Die neue Ausgangssperre wirft Fragen auf.
Wenn diesen Sommer der neue Europameister gekürt wird, am 14. Juli irgendwann vor 23 Uhr, werden viele Schweizer Fussballfans draussen mitfeiern. 12- und 13-jährigen Teenagern in Studen im Berner Seeland wird das untersagt sein. Die Gemeinde hat vergangene Woche ein Ausgehverbot für Jugendliche beschlossen. Es hat weit über die Region hinaus für Aufsehen gesorgt.
Kinder unter 14 Jahren dürfen sich ab 22 Uhr künftig nur noch gemeinsam mit einer Aufsichtsperson im öffentlichen Raum aufhalten. Andernfalls kann die Polizei die Eltern auffordern, ihre Kinder abzuholen. Wer das ignoriert, riskiert eine Busse. Die Gemeinde will damit Vandalismus bekämpfen und den Druck auf Eltern erhöhen, die sich zu wenig um ihre Kinder kümmern.
Gehören 13-Jährige nach 22 Uhr «ins Näscht», wie Gemeindepräsident Heinz Lanz im «Sonntags-Blick» stammtischtauglich verlauten liess? Oder ist es vielmehr so, wie die Berner Jungfreisinnigen ebenso pointiert festhielten, dass die Gemeinde damit die Grundrechte der Kinder «nach chinesischem Vorbild» einschränkt?
Zweifel an Recht- und Verhältnismässigkeit
Fest steht: Die Ausgangssperre schürt Emotionen und wirft Fragen auf. Mehrere Experten äusserten in den vergangenen Tagen Zweifel an der Rechtmässigkeit von generellen Ausgangssperren für Jugendliche. Bereits 2009 beurteilte das Zürcher Verwaltungsgericht eine ähnliche Massnahme in Dänikon als unverhältnismässig. Die Gemeinde Aarberg, nur wenige Kilometer von Studen entfernt, wurde 2015 ebenfalls von der Beschwerdeinstanz zurückgepfiffen. Das geplante Ausgehverbot für unter 16-Jährige schränke deren Grundrechte zu sehr ein.
Ausgangssperren stehen juristisch also auf wackligen Füssen. Trotzdem listet der Kanton Bern die Regelung in einer Arbeitshilfe für die Gemeinden weiterhin als Möglichkeit auf. Der Vorschlag enthalte verschiedene Ausnahmen, um dem Verhältnismässigkeitsgebot gerecht zu werden, hält die zuständige Sicherheitsdirektion fest.
Eine solche sieht auch die Gemeinde Studen vor: Besuchen Kinder einen auf sie zugeschnittenen Anlass, dürfen sie den Heimweg auch nach 22 Uhr alleine antreten. Auch andere Gemeinden in der Deutschschweiz kennen vergleichbare Regelungen. Studen macht nur, was andere bereits praktizieren.
Pro Juventute übt Kritik
Trotzdem wird Kritik laut. Die Kinderrechtskonvention gestehe auch Kindern das Recht zu, sich mit anderen zusammenzuschliessen und zu versammeln, sagt Lulzana Musliu, die Sprecherin von Pro Juventute. Dieses dürfe nur eingeschränkt werden, wenn es im Interesse der nationalen oder öffentlichen Sicherheit geschehe oder dem Schutz diene.
Pro Juventute stellt darüber hinaus infrage, wie wirkungsvoll eine Ausgangssperre ist. Man wisse aus Erfahrung und aus der Entwicklungspsychologie, wie reizvoll Verbote sein können. Anders gesagt: Jugendliche, die ohnehin schon Grenzen testen, dürften sich wahrscheinlich auch am Ausgangsverbot reiben.
Besser wären laut Pro Juventute Empfehlungen, Prävention und der Dialog mit den Jugendlichen. Musliu sagt: «Mit einem Verbot alleine senden wir ihnen das falsche Signal: Wir als Erwachsene haben die Macht über euch, und wir bestrafen euch in erster Linie, zum Teil auch kollektiv.»
In Studen ist eine Mehrheit indes der Ansicht, mit dem Appell an die Eigenverantwortung sei es nicht getan. An der Gemeindeversammlung gab es nur eine kritische Stimme. Gemeindepräsident Heinz Lanz, überrascht ob dem Medienrummel, vergleicht die Ausgangssperre mit dem Alkohol- und Tabakverbot für Jugendliche, das ebenso ihrem Schutz diene. Solange Eltern sich ihrer Verantwortung bewusst seien, bleibe die Bestimmung eine rein präventive Regelung.
So gross das Echo auch ist, in Studen regt sich kaum Widerstand gegen das Ausgehverbot. Bislang sei keine Beschwerde dagegen eingegangen, lässt die zuständige Regierungsstatthalterin auf Anfrage ausrichten.