kirche», sagt Don Mario. Als Rektoratskirche sei sie nur noch ein Ort des Kultes. Er zelebriere jeden Tag die Messe, mehr nicht. Manchmal sitzen, wie heute, nur eine Handvoll Gläubige in den Bänken.
Dieses Schicksal teilt Sant’Eustachio freilich mit vielen anderen Kirchen Roms. Auch grosse und bedeutendere Kirchen wie etwa Sant’Andrea della Valle, die gleich um die Ecke liegt, sind oft Rektorate ohne Pfarrei. Und doch wird dort gerne geheiratet.
Der Hirsch sei schuld, sagt Don Mario schliesslich.
Tatsächlich: Ganz zuoberst auf der Fassade von Sant’Eustachio ist ein Hirschkopf angebracht. Mit seinem grossen Geweih schaut er auf die Besucher herab. Jeder, der die Kirche betritt, muss sich ihm gleichsam beugen – dem gehörnten Tier. Für die Römer ein Unding. Denn gehörnt bedeutet auch hierzulande: betrogen, «cornuto».
«Der Aberglaube stirbt nie aus, gerade hier in Rom nicht.» Je weiter südlich man sich in Italien befinde, desto abergläubischer seien die Menschen, sagt Don Mario, der früher auch einmal in Como, im Norden des Landes, gewirkt hat. Und wer wie in Rom eine riesige Auswahl an Gotteshäusern habe, wolle sich nicht in einer Kirche trauen lassen, die das volkstümliche Symbol der Untreue trage.
Die Legende von Sant’Eustachio
Der Grund, warum der Hirschkopf auf der Fassade von Sant’Eustachio ist, liegt in der Legende des Patrons der Kirche. Dieser war ein römischer Heermeister mit Namen Placidus. Als er eines Tages auf der Jagd einen Hirsch erlegen wollte, sah er, dass dieser in seinem Geweih ein strahlendes Kruzifix trug. Gleichzeitig hörte er die Stimme Christi, die zu ihm sprach und ihn von seinem Vorhaben abbrachte, den Hirsch zu töten. Placidus wandte sich dem Christentum zu, liess sich und seine Familie taufen und erhielt den Namen Eustachius.
«Ich erzähle das den Leuten immer gerne», schmunzelt Don Mario. Im Grunde würde sich die Geschichte nämlich hervorragend für Brautleute eignen. Denn der Hirsch, der Eustachius bekehrte, indem er ihm das Kreuz zeigte, habe sich ja dadurch geschützt. «Wer hier heiratet, geniesst eine besondere Immunität.»
Noch entfaltet diese Interpretation keine Wirkung. Die Besucher nehmen das Kreuz im Geweih des Hirsches auf der Fassade nicht wahr und wollen nur die Hörner sehen. Und so muss sich Don Mario vorderhand mit den alltäglichen Messfeiern und mit seinem sehr spärlichen Publikum begnügen. «Schade» findet das der freundliche Monsignore. Man kann ihn verstehen.
Aber was war da noch gleich mit den beiden Brautpaaren, die sich trotzdem hier trauen liessen? Das eine sei ein amerikanisches Paar gewesen, erinnert sich Don Mario, das den Aberglauben mit den Hörnern nicht kannte. «Und das andere war ein schönes Paar in seinen Achtzigern, bei dem sich das Problem mit der Untreue wohl kaum mehr stellte.»