Der rumänische Geheimdienst hat Informationen veröffentlicht, wie die Kampagne auf der Videoplattform abgelaufen sein soll. Am Sonntag steht die Stichwahl an.
Als in Rumänien vor zwei Wochen die erste Runde der Präsidentschaftswahlen stattfand, ging überraschend der ultranationalistische Kandidat Calin Georgescu als Sieger hervor. Kürzlich veröffentlichte Berichte rumänischer Geheimdienste zeigen nun, dass Georgescu von einer Kampagne auf der Videoplattform Tiktok profitiert hat. Hinter dem Beeinflussungsversuch könnte Russland stehen.
Wichtiger Nato-Staat an der Grenze zur Ukraine
Am Sonntag findet die Stichwahl ums höchste Staatsamt statt. Dabei geht es um viel. Sollte sich Georgescu gegen seine liberale Konkurrentin Elena Lasconi durchsetzen, hätte das sechstgrösste EU-Land künftig einen Präsidenten, der Putins Überfall auf die Ukraine nicht verurteilt, Militärhilfen an Kiew ablehnt und die Verantwortlichen des rumänischen Holocaust im Zweiten Weltkrieg als Helden bezeichnet.
Als Schwarzmeeranrainer und Nachbarstaat der Ukraine, durch dessen Territorium wichtige Versorgungsrouten führen, ist Rumänien von grosser strategischer Bedeutung für die Nato.
Der Verdacht, Beiträge auf Tiktok hätten zu Georgescus Erfolg beigetragen, kam schon kurz nach den Wahlen am 24. November auf. Tatsächlich war die Präsenz des ultranationalistischen Kandidaten auf der Videoplattform in den letzten zwei Wochen vor der Wahl markant angestiegen.
25 000 Tiktok-Konten
Eigentlich untersagt Tiktok bezahlte politische Werbung. Dieses Verbot sei aber «weitgehend unwirksam» gewesen, schreibt das European Digital Media Observatory (EDMO), eine Initiative gegen Desinformation, in einer Analyse. Grund dafür sei, dass die Inhalte von Tiktok nur unzureichend moderiert würden.
Der rumänische Inlandgeheimdienst hat 25 000 Konten auf Tiktok identifiziert, die Teil einer Kampagne zugunsten von Georgescu gewesen waren. Die Profile existierten teilweise schon lange, wurden aber erst zwei Wochen vor dem Wahltag richtig aktiv.
Hinter der Kampagne sei eine Firma gestanden, die sich sehr gut mit digitalem Marketing auskenne. Die Akteure hätten ihr Vorgehen auf der Plattform Telegram koordiniert und Tipps ausgetauscht, um Tiktoks Kontrollen zu umgehen.
Unterstützung erhielt Georgescu laut den veröffentlichten Dokumenten auch von Influencern. Diese seien von Firmen dafür bezahlt worden, auf Tiktok, Facebook und Instagram über den idealen Kandidaten für die Präsidentschaft zu diskutieren. Dessen Qualitäten entsprachen dem Profil von Georgescu. Dies und der gemeinsam verwendete Hashtag #echilibrusiverticalitate erhöhten die Reichweite von Georgescus Beiträgen.
Den Influencern sollen pro 20 000 Follower etwa 400 Lei (75 Franken) bezahlt worden sein. Im Monat vor der ersten Wahlrunde sind Krypto-Zahlungen im Gesamtwert von 381 000 Dollar an Personen geflossen, die an der Kampagne beteiligt waren. Georgescu behauptet, er habe keinen einzigen Leu für seine Auftritte in den sozialen Netzwerken ausgegeben.
Tiktok gesteht keine Fehler ein
Tiktok betreibt laut eigenen Aussagen einen grossen Aufwand, um Wahlen zu schützen. Die Videoplattform beschäftige 95 rumänischsprachige Moderatoren, sagte eine Vertreterin diese Woche vor einem Ausschuss des EU-Parlaments in Brüssel. Man sei über Monate in Kontakt mit den rumänischen Behörden gestanden.
Bereits im September hatte Tiktok aufgrund von externen Hinweisen ein Netzwerk von 22 falschen Accounts entfernt. Die Kampagne verbreitete Falschinformationen und Kritik an der bestehenden rumänischen Regierung, schreibt Tiktok in einem Transparenzbericht.
Weitere zwei Netzwerke habe Tiktok am Freitag vor einer Woche entfernt – also erst nach dem Urnengang, wie das Unternehmen in Brüssel bekanntgab. Eine der Kampagnen habe Georgescu propagiert, es habe aber nur 1781 Follower gehabt.
Inzwischen hat die Europäische Kommission Tiktok dazu verpflichtet, interne Unterlagen und Informationen aufzubewahren, die unter anderem das Empfehlungssystem und Manipulationsversuche im Zusammenhang mit nationalen Wahlen betreffen. Die Anordnung gilt bis zum 31. März und umfasst alle nationalen Wahlen in der EU, also auch die Bundestagswahl in Deutschland.
Naheliegender Verdacht auf Russland
Der rumänische Auslandsgeheimdienst schreibt, Rumänien sei wegen seiner strategischen Bedeutung ein Ziel für aggressive hybride Angriffe aus Russland. Zur Urheberschaft der Kampagne auf den sozialen Netzwerken gibt es aber keine konkrete Aussage.
Der Verdacht einer russischen Beteiligung liegt jedoch nahe. Russland versucht in vielen europäischen Ländern, rechtspopulistische und EU-kritische Kräfte zu unterstützen, um so den eigenen Einfluss zu stärken. Die Kampagne für Georgescu weist laut dem Geheimdienst zudem grosse Ähnlichkeiten mit russischen Beeinflussungsversuchen bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen in der Moldau sowie, vor Kriegsbeginn, bei Urnengängen in der Ukraine auf.
In Reaktion auf die rumänischen Berichte betonte das amerikanische Aussenministerium in einer Stellungnahme die Bedeutung der Partnerschaft mit Rumänien und äusserte sich besorgt über die mögliche russische Einflussnahme. Die Wahl eines prorussischen Präsidenten im südosteuropäischen Land wäre ein grosser Erfolg für den Kreml.

