Samstag, September 28

Ein Jahr nach der Einführung der Regelung, mit der Spanien eine Vorreiterrolle in der EU übernahm, fällt die Bilanz nüchtern aus. Das liegt an der Angst vor Stigmatisierung und den Feinheiten des Gesetzes.

Es sollte das Vorzeigeprojekt der linken Koalitionsregierung von Pedro Sánchez für mehr Geschlechtergerechtigkeit in Spanien werden. Doch ein Jahr nach der Einführung des Menstruationsurlaubs, der es Frauen ermöglicht, bei Regelschmerzen bis zu fünf Tage mit vollem Lohnausgleich zu Hause zu bleiben, zeigt sich: Er wird kaum in Anspruch genommen.

Bei der Verabschiedung des Gesetzes, mit dem Spanien eine Vorreiterrolle in der EU übernahm, gab sich die damalige Ministerin für Gleichstellung, Irene Montero, begeistert. «Es ist ein historischer Tag für die Förderung von Frauenrechten in Spanien», erklärte Montero. Es dürfe nicht länger als normal gelten, dass Frauen trotz Regelschmerzen zur Arbeit gehen müssten. Man wolle das Schweigen über diese Beschwerden beenden.

Die Kosten für die potenziellen Ausfälle übernehmen dabei nicht die Unternehmen, sondern die staatliche Sozialversicherung. In Spanien gibt es normalerweise für die ersten drei Krankheitstage einen Lohnabzug. Beim Menstruationsurlaub jedoch haben Arbeitnehmerinnen Anspruch auf volle Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag.

In Monteros Ministerium war man damals davon ausgegangen, dass von den rund sechs Millionen Frauen im Alter von 18 bis 50 Jahren, die in Spanien berufstätig sind, mindestens 60 000 die neue Regelung jeden Monat für sich nützen würden.

Rücksichtnahme auf die Kollegen

Doch die Realität sieht anders aus. Laut dem spanischen Gesundheitsministerium wurden in den ersten zehn Monaten gerade einmal 1558 Fälle von Frauen registriert, die sich wegen Regelschmerzen krankmeldeten. Dies entspricht nicht einmal fünf Fällen pro Tag. Dass die Frauen ihr neues Recht so gut wie gar nicht nützen, hat mehrere Gründe.

Mehr als 95 Prozent aller Betriebe in Spanien seien kleine und mittelständische Unternehmen, so Cristina Antoñanzas, Vizegeneralsekretärin von Spaniens zweitgrösster Gewerkschaft UGT. «Die Frauen wissen ganz genau, dass ihre Kollegen bei ihrem Fernbleiben für sie einspringen müssten, und gehen dann trotz Schmerzen lieber zur Arbeit», erklärt Antoñanzas.

Doch selbst bei Grossunternehmen wie etwa Spaniens Telefónica, wo 38 Prozent der Belegschaft weiblich sind, gibt es kaum Fälle. «In meiner Abteilung hat sich noch nie jemand wegen Menstruationsbeschwerden krankgemeldet», sagt Irene López, die im IT-Bereich der Firma tätig ist.

Ärztliche Attestpflicht als Hemmschuh

Cristina Antoñanzas ist zudem überzeugt, dass das Gesetz auch wegen der Attestpflicht unwirksam bleibt. Frauen benötigen ein ärztliches Gutachten, das spezifische gynäkologische Erkrankungen wie Endometriose, Myome oder polyzystische Ovarien bescheinigt, um Menstruationsurlaub zu erhalten. «Viele Frauen lassen sich nicht gründlich untersuchen, um die genaue Ursache ihrer Menstruationsbeschwerden diagnostizieren zu lassen», sagt Antoñanzas. Daher falle es ihnen schwer, ein erforderliches Attest zu bekommen.

Frauenärztinnen bestätigen diese Einschätzung: «Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes habe ich keine einzige Frau wegen Menstruationsbeschwerden krankgeschrieben», so die Familienärztin Estibaliz Besgas. Wenn man wegen Corona oder einer Grippe zu Hause bleibe, denke sich niemand etwas dabei, aber bei Menstruationsbeschwerden bestehe die Angst vor negativen Auswirkungen bei der Arbeit, so die Medizinerin.

Laut den Gewerkschaften befürchten Frauen eine Stigmatisierung am Arbeitsplatz. «Die Personalabteilung erfährt von der Sozialversicherung den Grund für die Abwesenheit der Frau», erklärt Antoñanzas. Bei ihrer Gewerkschaft UGT war von Anfang an klar, dass nur wenige Frauen sich wegen Menstruationsbeschwerden krankmelden würden. Die Angst vor negativen Auswirkungen auf ihre Karriere sei zu gross. Lieber arbeiten die Frauen trotz Menstruationsbeschwerden weiter.

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